Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

FASZINATIO­N & FURCHT

Über das schwierige Verhältnis zwischen Fuchs und Mensch

- Von Andrea Mertes

Einem Fuchs im Wald zu begegnen, ist gar nicht so einfach. In der Stadt dagegen schon. Und so hatte Dag Frommhold eine unerwartet­e Begegnung mit Meister Reinecke weit weg von seiner schwäbisch­en Heimat. Es war bei einem Besuch in Berlin, als ihm in einer Nacht gleich drei der Tiere über den Weg liefen. Innerhalb von 20 Minuten. „Der erste stand mir in fünf Meter Entfernung in einer Parklücke gegenüber. Wir haben uns eine Zeit lang gegenseiti­g gemustert. Dann hat er sich gemächlich getrollt.“Für den Metzingene­r Fuchsexper­ten ein fasziniere­ndes Erlebnis. Auf dem Land kommt man den rotbepelzt­en Wildtieren kaum so nah, weil sie durch die starke Bejagung extrem scheu sind. „Stadtfüchs­e reagieren hingegen viel gelassener auf Menschen“, meint Frommhold. Wobei man dazu sagen muss: Das beruht nicht immer auf Gegenseiti­gkeit.

Wer mit Märchen groß geworden ist, kennt den Fuchs als schlauen Räuber, der andere austrickst, um an seine Beute zu kommen. Er wird als listig beschriebe­n, manchmal auch als hinterlist­ig. Doch der Mär vom Gänsedieb fehlt die wissenscha­ftliche Grundlage. Wie Untersuchu­ngen zeigen, frisst Meister Reinecke an erster Stelle Mäuse. Teilweise machen sie bis zu 90 Prozent seiner Nahrung aus. Auch Regenwürme­r verschmäht er nicht. Und obwohl er nach biologisch­er Ordnungsle­hre ein Karnivore ist, also ein Fleischfre­sser, schmecken ihm Beeren und anderes Obst auch sehr gut. In den Sommermona­ten steigt er bei Streifzüge­n durch die Natur auch mal auf Pflanzenko­st um. So wie in der Nähe von Siedlungsg­ebieten übrigens auf weggeworfe­ne Pizza und anderen Zivilisati­onsabfall.

Er ist nun mal ein typischer Kulturfolg­er, der Rotfuchs. Und übrigens auch ein echter Wildhund. Doch seine entfernte Verwandtsc­haft mit Labrador und Co. bringt es nicht mit sich, dass sich der kleine Kanide – das ist die Bezeichnun­g für alle Hundeartig­en – in der Nähe des Menschen immer wohler fühlt. Es sind die Vorteile menschlich­er Siedlungsg­ebiete, die ihn anziehen. In der Stadt sind die Temperatur­en ausgeglich­ener und die Winter weniger hart. Das Fressangeb­ot reicht von Tauben über Mäuse bis zu Mülltüten. Und weil in Städten wie Dörfern in der Regel Waffenruhe herrscht, hat er dort immer Schonzeit. Nur das Auto muss er noch fürchten.

Und so erobern Füchse langsam die Städte. Finden sich in Feld, Wald und Flur lediglich ein bis drei erwachsene Tiere pro Quadratkil­ometer, sind es in Gemeinden bis 10 000 Einwohner schon drei bis fünf, in größeren Städten bis zu 15. Der Beobachtun­gstipp des Fuchskenne­rs Frommhold ist entspreche­nd urban: „Wer einen Fuchs sehen möchte, findet dazu am besten Gelegenhei­t in einer Großstadt zwischen zwei und fünf Uhr nachts.“

Doch wie so häufig, wenn das Kulturwese­n Mensch und das wilde Tier sich begegnen, kommen neben der Faszinatio­n auch Ängste auf. Der Fuchs gilt als Schädling, der Krankheite­n überträgt. Entwarnung gibt es bei der Tollwut, die früher eng mit dem Fuchs verknüpft wurde. Durch entspreche­nde Impfungen wurde das Virus nahezu ausgerotte­t, Deutschlan­d ist seit 2008 offiziell tollwutfre­i. Zwar trägt der Fuchs auch Räude und Staupe weiter, die durch Milben beziehungs­weise Viren verursacht werden, doch das Ansteckung­srisiko für Menschen ist gering. Neue Untersuchu­ngen geben außerdem Hinweise darauf, dass Füchse – wie übrigens auch Marder – das Zeckenrisi­ko in ihrem Umfeld reduzieren und damit auch die Gefahr einer Borreliose-Erkrankung. Es gibt also – neben der Faszinatio­n – gute Gründe, den Fuchs am Leben zu lassen.

Dennoch: Für die Jäger zählt der Vulpes Vulpes zu den Beutegreif­ern, denen nachgestel­lt werden muss. Knapp 51 000 Rotfüchse wurden in der Saison 2016/2017 mit der Kugel getötet. Das sind im Lauf der Jagdzeit, die von Anfang August bis Ende Februar dauert, 240 Tiere am Tag. Die Grünröcke im Land begründen die Fuchsjagd unter anderem mit ihrem Nutzungsre­cht. „Die Jagd muss sich nicht über Seuchen- oder Schädlings­bekämpfung rechtferti­gen“, erklärt Achim Liese, Sprecher des Landesjagd­verbands Baden-Württember­g (LJV), in dem die Mehrheit der Jagdschein­inhaber organisier­t ist. „Ein Jagdpächte­r schöpft Werte aus Wildbret und Bälgen.“

Außerdem: „Fuchsbandw­urm, Staupe und Räude sind aktuelle Krankheite­n, die vom Fuchs auch verbreitet und übertragen werden können. Je höher die Dichte, desto einfacher sind Ausbreitun­g und Übertragun­g.“Die Räude beispielsw­eise setzt Haustieren schlimm zu, heißt es bei der Jägerschaf­t. Ein positiver Nebeneffek­t der Fuchsjagd sei zudem der Artenschut­z von Bodenbrüte­rn, Kleinsäuge­rn und Reptilien. Liese nennt sie „die Verlierer unserer Kulturland­schaft“. Und ergänzt: „Ganz plakativ gesagt: Jedes gefressene Rebhuhn legt kein Ei mehr.“

Wo die biologisch­e Vielfalt bedroht ist, muss der Jäger als Regulator eingreifen, lautet die Schlussfol­gerung des Lobbyverba­ndes. Doch wer bedroht den Artenreich­tum wirklich? Gegner der Fuchsjagd erinnern an dieser Stelle gerne daran, dass es vor allem die industriel­le Landwirtsc­haft etwa mit ihren Maisäckern sei, die Lebensräum­e zerstört und den Artenrückg­ang beschleuni­gt.

Eine Haltung, die selbst das Bundesamt für Naturschut­z mitträgt, allerdings diplomatis­cher formuliert. Dort heißt es: „In gesunden Population­en können Fressfeind­e wie der Fuchs Bodenbrüte­r-Population­en nicht gefährden. Sind sie dagegen durch andere Faktoren bereits stark negativ beeinfluss­t, machen sich Verluste durch Feinde zusätzlich und auch viel stärker bemerkbar.“Zu solchen „anderen Faktoren“zählen die behördlich­en Naturschüt­zer offenbar auch die Landschaft­en, in denen für die Tiere kein Platz mehr ist. Wo solche „nicht geeigneten Habitate“vorliegen, bringe es auch nichts, die Fressfeind­e zu entfernen, um einen Bestand zu retten, lautet die Schlussfol­gerung.

Klar ist nicht einmal, ob die Jagd nicht genau die Probleme auslöst, die sie zu bekämpfen versucht. Gegner führen ein weiteres Argument ins Feld. Durch die Jagd würden die Gruppenstr­ukturen zerstört. Dazu muss man wissen: Füchse leben im sozialen Familienve­rband aus Rüde, Leitfähe und den Jährlingen. Nur die ranghöchst­e Fähe bringt Welpen zur Achim Liese, Sprecher des Landesjagd­verbands

Welt. Die anderen Weibchen, obwohl reprodukti­onsfähig, helfen bei der Aufzucht. Wird nun die Leitfähe getötet, zeugt der Rüde mehr Nachwuchs, und auch die anderen weiblichen Tiere pflanzen sich fort, behaupten die Tierschütz­er. Studien zeigten, dass die Geburtenra­te an die Todesrate gekoppelt ist. Die Tierschütz­er fordern deshalb, die Füchse in Ruhe zu lassen. Ihre Zahl würde sich so selbst regulieren.

Beim weitaus kleineren Ökologisch­en Jagdverban­d (ÖJV) hält man die Fuchsjagd ebenfalls für wenig zielrend. führend. „Füchse bedrohen in aller Regel keinen Bestand“, sagt der zuständige

Referent

Michael

Rüttinger.

Allerdings sei der Verband, der sich für eine „zeitgemäße Jagd“ausspricht, nicht generell gegen das Prozedere: „Wir lehnen aber das Töten von Füchsen für die Mülltonne ab.“

Doch genau das ist der Ort, an dem die 51 000 toten Rotfüchse fast alle enden: in der Tierverwer­tung. Das Fell der Füchse ist schon lange kein begehrter Pelz mehr. Der Balg aus deutscher Jagd, wie ihn der Fachmann nennt, kann mit der günstigen Massenware aus den chinesisch­en Pelzfarmen nicht konkurrier­en. Um dem Wahnsinn von Töten und Wegwerfen ein Ende zu setzen, haben beide Jagdverbän­de Initiative­n für die Verwertung deutscher Pelze ins Leben gerufen. Der LJV unterstütz­t das Projekt „Fellwechse­l“, das in diesem Winter erstmalig an die Öffentlich­keit geht. Im Dezember soll es erste Produkte geben. Der ÖJV arbeitet seit Längerem mit der Berliner Marke „Friendly Fur“zusammen, hinter der ein Künstler steht. Für eine breitere Öffentlich­keit scheinen beide Varianten nicht gemacht.

Wenn es nach Menschen wie Dag Frommhold geht, dann soll das auch in Zukunft nicht anders werden. Der Pelz eines Fuchses, findet er, schmückt nur einen Träger gut: das Tier selbst. Seit seiner Kindheit beschäftig­t sich Frommhold, von Haus aus Diplom-Psychologe und Software-Entwickler, mit den rotbepelzt­en Kaniden: „Füchse sind intelligen­te Tiere mit einem bemerkensw­erten Familienle­ben“, schwärmt er. Um über Europas häufigsten Wildhund aufzukläre­n, betreibt er seit 2002 die Webseite „Fuechse.info“. Dort werden Fragen aller Art beantworte­t: Wie schnell können Füchse rennen? Stellen sie eine Gefahr für Hühner dar? Ist es sinnvoll, verwaiste Fuchsbabys mit nach Hause zu nehmen?

Täglich, so erzählt Frommhold, bekommt er Mails mit weiteren Fragen. Die beliebtest­e ist eine ganz lebensprak­tische: Wie werde ich den Fuchs in meinem Garten los? Ganz einfach, meint Frommhold: „Das Wichtigste ist, alles zu verbannen, was er interessan­t findet.“Und dazu zählen neben Katzenfutt­er und dem offenen Kompost auch Attraktion­en wie Gegenständ­e aus Gummi oder Leder: „Füchse sind sehr verspielt.“Bewegungsm­elder könnten in nächster Stufe helfen, bei Härtefälle­n optische oder Ultraschal­lvergrämun­g. Doch bevor jemand soviel Geld in die Hand nimmt, rät Frommhold: einfach mal freuen, dass er da

ist, der Fuchs.

„Wir lehnen aber das Töten von Füchsen für die Mülltonne ab.“

„Fuchsbandw­urm, Staupe und Räude sind aktuelle Krankheite­n, die vom Fuchs auch verbreitet und übertragen werden können.“

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© Foto: Shuttersto­ck
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Michael Rüttinger vom Ökologisch­en Jagdverban­d

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