Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
EU-Parlament debattiert über Sexismus
Sprecherin bestätigt mehrere Fälle sexueller Verfolgung und Belästigung
STRASSBURG - Die Debatte über sexuelle Belästigung am Mittwoch im Europaparlament (EP) ist so emotional aufgeladen gewesen, dass die Dolmetscherinnen mit dem Übersetzen nicht hinterhergekommen sind. Angestoßen durch die Weinstein-Affäre in Hollywood hatte das Parlament das Thema auf die Tagesordnung gesetzt. Fast vierzig Abgeordnete meldeten sich zu Wort, darunter auch fünf Männer.
Terry Reintke, die frauenpolitische Sprecherin der Grünen im EP, stellte sich vor ihre Kollegen und hob ein Schild in die Höhe: „Me Too“, zu Deutsch: Auch mir ist es passiert. An ihre männlichen Kollegen appellierte sie, nicht länger wegzuschauen, wenn sie Zeugen sexueller Belästigung würden. Der Sozialdemokrat Udo Bullmann, einer der wenigen Männer auf der Rednerliste, erklärte: „Wir verneigen uns vor dem Mut der Betroffenen. Es ist nicht einfach, diese Vorgänge aufzudecken. Es ist diese Kultur der Zulässigkeit von Übergriffen, dieses dümmliche Dominanzverhalten. Wir müssen dem eine Kultur des Respekts und der Würde entgegensetzen.“Mit dem Mut der Betroffenen allerdings ist es so weit gar nicht her. Mehrere Journalisten hatten in den vergangenen Wochen versucht, Zeuginnen im Europaparlament zu finden, die bereit wären, ihre eigenen negativen Erfahrungen öffentlich zu machen – vergeblich.
Zwar meldeten sich über ein anonymes Webformular mehr als 30 Männer und Frauen aus dem Europaparlament bei der Zeitschrift Politico und berichteten über entsprechende Erfahrungen. Doch an die Öffentlichkeit will niemand von ihnen gehen. Eine Sprecherin des Parlaments bestätigte auf Anfrage, dass es in den vergangenen Jahren mehrere Fälle sexueller Verfolgung und Belästigung gegeben habe. Man habe „angemessene Maßnahmen“ergriffen und auch Mitarbeiter suspendiert. Mehr könne sie aus Datenschutzgründen nicht sagen. Die liberale Abgeordnete Sophia In‘t Veld bestätigte, dass es im Europaparlament einen Ausschuss gebe, an den sich betroffene Frauen wenden könnten, aber: „Seit 2014 ist das nur zehn Mal vorgekommen. Die Schwelle ist zu hoch.“Von männlichen Kollegen werde sie nun gefragt, was denn angemessenes Verhalten überhaupt sei. „Die Antwort ist leicht. Jeder sollte sich einfach fragen, wie er seine eigene Tochter behandelt wissen will. Sexistische Späße sind nicht witzig, sie sind sexistisch. Punkt.“
2013 erteilte die EU-Ombudsfrau dem Europäischen Parlament einen Verweis, weil die Beschwerde einer ehemaligen Praktikantin wegen sexueller Belästigung verschleppt worden sei. Es handle sich um einen klaren Fall von schlechter Verwaltungsführung, kritisierte sie. Die EU-Kommission erklärte gestern auf Anfrage, man habe eine „Null-Toleranz-Politik gegenüber sexuellen Übergriffen.“