Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Auch Katholiken nehmen am Reformationstag teil
In Stetten wandeln Kinder und Erwachsene auf Luthers Spuren
STETTEN AM KALTEN MARKT (sgr) - Mit einem besonderen Gottesdienst hat die evangelische Kirchengemeinde Stetten den 500. Jahrestag der durch Martin Luther angestoßenen Reformation des christlichen Glaubens gefeiert. Im Anschluss durfte jeder Interessierte auf den Spuren des Reformators wandeln und seinen eigenen Namen wie zu Luthers Zeiten mit Tinte und Gänsekiel auf Papier schreiben. Insbesondere die Kinder machten davon regen Gebrauch, nicht zuletzt auch deshalb, weil das Geschriebene anschließend an eine hölzerne Kirchentür genagelt werden durfte.
Zur Belohnung nach dieser anstrengenden Art des Schreibens und des unfallfreien Anbringens seiner „Visitenkarte“gab es für jedes Kind eine Handvoll „Lutherbonbons“. Mit dieser Aktion banden der Kirchengemeinderatsvorsitzende Stephan Spilleke und seine in der Jugendarbeit engagierte Frau Christine den „Halloween“-Abend mit in das Reformationsfest ein. Mit Kürbissen und Laternen vor der Kirche wollten die Verantwortlichen der Kirchengemeinde unter dem Motto: „Süßes zur Reformation oder Saures zu Halloween“auch diejenigen ansprechen, die sonst auf ihrem Weg zu „Süßem oder Saurem“an der Kirche vorbeigelaufen wären. Eigens für diesen Zweck sind Bonbons in orangefarbenes Papier mit Luthers Konterfei und dem Datum des Reformationsjubiläums eingepackt worden. Beim Jubiläumsgottesdienst am Nachmittag des Reformationstags war Stettens „blaue Kirche“, wie das evangelische Gotteshaus im Volksmund wegen seines blauen Anstrichs genannt wird, bis auf den letzten Platz besetzt. Darunter waren nicht wenige katholische Mitbürger, sogar Stettens katholischer Pfarrer und Hausherr der „gelben Kirche“, Geistlicher Rat Edwin Müller, befand sich unter den Gottesdienstbesuchern. Beim anschließenden geselligen Beisammensein bei Kaffee und Kuchen stieß Müllers Anwesenheit bei diesem „evangelischsten“aller Feste auf respektvolle Resonanz.
Neuer Pfarrer freut sich
Pfarrer Uwe Reich-Kunkel, der erst seit kurzer Zeit die evangelischen Gemeinden der Stettener Seelsorgeeinheit übernommen hat, und seine Frau, Pfarrerin Anja Kunkel, freuten sich sichtlich über das rege Interesse der Besucher. Denn auch für die Erwachsenen gab es manches zu bestaunen. So beispielsweise die 95 Thesen Martin Luthers, die inwändig an der Kirchentür befestigt waren. Trotz der dem heutigen Sprach- und Schreibstil angepassten Texte war der Inhalt nicht leicht zu lesen und zum Teil immer noch schwer verständlich. „Dass die Leute das damals verstanden haben, ist mir ein Rätsel“, sagte die Gottesdienstbesucherin Karin Mahl mit Blick auf das damals sehr niedrige Bildungsniveau.
Auch andere standen lange vor den Texten und versuchten, ein Stück weit jenen Zeitgeist zu erfassen, der diese für die Obrigkeit nicht konformen Schriften entstehen ließ und dessen Verfasser ein zutiefst gläubiger Mönch war. Gleich neben den Thesen zog ein weiterer Aushang die Blicke auf sich. Unter dem Titel „Kirchenbaum“zeigte eine grafische Darstellung die weiten Verzweigungen und Verästelungen, die der christliche Glaube seit Jesus Christus genommen hatte. Dabei zeigte sich, dass das Römisch-Katholische und das Evangelisch-Lutherische nur zwei der vielen Glaubensrichtungen sind, die das Christentum im Laufe seiner Geschichte eingeschlagen hat.