Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
„Meine eigene Kindheit war verheerend“
Bilder von Ali Mitgutsch werden im „Alten Löwen“in Pfullendorf ausgestellt
PFULLENDORF - Die Wimmelbilder von Ali Mitgutsch kommen in die städtische Galerie „Alter Löwen“nach Pfullendorf. Zur Eröffnung am Sonntag, 15. Oktober, um 11.15 Uhr kommt Ingmar Gregorzweski, ein Freund und Wegbegleiter Ali Mitgutschs zu einem Künstlergespräch mit Galerieleiterin Hermine Reiter. SZ-Redakteur Sebastian Korinth hat sich vorab mit Ali Mitgutsch unterhalten.
In „Rundherum in meiner Stadt“zum Beispiel wirkt alles so beschaulich – mit dem Bäcker, dem Metzger, dem Springbrunnen im Mittelpunkt der Szene. Werden Sie von Wehmut ergriffen, wenn Sie heute dieses Bild sehen?
Wehmut würde ich nicht sagen. Aber bestimmt von einer Art Dankbarkeit. Meine eigene Kindheit war verheerend, voller Ungewissheit und fürchterlichen Ängsten. Nie hätte ich gedacht, dass ich es soweit bringe, dass ich Menschen – große und kleine – mit meinen künstlerischen Mitteln so berühre. Ein großes Geschenk, für das ich meinem Publikum sehr dankbar bin.
Auf Ihren Bildern rutschen Leute aus, haben Autopannen oder fallen ins Wasser. Steckt dahinter Schadenfreude? Haben Sie kein Mitleid mit Ihren eigenen Figuren?
Dahinter steckt hoffentlich ganz viel Leben, das eine Portion Neugier bietet. Die Betrachter fragen sich, wie wird es weitergehen, wie würde man selbst auf eine solche Situation reagieren? Wenn Sie meine Bilder genau anschauen, denke ich, finden Sie weniger eine heile Welt, sondern vielmehr eine, die heilsam sein soll für uns alle. Ich bin nämlich ein unverrückbarer Optimist.
Warum wird in Ihren Büchern so viel gestritten?
Auch das gehört für mich zum Leben dazu. Kinder lernen Konflikte zu erkennen, sehen, was Konflikte auslösen kann und überlegen vielleicht sogar, wie man sie lösen könnte. Das bleibt doch unser täglich Brot bis ins hohe Alter hinein.
Stört es Sie eigentlich, dass jeder gleich an die Wimmelbücher denkt, wenn er den Namen Ali Mitgutsch hört?
Nein, ganz und gar nicht. Meine Wimmelbücher sind in der ganzen Welt beliebt, selbst in der Mongolei, in China oder jetzt auch in der Ukraine. Scheinbar sind wir Menschen uns in unserem Denken und Fühlen näher, als uns Politik oder Religionen glauben machen wollen – zumindest wenn wir noch Kinder sind.
Andere Kinderbuchautoren eifern diesem Stil schon längst nach. Ehrt Sie das oder ärgern Sie sich eher darüber, dass die Ihre Ideen klauen?
Erfolgreiche Formate finden wohl immer ihre Nachahmer. Das lässt sich kaum verhindern. Solange jedoch meine Bücher geschätzt und verkauft werden – und das tun sie seit 50 Jahren ununterbrochen – sehe ich diese Dinge eigentlich recht gelassen.
Sie waren in Ihrem Leben viel unterwegs, sind aber dennoch München treu geblieben. Was schätzen Sie an dieser Stadt so?
München ist meine Heimatstadt, mit der ich mich ganz eng verbunden fühle. Ich mag den Humor der Menschen dort, ihre Gelassenheit und ganz besonders den Englischen Garten, den Park meiner Kindheit, meiner Jugend und meines Erwachsenseins. Jetzt im Alter erzählt er mir bei jedem Besuch aufs Neue von meinen Erinnerungen, egal, auf welcher Bank ich mich niederlasse, egal zu welcher Jahreszeit. Ein unschätzbarer Trost.
Was ist eigentlich das Schöne daran, speziell Bücher für Kinder zu entwerfen?
Wer meine Kindheitserinnerungen „Herzanzünder – Mein Leben als Kind“liest, versteht vielleicht leichter, warum ich den Kontakt zu meiner eigenen Kindheit niemals wirklich verloren habe. Die grausamen Zeiten, die damals durch den Krieg herrschten, ließen mir nur eine Flucht in die Phantasie, um meine gefährdete Kinderseele zu retten. Es ist mir daher wichtig, genau das an die Kinder weiterzugeben: schärft eure Phantasie, sie trägt euch sicher, selbst durch die größten Lebensstürme. Gebt auch die Hoffnung niemals auf!