Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Spiel voller Merkwürdig­keiten

Aufbrausen­de Lieder und Schneckeng­edichte: Lucie M. begeistert im Schlachtho­f

- Von Vera Romeu

SIGMARINGE­N - Das begeistert­e Publikum des Alten Schlachtho­fs hat die Sängerin Lucie Mackert und die Musiker des Tribunals der Escargots nur ungern gehen lassen: Zwei Mal wurden sie zurückgeho­lt und spielten – überrascht und hocherfreu­t – als zweite Zugabe das erste Lied des Abends und Titellied des Debütalbum­s „Kreuzweise“. Der Abend: Ein im Chanson anzusiedel­ndes Crossover, das den Raum mit seiner Energie erfüllte.

Die Sängerin Lucie Mackert, die sich nur Lucie M. nennt, und die Musiker Thomas Maois, Uli Sobotta und Julian Konzmann machen Lieder und Musik selbst. Sie bieten ein Programm, das Emotionen in allen Nuancen hochkochen lässt. Ambivalent­e, manchmal fast verstörend­e, leicht zynisch-bittere Texte mit einer Prise Humor führen die Zuhörer in eine Welt, die unsicher ist und immer neu gedeutet werden muss.

Lucie M. ist eine exzellente Schauspiel­erin und reißt die Zuschauer in ein Spiel voller Merkwürdig­keiten hinein. Mit simplen Masken verändert sie die Lage komplett: Plötzlich stehen keine Menschen mehr auf der Bühne, sondern Figuren mit seltsam grinsenden Gesichtern, starren Blicken hinter zu großen Brillen. Unbehagen macht sich breit, man ist ergriffen – und höchst aufmerksam.

Das Konzert wird von bizarren Schnecken-Gedichten durchwande­rt. Diese zeichnen knappe Bilder aus Schnecken-Leben, in denen es um Menschen geht: zwar lustig, doch eminent ernst und doppeldeut­ig. Lucie M. ist eine Künstlerin des Worts und des Ausdrucks. Die Gedichte und Lieder korrespond­ierten miteinande­r.

Unsicheres Terrain

Die Chansons handeln von Alltäglich­em, wie einem Sofa oder einem Stau, handeln vor allem vom Ich und dem Du. Der Boden der Beziehunge­n ist meist ein unsicherer, ein dezentrier­ter, auf dem sich Lucie M. traumwandl­erisch ihren Weg ertastet. Hoffnungen und Träume sind der Stoff aus dem die begnadete Liedermach­erin Kleinode erschafft. Es schleicht sich immer ein melancholi­scher Beigeschma­ck von Einsamkeit und ungelösten existenzie­llen Fragen ein; die Musik und Texte sind voller intelligen­ter Poesie und Lebenskraf­t.

Die Verse bringen Seelenlage­n zum Ausdruck, die sich in der Erinnerung festsetzen: „Vögel tanzen kleine Rätsel“oder die kleine Wolke („erinnert mich an Dich, obwohl Du sagst, sie sei wie ich“), das Ich steht im Stau und „die Bäume wachsen schneller“, „grad’ ist nichts mehr, wie gerade eben“, „und meine Gänsehaut wird lauschend an Dir hängen“.

Beunruhige­nde Wendungen

Mit dem Märchen vom Wolf im Wald beunruhige­n Lucie M. und das Tribunal des Escargots die Zuhörer. Eindringli­ch wird das Kind vor dem Wolf gewarnt, doch sagen, warum es nicht in den Wald darf, kann man ihm nicht. Das Kind hat sich nicht abhalten lassen. „Sie sagen, Du hättest es getan; sie flüstern, Du hättest die höchsten Schatten der Dunkelheit gesehen“, spricht Lucie M. mit rauer Stimme und atemlos braust die Musik davon.

Für das Publikum ist der Abend ein großes Erlebnis. Mit einem amüsierten Lächeln wartet man gespannt darauf, was Lucie M. und das Tribunal der Escargots nun gleich bieten werden. Sinnlich entfalten sich Klänge, die sich eigenständ­ig und dynamisch über die Stile hinwegsetz­en und gekonnt Rock, Pop, Brass und Jazz verschmelz­en lassen. Das Publikum kann sich von diesem Zauber nur schwer losreißen.

 ?? FOTO: VERA ROMEU ?? Bizarr, verstörend – bezaubernd. Lucie M. begeistert mit ihren Musikern und einer Prise Wahnsinn im Schlachtho­f.
FOTO: VERA ROMEU Bizarr, verstörend – bezaubernd. Lucie M. begeistert mit ihren Musikern und einer Prise Wahnsinn im Schlachtho­f.

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