Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Polizeiwache achtet auf Sitten in der Kirche
Lesung aus der Sigmaringer Stadtordnung mit Musik von Telemann
SIGMARINGEN - Mit der Veranstaltung „Zurückgeschaut 2017“haben Sybille Brühl und das Internationale Kammerensemble der Akademie für Alte Musik in Baden-Württemberg die Reihe „Musik und Lesungen im Staatsarchiv Sigmaringen“im Spiegelsaal bravurös fortgeführt. Der Spiegelsaal des Staatsarchivs war bis zum letzten Platz gefüllt. Die barocke Musik Georg Philipp Telemanns stand dabei in reizvollem Kontrast zu den teilweise derben Polizeiberichten über die Untugenden der Bewohner Sigmaringens vom 17. bis ins 19. Jahrhundert.
Vielleicht lag der Zuspruch an der Beliebtheit von Telemann, vielleicht daran, dass das Kammerorchester zum vierten Mal nach Sigmaringen kam, vielleicht zog aber auch die Verbindung der wohlgesetzten Noten und Klänge mit Lesung das Publikum an. Mit ihrer Hommage an Georg Philipp Telemann (1681-1767) zu seinem 250. Todesjahr trafen die vier Musiker schnell den Nerv des Publikums.
An den Anfang setzten sie die Sonate B-Dur von Johann Friedrich Fasch, einem Zeitgenossen Telemanns, der früh in dessen Schatten stand, aber dennoch als Musiker des Barock mit seinem „freudigen Musizieren“die barocke Lebenswelt in den Spiegelsaal holte. Hildegund Treiber bewies am Cembalo und Ulrike Engelke mit der Altblockflöte, wie andersartig und doch vertraut die Musik vor 300 Jahren klang. Der vielfach ausgezeichnete Geigenvirtuose Simon Standage und Helmut Engelke, der bei ihm an der Dresdner Akademie für Alte Musik studiert hatte, taten ein Übriges, um die Musik des Barock zu feiern.
Telemann bietet die großen Gefühle des Barock
Telemann will klassisch gespielt werden und das Kammerensemble der Akademie für Alte Musik tat ihm den Gefallen. In ihrer Interpretation loteten sie mit der Sonate Nr. 7 dMoll für Violine (Standage), Flöte (Ulrike Engelke) und Generalbass mit Hildegund Treiber am Cembalo die großen Gefühle des Barock zwischen Üppigkeit und Leichtigkeit aus. Im nächsten „Duett“, der Sonate A-Dur, für Cembalo und Flöte, dominierte das Luftig-Leichte, das auch in den hohen Tönen von Harmonie und Wärme erzählte. Frisch und tänzerisch gaben sich danach Violinen und Sopranblockflöte mit Cembalo in der Sonata a 3 d-Moll.
Ganz andere Töne schlug Archivarin Sibylle Brühl, die auch für das Stadtarchiv zuständig ist, an. Unter der Frage „Zucht und Ordnung“las sie aus der Stadtordnung Sigmaringens von 1623 vor. Da ist von übermäßigem Trinken, Gotteslästerung, Mord und Totschlag die Rede. Damit dies nicht passiert, beschränkt die „neuzeitliche Policey“das Trinken per Gesetz.
Überhaupt produzierte die Obrigkeit eine Flut von Vorschriften und Normen, die schließlich auf alle Lebensbereiche der Untertanen ausgedehnt wurden. Die Untertanen sollten sich „züchtig, gesittet und ehrbar“verhalten. Was die Zeit der Aufklärung überdauerte, erfuhr, so Brühl, noch einmal im Polizeistaat des 19. Jahrhunderts eine neue Blüte. Selbst der Kirchgang der „ledigen jungen Leute“wurde überwacht: Zur Vermeidung „der äußersten Sittenverderbnis“wurde in Laiz eine eigene Polizeiwache in der Kirche aufgestellt. Der gehorsame Untertan hatte auch freiwillig zu berichten. Denunziation wurde geradezu erwartet. Wie beim „Fall Kreszenz Rhäb“. Erlaubte sich doch ein Gutensteiner Schneider tatsächlich, Tag und Nacht in deren Haus „zu wandeln“. Die Besuche wurden verboten. Die Policey musste gleichfalls über die Volksgesundheit wachen. Spülwasser und Unrat durften nicht auf die Straße geschüttet werden. Schleifbahnen im Winter waren ebenso verboten wie lautes Peitschenknallen.
Bei so viel Reglementierung tat das spielerische Flötenspiel, das die Vögel zur Nachahmung locken sollte, richtig gut. Und mit dem abschließenden Quartett G-Dur demonstrierten die Musiker noch einmal die Vielseitigkeit Telemanns, seine Virtuosität und seinen Einfallsreichtum. Waren die Verfehlungen der Bewohner der Stadt damals auch noch so groß, so durften die heutigen Besucher an diesem Abend höfische Musik in fürstlichen Räumen genießen und belohnten die Musiker wie die Archivarin mit reichlich Beifall.