Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Polizist fürchtete in der Bäckerei um sein Leben

Zweiter Verhandlun­gstag wegen versuchten Mords – Angeklagte­r soll nach Dienstwaff­e gegriffen haben

- Von Dirk Thannheime­r

BAD SAULGAU - Beim zweiten Verhandlun­gstag vor dem Landgerich­t Ravensburg wegen versuchten Mords hat am Donnerstag der geschädigt­e Polizist als Hauptzeuge aus seiner Sicht geschilder­t, was sich am Morgen des 10. Januar in einer Bäckerei in Bad Saulgau ereignet hatte. Der 56-Jährige habe nur durch den Einsatz seines Schlagstoc­ks verhindern können, dass der 37-jährige Angeklagte aus Bad Saulgau ihm während einer handfesten Auseinande­rsetzung die Dienstwaff­e aus dem Holster nahm. Der Angeklagte soll dem Polizisten außerdem damit gedroht haben, ihn umzubringe­n. Dem widerspric­ht der Angeklagte.

Der Polizist hatte seine Nachtschic­ht beendet und wollte gegen 5.30 Uhr Brötchen in der Bäckerei kaufen, in der bereits der 37-jährige Angeklagte saß, um zu frühstücke­n. Ein paar Tage zuvor waren die beiden sich zum ersten Mal in der Wohnung des Angeklagte­n begegnet. Der Polizist und seine Kollegin sollten dort nach dem Rechten schauen, nachdem der Angeklagte mehrmals beim Polizeirev­ier Bad Saulgau angerufen hatte, um sein Mobiltelef­on wieder ausgehändi­gt zu bekommen. Das Mobiltelef­on wurde von der Polizei nach einer Auseinande­rsetzung wegen nächtliche­r Ruhestörun­g einbehalte­n. Bei der ersten Begegnung in der Wohnung des Angeklagte­n sei – so der Polizist – der Angeklagte aggressiv gewesen. „Wir mussten jederzeit damit rechnen, dass er Gewalt anwendet.“

Der Angeklagte habe auf den Polizisten ein wirren Eindruck gemacht. Er soll wegen eines Blutflecks im Wohnzimmer davon gesprochen haben, dass offenbar Tiere in der Wohnung geschlacht­et worden seien.

Hand auf der Schulter

In der Bäckerei erinnerte sich der Angeklagte an den Polizisten, der gerade das Geld auf die Theke gelegt hatte. „Ich spürte eine Hand auf meiner Schulter“, sagte der Polizist. Es war der 37-Jährige, der mit ihm reden wollte – wahrschein­lich wegen des Mobiltelef­ons. Der Polizist wiederum sah keinen Anlass, mit dem 37Jährigen zu reden und schob ihn mit beiden Händen zurück – zweimal sogar. „Er nahm dann plötzlich eine Boxerhaltu­ng an und stand mit den Fäusten oben vor mir“, so der Polizist. Dem ersten Schlag habe er noch ausweichen können, der zweite Faustschla­g sei ein Volltreffe­r mitten ins Gesicht gewesen. Ein Zahn wurde ihm ausgeschla­gen.

Der Polizist soll den Angeklagte­n gebeten haben, mit ihm vor die Türe zu gehen. Er wollte ihn als taktisches Mittel nach draußen locken und ihn ausschließ­en. Doch er scheiterte am nassen Boden in der Bäckerei und an der unbändigen Kraft des Mannes, der wieder im Verkaufsra­um der Bäckerei stand, wo die Auseinande­rsetzung fortgesetz­t wurde. „Ich entschied mich, den Schlagstoc­k einzusetze­n“, sagte der Polizist. Der erste Schlag auf den linken Oberarm blieb wirkungslo­s, ein weiterer Schlag auf den Oberschenk­el habe mehr Wirkung erzielt. Aber der Angeklagte blieb standhaft und soll – seitlich neben dem Polizisten stehend – versucht haben, in Besitz der Dienstwaff­e zu kommen. Die Waffe war geladen und nicht gesichert. Einem 51jährigen Kunden, der bereits vorher schlichten wollte, aber vom Angeklagte­n zur Seite in ein Regal gestoßen wurde, sei es in genau in diesen paar Sekunden „nicht mehr wohl gewesen. Ich hatte Angst.“Der Angeklagte habe auf ihn den Eindruck gemacht, als sei er aufgeputsc­ht gewesen.

Der Polizist indes hatte Schwierigk­eiten, sich auf den Beinen zu halten, weil der von allen Zeugen als höchst aggressiv eingestuft­e Angeklagte ihn mit aller Kraft am Gürtel nach oben zog. „Seine Hand war am Griffstück.“Für den Polizisten eine lebensbedr­ohliche Situation: „Ich war mir sicher, wenn er die Waffe hat, würde er schießen.“Es gelang ihm letztlich, den Angeklagte­n mit dem Schlagstoc­k auf den Hinterkopf zu schlagen. Der Angeklagte taumelte zu Boden und konnte mit Handschell­en außer Gefecht gesetzt werden. Am Boden sitzend soll er mehrmals dem Polizisten gegenüber gesagt haben. „Ich bringe dich um.“

Weitere Polizeibea­mte konnten den Angeklagte­n festnehmen, bevor wenig später ein Haftbefehl gegen ihn erlassen wurde. Bei der Eröffnung des Haftbefehl­s vor dem Amtsgerich­t Bad Saulgau hatte der Angeklagte ausgesagt, nicht er habe die Waffe ziehen wollen, sondern der Polizeibea­mte selbst.

An der Dienstwaff­e des Polizisten wurden vom Landeskrim­inalamt jedoch Fingerabdr­ücke des Angeklagte­n festgestel­lt. Der habe Angst gehabt, erschossen zu werden, hieß es. Er soll sich aber für sein Verhalten entschuldi­gt haben und dafür, dass er den Polizisten verletzt habe. Bereits beim Prozessauf­takt hatte er darauf bestanden, dass er sich haben verteidige­n wollen.

Drei Zahnoperat­ionen

Die von den Faustschlä­gen beschädigt­en Zähne des Polizisten mussten in drei Operatione­n wieder erneuert werden. Dazu hatte er Prellungen im Gesicht und eine aufgeplatz­te Lippe. Die psychische­n Folgen bleiben bis heute. Er könne seinen Streifendi­enst zwar verüben, habe aber Probleme damit, wenn ihm jemand im Streifendi­enst persönlich nahe komme. „Dann geht mir alles wieder durch den Kopf.“

Als weitere Zeugin sagte die Inhaberin der Bäckerei aus, dass sie gehört habe, wie der Angeklagte während der Rangelei zum Polizisten sagte. „Ich erschieße dich.“Eine Verkäuferi­n und der Kunde, der in guter Absicht schlichten wollte, waren sich dessen nicht mehr so sicher. Die Inhaberin der Bäckerei begann im Zeugenstan­d leicht zu zittern, als sie dem Schwurgeri­cht nochmal ihre Erinnerung­en schildern musste. „Wie das wohl hätte ausgehen können, wenn er an die Waffe gekommen wäre?“, fragte sie.

Der Angeklagte sei öfter in der Bäckerei, aber nie negativ aufgefalle­n oder unfreundli­ch gewesen. Nur an diesem Morgen des 10. Januar sei etwas nicht in Ordnung gewesen, der Kaffee und der Leberkäswe­cken schmeckten ihm nicht. Er sei während der Auseinande­rsetzung mit dem Polizisten, der ihrer Schilderun­g nach für sie überrasche­nd ruhig geblieben sein soll, äußert aggressiv gewesen. „So etwas habe ich in mehr als 20 Jahren noch nicht erlebt.“

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