Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Keine Experimente!
Unter Jupp Heynckes spielt der FC Bayern wieder wie unter Jupp Heynckes
MÜNCHEN - Schon klar, der Vergleich hinkt. Nicht nur, weil der Altkanzler, als für ihn vor genau 60 Jahren der berühmteste Wahlslogan der Bundesrepublik erdacht wurde, schon 81 Jahre alt war – wogegen sich die 72 Jahre des Fußballlehrers Jupp Heynckes geradezu jung ausnehmen. „Keine Experimente“sind für Jupp Heynckes, anders als einst für Konrad Adenauer, auch eher eine kurzfristige Programmati, ein Mittel zum Zweck. „Wenn ich so nach einem Drittel der Saison eine Mannschaft übernehme – was ich in meiner gesamten Laufbahn vorher auch noch nie gemacht habe – dann ist es doch notwendig, dass man Rückenwind bekommt, dass man die ersten Spiele gewinnt. Da können sie nicht viel Experimente machen“, sagte Heynckes nach dem 3:0 (2:0) des FC Bayern München gegen Celtic Glasgow in der Champions League.
Heynckes begründete mit diesen Sätzen, wieso er – bis auf den an der Schulter verletzten Heynckes’schen Lieblings-Balldieb Javi Martínez, den Sebastian Rudy mehr als ordentlich vertrat – auch gegen die überforderten Schotten die gleiche Startelf aufgeboten hatte, wie bei seinem Rückkehrspiel am Samstag gegen den SC Freiburg. „Keine Experimente“bedeutet für Heynckes bis auf Weiteres vor allem: Ade Rotation. Anders als seine Vorgänger Pep Guardiola und Carlo Ancelotti, die aus taktischen Gründen oder vielleicht auch einfach nur aus Prinzip, jedem Gegner eine andere Bayernelf entgegengesetzt hatten, will Heynckes auch in den anstehenden „riesigen Aufgaben“auf seinen festen Stamm setzen. Dem gehören neben seinen – gesunden – Triplesiegern von 2013 (Thomas Müller, Arjen Robben, Jérôme Boateng, David Alaba und bald wieder Martínez) auch die neuen Unersetzlichen Mats Hummels, Joshua Kimmich, Thiago, Kingsley Coman und Robert Lewandowski an. Im Gegenzug bedeutet dies, dass sich James und Corentin Tolisso, die zwei Wunschspieler Carlo Ancelottis, unter Heynckes erst einmal in Geduld übern müssen.
Die Stammelf soll sich durchbeißen, womöglich auch gegen den HSV am Samstag (18.30/Sky), ganz sicher aber nächste Woche zweimal gegen die HochgeschwindigkeitsÜberfallkicker von RB Leipzig und eine Woche drauf gegen Borussia Dortmund. „Es sind Hochleistungsprofis, die können drei Spiele ohne Probleme in einer Woche absolvieren“, sagte Heynckes lapidar.
„Keine Experimente“kann auch sonst über die ersten Wochen seiner vierten Amtszeit geschrieben werden. Unter Jupp Heynckes spielt die Mannschaft eben wieder wie unter Jupp Heynckes: Direkter als unter Pep Guardiola. Schneller und aggressiver als unter Carlo Ancelotti. Mit vielen, durchaus auch riskanten, Steilpässen versuchen die Spieler den Ball schnell nach vorne zu treiben. Oder sie flanken ihn in den Strafraum. Und plötzlich kommen die Flanken auch an, etwa die von Kingsley Coman vor Joshua Kimmichs Kopfball zum 2:0 (29.). „Ich habe Coman gesagt, er muss Tempo rausnehmen, bevor er flankt und den Kopf hochnehmen“, erklärte Heyn- ckes später. Es kann so einfach sein.
„Nicht alles Gold, was glänzt“
Einfach und schnörkellos. Wie Mats Hummels’ Kopfball zum 3:0 (51.) nach feiner Arjen-Robben-Ecke. Oder auch Thomas Müllers 1:0 (17.), der die „Zona Müller“wiederentdeckte und den Ball aus wenigen Metern ins Tor abstaubte und mit nun 40 Treffern der erfolgreichste deutsche Torschütze in der Champions League ist. Es ist nicht die große Fußballkunst, die der FC Bayern zelebriert, weniger dankbare Gegner wie Freiburg und Celitc hätten die Nachlässigkeiten in der Abwehr womöglich bestraft. Oder, um es mit Thomas Müller zu sagen: „Es ist noch nicht alles Gold, was glänzt.“Aber die Keine-Experimente-Programmatik hat einstweilen für eine gewisse Solidität gesorgt. Und für die Zukunft? Müller ergänzte, dass „ein kleiner Ruck durch die Mannschaft gegangen“sei. Wenn das nicht programmatisch gemeint war.