Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Karlsruhe stärkt Kontrollrechte des Bundestags
Auch bei Staatsunternehmen wie der Deutschen Bahn AG haben Abgeordnete einen Anspruch auf Auskunft
BERLIN - Es ist eine schallende Ohrfeige für die frühere schwarz-gelbe Regierung Merkel. Wenn die Opposition fragt, muss die Regierung antworten, hat das Bundesverfassungsgericht am Dienstag klargestellt. „Die Bundesregierung hat damit eine schwere Schlappe erlitten und das Parlament ist vehement gestärkt“, sagt Hans Christian Ströbele (Grüne) triumphierend.
Die Entscheidung ist ein Gewinn für den Bundestag. Die Bundesregierung muss in Zukunft Fragen des Parlaments klar beantworten. Andernfalls bestehe die Gefahr, dass „Rechtsverstöße und vergleichbare Missstände in Regierung und Verwaltung nicht aufgedeckt werden könnten“, so das Gericht in seiner Begründung. „Das heute verkündete Urteil führt zu einer Stärkung des parlamentarischen Informationsrechts“, stellte Andreas Voßkuhle, der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, am Dienstag klar. Nur so seien eine effektive Oppositionsarbeit im Bundestag und eine wirksame Kontrolle der Bundesregierung möglich. Grundsätzlich müsse die Regierung der Opposition Auskunft geben und dürfe diese nur mit einer nachvollziehbaren Begründung verweigern, etwa wenn das Staatswohl gefährdet sei.
2010 hatten die Grünen im Bundestag detaillierte Auskünfte über die Bankenkrise und zur Bahn und deren Milliardenprojekt „Stuttgart
21“von der Bundesregierung gefordert. Doch die parlamentarischen Anfragen waren entweder gar nicht oder nur sehr allgemein und lückenhaft beantwortet worden. Die zuständigen Ministerien hatten mit Verweis auf Geschäftsgeheimnisse die Auskunft weitgehend verweigert. Die Grünen wollten seinerzeit Klarheit über die Maßnahmen zur Bankenkrise und die Milliardenkosten für die Steuerzahler. Sie warfen der Bundesregierung vor, die Aufklärung zu verhindern. Die lehnte konkrete Auskünfte mit der Begründung ab, dass diese die Rettungsaktionen gefährden und die Krise verschärfen könnten. Auch zur Kostenexplosion beim Bahnprojekt „Stuttgart 21“gab es mit Verweis auf Geschäftsgeheimnisse des Unternehmens nur allgemeine Auskünfte. Die Grünen zogen schließlich nach Karlsruhe und klagten vor dem Bundesverfassungsgericht. Jetzt bekamen es Kanzlerin Merkel und frühere Regierungsmitglieder schwarz auf weiß: Die Bundesregierung habe die Informationen „zu Unrecht verweigert“.
„Es ist eine Operation am offenen Herzen der Demokratie“, hatte Verfassungsgerichtspräsident Voßkuhle bereits bei einer Expertenanhörung im Mai erklärt. Schließlich sei das Fragerecht der Abgeordneten eine der effektivsten Waffen der Opposition mit zentraler Bedeutung für die Demokratie.
Mit der Karlsruher Entscheidung wäre die Arbeit im NSA-Untersuchungsausschuss einfacher gewesen, so der Grünen-Abgeordnete Konstantin von Notz. Ein pauschales Vorschieben von Staatswohlinteressen sei jetzt nicht mehr legitim. „Die Öffentlichkeit hat hier heute einen großen Sieg errungen“, sagte er. Weitere Schritte sollen folgen. So wollen die Bundestagsfraktionen in dieser Wahlperiode über eine Reform der Fragestunde beraten. Die Opposition fordert, dass nicht nur Minister, sondern auch die Bundeskanzlerin im Plenum regelmäßig Rede und Antwort stehen müssen.