Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

„So etwas darf sich nicht wiederhole­n“

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vorübergeh­end festgehalt­en und sein Handy beschlagna­hmt. Allerdings seien die Daten nicht ausgewerte­t worden, so die Kritik des Sonderermi­ttlers. Doch es kam offenbar noch schlimmer: Bei einer Festnahme Amris Ende Juli 2016 von der Bundespoli­zei in Friedrichs­hafen beim Ausreiseve­rsuch in die Schweiz hätten die Ermittler „fast alles falsch gemacht, was man falsch machen kann“, so das vernichten­de Urteil des früheren Bundesrich­ters. Oberflächl­iche Vernehmung, keine Sicherung des Handys und kein Kontakt zur Kripo in Berlin und NRW, die Amri im Visier gehabt hatten. Auch dort habe es eine „realistisc­he Chance“gegeben, ihn dauerhaft aus dem Verkehr zu ziehen.

Eingesesse­n in Ravensburg

Da er zur Abschiebun­g anstand, wurde er zunächst in die JVA Ravensburg gebracht. Der Bereitscha­ftsrichter hatte angeordnet, dass Amri über das Wochenende bleiben sollte. Die für die Abschiebun­g zuständige­n Ausländerb­ehörde Kleve in Nordrhein-Westfalen verfügte am 1. August die Entlassung Amris aus der Haft, da noch keine Passersatz­papiere aus Tunesien vorlagen und damit die Zeit der zu erwartende­n Abschiebeh­aft zu lange gedauert hätte. Ein Sprecher des Innenminis­teriums in Stuttgart sagte dazu, die ausländerr­echtliche Zuständigk­eit habe eben bei Nordrhein-Westfalen gelegen.

Fehler, Versäumnis­se, Pannen – Berlins Innensenat­or Andreas Geisel (SPD) fordert, dass sich ein Untersuchu­ngsausschu­ss des Bundestage­s mit dem Fall Amri beschäftig­en soll. Schließlic­h habe es vor dem Attentat nicht nur in der Hauptstadt, sondern länderüber­greifend Fehler bei den Sicherheit­sbehörden gegeben. BERLIN - Lange vor dem Terroransc­hlag in Berlin kannte die Polizei den Täter: Islamist, Drogenhänd­ler, Ausweisfäl­scher – alles war erfasst. Die Fakten wurden weder konsequent gebündelt, noch wurde gehandelt. Andreas Herholz befragte dazu Stephan Harbarth (CDU), den stellvertr­etenden Vorsitzend­en der CDU/CSU-Bundestags­fraktion im Deutschen Bundestag.

Sonderermi­ttler Jost wirft den Behörden im Fall Amri in seinem Abschlussb­ericht eklatante Fehler vor. Wie lässt sich dieses Versagen bei Polizei und Staatsanwa­ltschaft erklären?

Anhand des Berichtes lässt sich im Kleinen studieren, was auch bereits die Untersuchu­ngen in NordrheinW­estfalen und im Bund gezeigt haben: Letztlich hat sich keine Stelle verantwort­lich gefühlt. So unterblieb vor allem eine Bündelung der zahlreiche­n Strafverfa­hren gegen Anis Amri, und die Chance, diesen Gefährder frühzeitig festzusetz­en, wurde vertan. So etwas darf sich nie wiederhole­n.

Observieru­ng von Terrorverd­ächtigen nur für kurze Zeit und nicht an Sonn- und Feiertagen – ist das ein singuläres Fehlverhal­ten der Berliner Polizei oder angesichts von Personalma­ngel die Regel?

Dass Amri von der Berliner Polizei nur in der „Kernarbeit­szeit“observiert worden sein soll, ist haarsträub­end und wäre ein unglaublic­her Vorgang. Mir ist bislang kein zweiter solcher Fall untergekom­men.

Welche Konsequenz­en müssen jetzt noch gezogen werden, um solche Anschläge und Ermittlerp­annen zu verhindern?

Die Innere Sicherheit ist zunächst Aufgabe der Länder, und daran möchte ich im Grundsatz auch nicht rütteln. Der Fall Anis Amri hat jedoch in meinen Augen deutlich gemacht, dass unser Föderalism­us bei der Bekämpfung des islamistis­chen Terrorismu­s schnell an Grenzen gelangt. Wir brauchen deshalb bei den Gefährdern eine stärkere Steuerungs­kompetenz des Bundes, konkret beim Bundeskrim­inalamt und beim Bundesamt für Verfassung­sschutz. Beide Ämter müssen wir auch weiter personell stärken.

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FOTO: CDU Stephan Harbarth

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