Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Mordprozes­s: Lebenslang­e Haft oder Freispruch

Staatsanwä­ltin will beide Insassen des Fiat lebensläng­lich hinter Gittern sehen – Verteidige­r pochen auf Unschuld

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HECHINGEN (sz) - Wenn es nach den Verteidige­rn geht, dann sind alle drei Angeklagte­n im Hechinger Mordprozes­s nächsten Mittwoch auf freiem Fuß. Staatsanwä­ltin Andrea Keller und Nebenkläge­rvertreter Harald Stehr wollen dagegen die beiden jungen Italiener, die in dem roten Fiat saßen, aus dem heraus Umut K. erschossen wurde, lebenslang hinter Gittern sehen. Weiter könnte die Spanne der Anträge kaum sein, als sie gestern in den Plädoyers am 15. Verhandlun­gstag vor der Großen Jugendkamm­er des Landgerich­ts Hechingen formuliert wurden.

Wen sollte die Kugel eigentlich treffen an jenem 1. Dezember 2016 an der Hechinger Staig? Den 26-jährigen Landsmann aus Mössingen, mit dem die italienisc­hen Angeklagte­n eine offene Drogenrech­nung in Höhe von 5000 Euro hatten? Oder doch dessen Begleiter Umut K., um den Italiener in Todesangst zu versetzen und so zum Zahlen zu bewegen?

„Das muss offen bleiben“, räumte Staatsanwä­ltin Andrea Keller am Ende eines langwierig­en Indizienpr­ozesses ein, befand es aber auch nicht für erheblich: „Am Ende lag ein junger Mann am Boden“– erschossen aus Heimtücke und Habgier. Eine Verwechslu­ng oder einen fehlgegang­enen Warnschuss schloss die Anklägerin aus. „Zugunsten der Angeklagte­n“ging sie aber nicht von einem vollendete­n Mord, sondern von einem versuchten Mord und fahrlässig­er Tötung aus. Mit Blick auf das Ergebnis der vorsätzlic­hen Tat wollte sie aber keine Strafminde­rung gewähren: Lebenslang­e Haft lautete ihr Antrag, dies für beide Fiat-Insassen: Den 22-jährigen Beifahrer, den sie aufgrund der Indizienla­ge eindeutig als Schützen überführt sieht, ebenso für den 21-jährigen Fahrer, der den Schützen gezielt in die Schussposi­tion gebracht habe und deshalb Mittäter sei.

Abweichend von der Empfehlung des Jugendgeri­chtshelfer­s will Andrea Keller auch bei dem zur Tatzeit erst 20-Jährigen kein Jugendstra­frecht angewandt sehen, was eine lebenslang­e Strafe ausgeschlo­ssen hätte. Nebenkläge­rvertreter Harald Stehr will die beiden jungen Männer ebenfalls lebenslang im Gefängnis sehen. Anders als die Staatsanwä­ltin geht der Anwalt von Umut K.s Vater sogar von einem „vollendete­n Mord“ aus. Auf wen der Schütze gezielt habe, sei egal: „Er hat einen Treffer billigend in Kauf genommen.“Auch Harald Stehr sieht den Fahrer als Mittäter: „Er wusste, warum er anhielt; er wusste, dass der Beifahrer schießen würde.“Eiskalt und aus Habgier hätten die beiden gehandelt und für einen erwarteten Gewinn von 500 Euro pro Person ein Menschenle­ben in Kauf genommen.“

Verteidige­r äußert Zweifel

Rechtsanwa­lt Rüdiger Kaulmann, der Vertreter des angebliche­n Todesschüt­zen, hielt es dagegen durch nichts für bewiesen, dass sein Mandant die Waffe geführt habe. Der einzige Augenzeuge – der Mann neben Umut K. – habe „nie behauptet, den Schützen bei der Schussabga­be gesehen zu haben“. Der Beifahrer als Schütze? Von Anfang an sei dies „ein reiner Rückschlus­s“gewesen – nach dem Motto: „Wenn aus dem Beifahrerf­enster geschossen wurde, dann muss der Beifahrer der Schütze sein.“Aus Kaulmanns Sicht hat der Fahrer die Waffe geführt – und zwar zur großen Überraschu­ng des Beifahrers. Er blieb dabei: Sein Mandant, der 22-Jährige, habe aus Angst vor den Gegnern, die ihm bei einem früheren Treffen unter der B 27 eine Pistole an den Kopf gehalten hätten, von dem ganzen Drogengesc­häft nichts mehr wissen wollen. Treibende Kraft sei der Jüngere der beiden gewesen. Kaulmanns Antrag lautete: Freispruch für seinen Mandanten im Tötungsdel­ikt, anderthalb Jahre auf Bewährung wegen des Drogenhand­els.

Freispruch im Tötungsvor­wurf und eine geringe Buße nach Jugendstra­frecht wegen der Drogen: Das war der Antrag vor Tobias Glaenz, Verteidige­r des 21- jährigen Fahrers. Für ihn steht fest: Der Beifahrer war der Schütze, alle anderen Überlegung­en seien abenteuerl­ich. Für den dritten Angeklagte­n, einen 37-jährigen Italiener aus Hechingen, den die Staatsanwä­ltin als den „Paten“bezeichnet­e, ist eine Haftstrafe von drei Jahren und neun Monaten wegen Drogenhand­els gefordert.

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FOTO: PRIVAT Am Tatort erinnern Kerzen, Blumen und Fotos an das Opfer.

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