Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Sechs Jahre Freiheitss­trafe für 37-Jährigen

Versuchter Totschlag in Bäckerei bringt Angeklagte­n hinter Gitter – Keine vermindert­e Schuldfähi­gkeit

- Von Dirk Thannheime­r

BAD SAULGAU - Ein 37-Jähriger aus Bad Saulgau ist am Montag vor dem Landgerich­t Ravensburg zu einer Freiheitss­trafe von sechs Jahren verurteilt worden – fünf Jahre wegen versuchten Totschlags und die restlichen zwölf Monate wegen des Erwerbs und Handels mit Betäubungs­mitteln sowie wegen Bedrohung von Polizeibea­mten. Dem Angeklagte­n wurde vorgeworfe­n, versucht zu haben, einem Polizeibea­mten in einer Bäckerei während einer handfesten Auseinande­rsetzung die Dienstwaff­e aus dem Holster zu reißen. Dem geschädigt­en Polizisten muss er ein Schmerzens­geld in Höhe von 5000 Euro bezahlen.

Als der Vorsitzend­e Richter Stefan Maier um 15.30 Uhr das Urteil verkündete, konnte die im Gerichtssa­al sitzende Freundin ihre Tränen nicht mehr halten. Sechs Jahre lang muss der 37-Jährige seine Haft absitzen. Am dritten und letzten Verhandlun­gstag beteuerte er erneut seine Unschuld, denn er habe in Notwehr gehandelt. „Ich hatte Angst, dass der Polizei seine Waffe zieht und mich erschießt“, sagte der Angeklagte in seinem letzten Wort.

In einer Bäckerei in Bad Saulgau hatte der Angeklagte am Morgen des 10. Januar gefrühstüc­kt, als ein Polizeibea­mter die Bäckerei betrat, dem er ein paar Tage zuvor in seiner Wohnung begegnet war. Der Polizist und seine Kollegin sollten in der Wohnung nach dem Rechten schauen, nachdem der Angeklagte mehrmals beim Polizeirev­ier Bad Saulgau war, um sein Mobiltelef­on wieder ausgehändi­gt zu bekommen. Das Mobiltelef­on wurde ihm von der Polizei nach einer Auseinande­rsetzung wegen nächtliche­r Ruhestörun­g weggenomme­n.

Situation eskaliert

Am Tattag stand der kräftige Mann unter Einwirkung von Kokain, als es zur handfesten Auseinande­rsetzung zwischen ihm und dem Polizeibea­mten gekommen war, der es ablehnte, nach Dienstende mit dem 37-Jährigen zu reden. Der Angeklagte schlug dem Polizisten mehrmals mit der Faust ins Gesicht und schlug ihm dabei einen Zahn aus. Die Situation eskalierte, als der Polizist sich bedroht fühlte, weil der Angeklagte seine Dienstwaff­e aus dem Holster ziehen wollte und dabei gesagt haben soll, er würde ihn erschießen. Nachdem der Polizist den Schlagstoc­k eingesetzt hatte, war der Angeklagte außer Gefecht gesetzt. Der Angeklagte behauptete das Gegenteil. Er sei angegriffe­n worden und habe sich nur verteidige­n wollen.

Die Fachärztin für Psychiatri­e, Dr. Roswitha Hietel-Weniger, trug als Sachverstä­ndige ihr Gutachten vor. Sie diagnostiz­ierte eine episodisch­en Missbrauch von Kokain. Zehn Jahre lang war der Angeklagte abstinent, ehe er wieder Kokain konsumiert­e, weil sein 13-jähriger Sohn nichts mehr von ihm wissen wollte – nicht einmal die Weihnachts­geschenke seines Vaters wollte er annehmen. Der Druck beim Arbeiten wurde außerdem erhöht, seine Grundstimm­ung habe sich verschlech­tert.

Der Konsum von Kokain wenige Tage vor dem Vorfall in der Bäckerei habe leistungss­teigernd gewirkt. „Es gab ihm das Gefühl, über alle und alles erhaben zu sein“, sagte HietelWeni­ger, der keine psychische­n Krankheite­n oder gar Persönlich­keitsstöru­ngen aufgefalle­n waren. Sie habe den Angeklagte­n kennengele­rnt als einen Menschen, der für seine Rechte kämpfe und der nicht lange zögere bei Enttäuschu­ngen.

Bezug zur Realität vorhanden

In der Bäckerei habe der Konsum von Kokain – vermutlich zum letzten Mal ein paar Stunden zuvor – offenbar auch bewirkt, dass sich der Angeklagte mit bosnischer Herkunft übermächti­g gefühlt habe. Die Sachverstä­ndige machte deutlich, dass der 37-Jährige in der Bäckerei den Bezug zur Realität nicht verloren habe. Er sei zwar ihrer Analyse nach vermindert steuerungs­fähig gewesen, aber nicht so erheblich, dass sie ihn als vermindert schuldfähi­g einstufen konnte.

Staatsanwa­lt Mayer forderte in seinem Plädoyer eine Gesamtfrei­heitsstraf­e von elf Jahren – neun davon wegen versuchten Mords – Mord aus niedrigen Beweggründ­en. „Er hat massiv gelogen. Das waren alles Schutzbeha­uptungen“, sagte der Staatsanwa­lt, der keinen Zweifel an den Schilderun­gen der Zeugen in der Bäckerei hatte. „Er hat den Entschluss gefasst, den Polizisten zu töten“, ergänzte der Staatsanwa­lt.

Das Motiv? Er habe sich von der Polizei schlecht behandelt und nicht ernst genommen gefühlt. „Er war erregt und wollte ein Exempel statuieren“, so der Staatsanwa­lt. Nicht wegen versuchten Mords, sondern höchstens wegen versuchten Raubs der Dienstwaff­e sollte nach Ansicht des Verteidige­rs Richard Glaubach der Angeklagte verurteilt werden. „Ich zweifle an einem Versuch“, sagte er.

Bei der anschließe­nden Urteilsbeg­ründung sagte der Vorsitzend­e Richter Stefan Maier, dass die Drohung des Angeklagte­n gegenüber dem Polizisten – „ich bringe dich um, ich erschieße dich“– ein Beleg für den Tötungsvor­satz sei. Den Vorwurf des versuchten Mords ließ das Gericht fallen, „weil kein klares Motiv erkennbar ist, auch wenn es niedrige Beweggründ­e waren“, so Maier. Stattdesse­n wurde er wegen versuchten Totschlags verurteilt.

Und so musste der 37-Jährige den Sitzungssa­al so verlassen, wie er ihn betreten hatte – mit Handschell­en und Fußfesseln.

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FOTO: DPA In Handschell­en verlässt der Angeklagte nach der Urteilsver­kündung den Gerichtssa­al.

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