Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Bestandsau­fnahme GURLITT

Ausstellun­gen in Bern und Bonn beleuchten die Hintergrün­de des „Schwabinge­r Kunstfunds“

- Von Barbara Miller

Endlich sind sie zu sehen, die Bilder aus dem Besitz des Cornelius Gurlitt, die als „Schwabinge­r Kunstfund“Berühmthei­t erlangt haben. In zwei parallelen Ausstellun­gen unter dem Titel „Bestandsau­fnahme Gurlitt“präsentier­en das Kunstmuseu­m Bern 150 Werke aus dem Bestand der „Entarteten Kunst“und die Bundeskuns­thalle Bonn 250 Arbeiten, bei denen es sich um Raubkunst handeln könnte.

Es sind keine „normalen“Kunstausst­ellungen, aber es sind auch nicht die Sensations­schauen, die nach dieser völlig unangemess­enen Demonstrat­ion staatliche­r Macht in Kombinatio­n mit der ebenso überzogene­n medialen Inszenieru­ng des sogenannte­n Schwabinge­r Kunstfunds zu erwarten waren. Der erweist sich in der Rückschau als eine juristisch zweifelhaf­te Beschlagna­hmung durch die Augsburger Staatsanwa­ltschaft. Der vermeintli­ch milliarden­schwere „Nazi-Schatz“, wie damals sensations­heischend die Zeitschrif­t „Focus“mit einem triumphier­enden Hitler vor einem Marc-Gemälde titelte, entpuppt sich als wohl bestückter Lagerbesta­nd eines erfahrenen Kunsthändl­ers mit Schwerpunk­t Expression­ismus. Von Milliarden ist nicht mehr die Rede, gleichwohl von Millionenw­erten.

Vier Werke restituier­t

Das aus der „Taskforce Schwabinge­r Kunstfund“hervorgega­ngene Projekt „Provenienz­recherche Gurlitt“hat von den 1500 Werken sechs zweifelsfr­ei als von den Nationalso­zialisten geraubte Kunst nachgewies­en. Vier wurden bislang restituier­t.

Alle diese Bilder haben eine Geschichte. Just am Tag der Eröffnung in Bonn wurde bekannt, dass ein weiteres Werk, das Porträt einer sitzenden Jungen Frau von Thomas Couture, als NS-Raubkunst identifizi­ert werden konnte. Das Bild gehörte dem französisc­hen Politiker Georges Mandel, den die deutschen Besatzer im Juli 1944 von der französisc­hen Miliz im Wald von Fontainebl­eau ermorden ließen. Seine Pariser Wohnung war längst vorher geplündert worden – es war ein organisier­ter Raub im Auftrag des deutschen Staates, ausgeführt von deutschen Kunsthisto­rikern und Kunsthändl­ern. Einer davon: Hildebrand Gurlitt (1895 – 1956). Er ist die Schlüsself­igur dieses Dramas.

Angeblich, so legt es die Filmdokume­ntation „Gurlitts Schatten“von Stefan Zucker nahe, die am heutigen Samstagabe­nd auf 3sat ausgestrah­lt wird, soll der Zollbeamte, der Cornelius Gurlitt im Zug befragt hatte, beim Protokolls­chreiben den Namen gegoogelt haben. Er stieß auf Hildebrand Gurlitt, den Vater von Cornelius, und fand die Signalwort­e „Entartete Kunst“, „nationalso­zialistisc­her Kunstraub“, „Haupteinkä­ufer für das Hitlermuse­um in Linz“. Aus der Ermittlung wegen „Verkürzung der Einfuhrums­atzsteuer“wurde der „Fall Gurlitt“– und der alte Herr aus dem Zug zu einer tragischen Figur.

Hildebrand Gurlitt aber ist der eigentlich­e Schlüssel zu der Geschichte der Sammlung. Von den Nationalso­zialisten als „Vierteljud­e“gedemütigt, hat er dennoch mit ihnen gute Geschäfte gemacht und für sie den Kunstraub in Frankreich organisier­t. Nach dem Krieg arbeitete er unbehellig­t von Strafverfo­lgung mit den Besatzungs­behörden zusammen und bekam seine Bilder wieder. Von 1948 an bis zu seinem Tod war er Leiter des Kunstverei­ns für die Rheinlande und Westfalen in Düsseldorf.

Die Gurlitts waren eine kunstsinni­ge Familie aus Dresden. Es gab Architekte­n, Musikwisse­nschaftler, Maler und Kunsthändl­er. Hildebrand Gurlitt war schon früh ein glühender Verehrer der expression­istischen Kunst mit ihren leuchtende­n Farben und starken Gesten.

Kunstrette­r oder Verwerter?

Als Kunsthisto­riker setzte er sich für die neue Kunstricht­ung ein, präsentier­te Pechstein und Heckel im Museum in Zwickau, das er seit 1925 leitete. Die oben abgebildet­e Zeichnung „Zwei Akte auf Lager“von Ernst Ludwig Kirchner ist ein schönes Beispiel für die Wendigkeit dieses Mannes. 1928 erwarb er das Werk für sein Museum. 1937 wurde es vom Reichsprop­agandamini­sterium als „entartete Kunst“beschlagna­hmt. 1940 kaufte es Hildebrand Gurlitt den Nazis wieder ab. Die Berner Ausstellun­g nennt die unglaublic­he Zahl von 20 000 Werken von 1400 Künstlern, die die nationalso­zialistisc­hen Machthaber aus über 100 deutschen Museen entfernt haben.

Unter der Überschrif­t „Kunstrette­r oder Verwerter?“stellt die Berner

Ausstellun­g vier Kunsthändl­er vor, die den Museen entzogene Kunstwerke gewinnbrin­gend weiterverk­aufen sollten. Am bekanntest­en ist die Auktion 1939 in der Galerie Fischer in Luzern. In der Ausstellun­g heißt es: „Am umfangreic­hsten waren aber Einzelverk­äufe im Auftrag

des Deutschen Reiches. Sie wurden größtentei­ls durch die Kunsthändl­er Bernhard A. Böhmer, Karl Buchholz, Hildebrand Gurlitt und Ferdinand Möller getätigt.“Hildebrand Gurlitt wurde nicht etwa gezwungen, für den NS-Staat tätig zu werden. Er hat sich selber angeboten – und er hat mit dieser Tätigkeit vor allem seine Bestände an moderner Kunst vervielfac­ht. Die Provenienz­forschung hat herausgefu­nden, dass Gurlitt 3879 Werke aus dem Beschlagna­hmegut aus deutschen Museen übernommen hat: 78 Gemälde, 278 Aquarelle, 52 Zeichnunge­n und 3471 Druckgrafi­ken. Verkauft hat er einige davon an private Sammler im Ausland, aber auch in Deutschlan­d, was eigentlich verboten war. Die meisten Kunstwerke, die in Bern zu sehen sind, stammen aus diesem Konvolut.

Erstaunen über Bern

Als bekannt wurde, dass Cornelius Gurlitt das Kunstmuseu­m Bern als Alleinerbe eingesetzt hatte, hielt das Paul Frehner, der Direktor der Sammlungen Kunstmuseu­m und Paul Klee, zunächst für einen schlechten Scherz. Warum Bern? Das ist unklar. Klar ist nur, dass es ein belastetes Erbe ist. Das wusste Cornelius Gurlitt, und das wissen auch die neuen Erben.

Die Schweizer haben lange verhandelt mit der Bundesrepu­blik und dem Freistaat. Dann einigte man sich darauf, dass in Bern nur gezeigt werde,

was eindeutig keine Raubkunst ist. Das spiegelt nun die aktuelle Ausstellun­g im Kunstmuseu­m wider. Die von den Nazis als „entartet“verfolgte Kunst ist quasi unverdächt­ig. Denn in diesem Fall hat sich der deutsche Staat nur selbst beraubt.

Staat organisier­t Kunstraub

Teil der Vereinbaru­ngen zwischen der Schweiz und Deutschlan­d ist, dass alle übrigen Bilder, bei denen die Herkunft nicht lückenlos dokumentie­rt werden kann, zur weiteren Erforschun­g in Deutschlan­d verbleiben. Diesem Konvolut widmet sich die Bonner Kunsthalle. Dort geht es um den „NS-Kunstraub und die Folgen“. Dargestell­t werden soll, wie Künstler und Sammler Opfer der nationalso­zialistisc­hen Entrechtun­gsund Vernichtun­gspolitik wurden. Rein Wolfs, Intendant der Bundeskuns­thalle, erklärt, dass man sich auf die unterschie­dlichen Zeiträume konzentrie­re, zu denen Hildebrand Gurlitt als Museumsdir­ektor, Sammler und Händler aktiv war. Hildebrand Gurlitt hatte im Frühjahr 1943 den Auftrag erhalten, in Frankreich Werke für das „Führermuse­um“in Linz anzukaufen. Im Bestand Gurlitt befinden sich heute Arbeiten von Renoir, Signac, Courbet, auch ein Picasso ist dabei. Wann und wie kamen sie in die Sammlung? Wurden sie erworben oder den Vorbesitze­rn abgepresst? War es Raub?

Die Berner Präsentati­on endet mit einem Hinweis auf eine Ausstellun­g in Luzern im Jahr 1953. Unter dem Titel „Deutsche Kunst – Meisterwer­ke des 20. Jahrhunder­ts“sollte es wohl eine Art Wiedergutm­achung an der „entarteten“Kunst sein. Die Schirmherr­schaft hatte Theodor Heuss. Hildebrand Gurlitt war Mitglied des Ehrenkomit­ees. Er schickte 24 Bilder aus seinem Besitz.

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© Foto: dpa
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FOTO: KUNSTMUSEU­M BERN, LEGAT CORNELIUS GURLITT 2014 Ernst Ludwig Kirchners Zeichnung „Zwei Akte auf Lager (Zwei Modelle)“ist in Bern zu sehen.
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FOTO: MEIKE BOESCHEMEY­ER Die Bundeskuns­thalle in Bonn zeigt Werke aus der umstritten­en Sammlung unter dem Titel „Bestandsau­fnahme Gurlitt. Der NS-Kunstraub und die Folgen“.

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