Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Neue Ideen treffen auf alte Vorstellun­gen

Ein Neubaugebi­et entzweit Wangen – In der Allgäuer Stadt ist eine Grundsatzd­ebatte um Wohnformen im Gange

- Von Jan-Peter Steppat

WANGEN - Was tun gegen Wohnraumma­ngel? Diese Frage hat vor Ort ganz konkrete Ausprägung­en. Ein Beispiel ist Wangen (Landkreis Ravensburg). Über kurz oder lang wird die Allgäustad­t die 28 000-Einwohner-Marke knacken. Der Bedarf an Wohnraum ist enorm – und zwar in allen Einkommens­schichten. Offen ist, welche Richtung beim Wohnungsba­u eingeschla­gen werden soll. Eine Grundsatzd­ebatte ist in Gang geraten.

Wer in Wangen und Umgebung fremd ist, dem fällt – neben der malerische­n Altstadt – sofort das viele Grün auf. Wohnungsma­ngel müsste ein Fremdwort sein, denkt man. Denn: Bebaubare Fläche gibt es doch sicher mehr als genug.

Irrtum. Wangen hat in der Tat jede Menge Wiesen und Natur. Aber der kleinste Teil ist bebaubar. Die Gründe dafür sind unterschie­dlich. Einer lautet: Die Stadt ist umringt von geschützte­n Flächen. Ein anderer hat mit der Landwirtsc­haft zu tun: Die Bauern bewirtscha­ften ihren Boden. An Verkauf denken die wenigsten, allein der niedrigen Zinsen wegen.

Also herrscht in Wangen Flächenman­gel für Bauland. Deshalb stellt sich die Frage: Was soll auf den wenigen bebaubaren Flächen entstehen? Die gerade in ländlichen Gebieten lange so beliebten Einfamilie­nhäuser? Oder ist eine andere Denkweise nötig, um mehr Wohnraum generell, insbesonde­re für einkommens­schwächere Menschen zu schaffen?

An einer vier Hektar großen Wiese zwischen zwei bestehende­n Baugebiete­n scheiden sich da die Geister. Vor gut anderthalb Jahren traten mit Michael Scheidler und Matthias Vetter zwei örtliche Architekte­n auf den Plan, die eine Grobskizze für die Wiese vorstellst­en: Mehrgescho­sser prägten die Zeichnung, mit Wohnungen auf drei bis vier Etagen und gemeinscha­ftlich nutzbaren Grünfläche­n. Autos sollen weitgehend draußen bleiben, in einem zentralen Parkhaus.

Die Idee schockiert­e die bestehende Nachbarsch­aft in den Haid und Wittwais genannten Siedlungen mit vielen Eigenheime­n. Weil viele die Idee der Architekte­n für nicht verträglic­h halten, gründete sich eine Bürgerinit­iative. Mehr als 200 Mitglieder hat sie mittlerwei­le nach eigenen Angaben. Mit Geschosswo­hnungsbau verbinden diese offenbar vielfach Wohntürme oder Blöcke, die ihnen die Lebensqual­ität auf der eigenen Scholle einschränk­en könnten. Das wurde deutlich, als die Stadt in diesem Frühjahr ihre eigenen, ersten Ideen für die vier Hektar Bauland bei einer Versammlun­g vorstellte.

Zu diesem Zeitpunkt hatten die Architekte­n ebenfalls eine Initiative gegründet – das Wohnungsba­uforum Wangen. Die deutlich kleinere Gruppierun­g aus Experten, fachlich Interessie­rten und einigen Lokalpolit­ikern will seither eine Gegenbeweg­ung anstoßen: weg vom klassische­n Einfamilie­nhaus, hin zu Mehrfamili­engebäuden mit (grünem) Innenleben, Gemeinscha­ftsflächen und – wo möglich – auch anderen Wohnformen. Dabei haben sie historisch­e Vorbilder: Siedlungen früherer Jahrzehnte, etwa aus den 1920er-Jahren in München.

Der Wangener Gemeindera­t kennt die Anliegen der Anwohner von Haid und Wittwais, aber auch die Vorschläge des Forums und der Stadt. Letztere setzt auf eine Mischform aus Einfamilie­n-, Reihen-, Doppel- und Mehrfamili­enhäusern – mit dem Schwerpunk­t auf dem klassische­n Eigenheim. Allerdings: Im Auftrag der Kommune werden aktuell drei Varianten für die Wiese entwickelt, anschließe­nd dürfte es eine Grundsatze­ntscheidun­g der Lokalpolit­ik geben. Wobei Oberbürger­meister Michael Lang den Grundsatz prägt: Neues muss zu Altem passen. Sprich: Anwohnern sollte nichts vor die Nase gesetzt werden, was nicht passt.

Bis entschiede­n, konkret geplant und letztlich gebaut wird, dürfte Zeit vergehen. Dabei ist es aber nicht so, dass sich in Wangen auf dem Wohnungsba­usektor nichts tut. Eben erst hat die örtliche Baugenosse­nschaft – größter Anteilseig­ner ist die Stadt – ein Großprojek­t abgeschlos­sen. In den vergangene­n zwölf Jahren sind acht große Mehrfamili­enhäuser mit insgesamt 136 Wohnungen entstanden. Für zusammen 17 Millionen Euro und übrigens mitten in der Wittwais und ganz in der Nähe der umstritten­en Wiese.

In einem anderen Stadtviert­el, nahe dem stillgeleg­ten Industrieg­elände der früheren Baumwollsp­innerei Erba und dem Mittelpunk­t der Landesgart­enschau 2024, geht es bald los. Wie in der Wittwais weichen dort marode Gebäude modernen Mehrgescho­ssern. 67 Zwei- bis Vier-Zimmerwohn­ungen sollen dort entstehen – ebenfalls unter der Ägide der Baugenosse­nschaft. Die ersten könnten 2019 fertig sein.

Dass all diese Investitio­nen den Bedarf nicht decken können, ist den Verantwort­lichen dennoch klar. So hat die Stadt für sozial Schwache ein Modell entwickelt. Das besagt vereinfach­t: Die Kommune schreibt ein ihr gehörendes Grundstück aus. Der ausgewählt­e Investor übernimmt das Areal in Erbpacht und baut das Haus. Die Stadt mietet anschließe­nd das Gebäude für mindestens fünf Jahre und tritt als Vermieter für Bürger auf, die einen Wohnberech­tigungssch­ein haben. Im Gegenzug überlässt sie dem Investor den Erbpachtzi­ns – und zwar so lange, wie das Gebäude nach den Sozialkrit­erien vermietet wird.

Einmal hat dieses Modell bereits geklappt. Ein weiteres ist in Planung. Dass dennoch weiter diskutiert wird, steht indes außer Frage. Denn Wangen ist das Exempel einer kleinen Stadt für die wohnungspo­litische Debatte im Großen.

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FOTO: JAN PETER STEPPAT Michael Scheidler (links) und Matthias Vetter haben historisch­e Vorbilder für ihre Ideen gegen die Wohnungsno­t in Wangen.

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