Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Bestandsaufnahme GURLITT
Ausstellungen in Bern und Bonn beleuchten die Hintergründe des „Schwabinger Kunstfunds“
Endlich sind sie zu sehen, die Bilder aus dem Besitz des Cornelius Gurlitt, die als „Schwabinger Kunstfund“Berühmtheit erlangt haben. In zwei parallelen Ausstellungen unter dem Titel „Bestandsaufnahme Gurlitt“präsentieren das Kunstmuseum Bern 150 Werke aus dem Bestand der „Entarteten Kunst“und die Bundeskunsthalle Bonn 250 Arbeiten, bei denen es sich um Raubkunst handeln könnte.
Es sind keine „normalen“Kunstausstellungen, aber es sind auch nicht die Sensationsschauen, die nach dieser völlig unangemessenen Demonstration staatlicher Macht in Kombination mit der ebenso überzogenen medialen Inszenierung des sogenannten Schwabinger Kunstfunds zu erwarten waren. Der erweist sich in der Rückschau als eine juristisch zweifelhafte Beschlagnahmung durch die Augsburger Staatsanwaltschaft. Der vermeintlich milliardenschwere „Nazi-Schatz“, wie damals sensationsheischend die Zeitschrift „Focus“mit einem triumphierenden Hitler vor einem Marc-Gemälde titelte, entpuppt sich als wohl bestückter Lagerbestand eines erfahrenen Kunsthändlers mit Schwerpunkt Expressionismus. Von Milliarden ist nicht mehr die Rede, gleichwohl von Millionenwerten.
Vier Werke restituiert
Das aus der „Taskforce Schwabinger Kunstfund“hervorgegangene Projekt „Provenienzrecherche Gurlitt“hat von den 1500 Werken sechs zweifelsfrei als von den Nationalsozialisten geraubte Kunst nachgewiesen. Vier wurden bislang restituiert.
Alle diese Bilder haben eine Geschichte. Just am Tag der Eröffnung in Bonn wurde bekannt, dass ein weiteres Werk, das Porträt einer sitzenden Jungen Frau von Thomas Couture, als NS-Raubkunst identifiziert werden konnte. Das Bild gehörte dem französischen Politiker Georges Mandel, den die deutschen Besatzer im Juli 1944 von der französischen Miliz im Wald von Fontainebleau ermorden ließen. Seine Pariser Wohnung war längst vorher geplündert worden – es war ein organisierter Raub im Auftrag des deutschen Staates, ausgeführt von deutschen Kunsthistorikern und Kunsthändlern. Einer davon: Hildebrand Gurlitt (1895 – 1956). Er ist die Schlüsselfigur dieses Dramas.
Angeblich, so legt es die Filmdokumentation „Gurlitts Schatten“von Stefan Zucker nahe, die am heutigen Samstagabend auf 3sat ausgestrahlt wird, soll der Zollbeamte, der Cornelius Gurlitt im Zug befragt hatte, beim Protokollschreiben den Namen gegoogelt haben. Er stieß auf Hildebrand Gurlitt, den Vater von Cornelius, und fand die Signalworte „Entartete Kunst“, „nationalsozialistischer Kunstraub“, „Haupteinkäufer für das Hitlermuseum in Linz“. Aus der Ermittlung wegen „Verkürzung der Einfuhrumsatzsteuer“wurde der „Fall Gurlitt“– und der alte Herr aus dem Zug zu einer tragischen Figur.
Hildebrand Gurlitt aber ist der eigentliche Schlüssel zu der Geschichte der Sammlung. Von den Nationalsozialisten als „Vierteljude“gedemütigt, hat er dennoch mit ihnen gute Geschäfte gemacht und für sie den Kunstraub in Frankreich organisiert. Nach dem Krieg arbeitete er unbehelligt von Strafverfolgung mit den Besatzungsbehörden zusammen und bekam seine Bilder wieder. Von 1948 an bis zu seinem Tod war er Leiter des Kunstvereins für die Rheinlande und Westfalen in Düsseldorf.
Die Gurlitts waren eine kunstsinnige Familie aus Dresden. Es gab Architekten, Musikwissenschaftler, Maler und Kunsthändler. Hildebrand Gurlitt war schon früh ein glühender Verehrer der expressionistischen Kunst mit ihren leuchtenden Farben und starken Gesten.
Kunstretter oder Verwerter?
Als Kunsthistoriker setzte er sich für die neue Kunstrichtung ein, präsentierte Pechstein und Heckel im Museum in Zwickau, das er seit 1925 leitete. Die oben abgebildete Zeichnung „Zwei Akte auf Lager“von Ernst Ludwig Kirchner ist ein schönes Beispiel für die Wendigkeit dieses Mannes. 1928 erwarb er das Werk für sein Museum. 1937 wurde es vom Reichspropagandaministerium als „entartete Kunst“beschlagnahmt. 1940 kaufte es Hildebrand Gurlitt den Nazis wieder ab. Die Berner Ausstellung nennt die unglaubliche Zahl von 20 000 Werken von 1400 Künstlern, die die nationalsozialistischen Machthaber aus über 100 deutschen Museen entfernt haben.
Unter der Überschrift „Kunstretter oder Verwerter?“stellt die Berner
Ausstellung vier Kunsthändler vor, die den Museen entzogene Kunstwerke gewinnbringend weiterverkaufen sollten. Am bekanntesten ist die Auktion 1939 in der Galerie Fischer in Luzern. In der Ausstellung heißt es: „Am umfangreichsten waren aber Einzelverkäufe im Auftrag
des Deutschen Reiches. Sie wurden größtenteils durch die Kunsthändler Bernhard A. Böhmer, Karl Buchholz, Hildebrand Gurlitt und Ferdinand Möller getätigt.“Hildebrand Gurlitt wurde nicht etwa gezwungen, für den NS-Staat tätig zu werden. Er hat sich selber angeboten – und er hat mit dieser Tätigkeit vor allem seine Bestände an moderner Kunst vervielfacht. Die Provenienzforschung hat herausgefunden, dass Gurlitt 3879 Werke aus dem Beschlagnahmegut aus deutschen Museen übernommen hat: 78 Gemälde, 278 Aquarelle, 52 Zeichnungen und 3471 Druckgrafiken. Verkauft hat er einige davon an private Sammler im Ausland, aber auch in Deutschland, was eigentlich verboten war. Die meisten Kunstwerke, die in Bern zu sehen sind, stammen aus diesem Konvolut.
Erstaunen über Bern
Als bekannt wurde, dass Cornelius Gurlitt das Kunstmuseum Bern als Alleinerbe eingesetzt hatte, hielt das Paul Frehner, der Direktor der Sammlungen Kunstmuseum und Paul Klee, zunächst für einen schlechten Scherz. Warum Bern? Das ist unklar. Klar ist nur, dass es ein belastetes Erbe ist. Das wusste Cornelius Gurlitt, und das wissen auch die neuen Erben.
Die Schweizer haben lange verhandelt mit der Bundesrepublik und dem Freistaat. Dann einigte man sich darauf, dass in Bern nur gezeigt werde,
was eindeutig keine Raubkunst ist. Das spiegelt nun die aktuelle Ausstellung im Kunstmuseum wider. Die von den Nazis als „entartet“verfolgte Kunst ist quasi unverdächtig. Denn in diesem Fall hat sich der deutsche Staat nur selbst beraubt.
Staat organisiert Kunstraub
Teil der Vereinbarungen zwischen der Schweiz und Deutschland ist, dass alle übrigen Bilder, bei denen die Herkunft nicht lückenlos dokumentiert werden kann, zur weiteren Erforschung in Deutschland verbleiben. Diesem Konvolut widmet sich die Bonner Kunsthalle. Dort geht es um den „NS-Kunstraub und die Folgen“. Dargestellt werden soll, wie Künstler und Sammler Opfer der nationalsozialistischen Entrechtungsund Vernichtungspolitik wurden. Rein Wolfs, Intendant der Bundeskunsthalle, erklärt, dass man sich auf die unterschiedlichen Zeiträume konzentriere, zu denen Hildebrand Gurlitt als Museumsdirektor, Sammler und Händler aktiv war. Hildebrand Gurlitt hatte im Frühjahr 1943 den Auftrag erhalten, in Frankreich Werke für das „Führermuseum“in Linz anzukaufen. Im Bestand Gurlitt befinden sich heute Arbeiten von Renoir, Signac, Courbet, auch ein Picasso ist dabei. Wann und wie kamen sie in die Sammlung? Wurden sie erworben oder den Vorbesitzern abgepresst? War es Raub?
Die Berner Präsentation endet mit einem Hinweis auf eine Ausstellung in Luzern im Jahr 1953. Unter dem Titel „Deutsche Kunst – Meisterwerke des 20. Jahrhunderts“sollte es wohl eine Art Wiedergutmachung an der „entarteten“Kunst sein. Die Schirmherrschaft hatte Theodor Heuss. Hildebrand Gurlitt war Mitglied des Ehrenkomitees. Er schickte 24 Bilder aus seinem Besitz.