Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Neues Buch würdigt den Binger Altar
Werk ist von großer kunsthistorischer Bedeutung – Buchvorstellung am Donnerstag
BINGEN - Er ist in seiner Form in Süddeutschland womöglich einzigartig: der opulente Flügelaltar in der Binger Kirche. Eine Monografie widmet sich nun erstmals umfassend diesem kirchen- und kunsthistorisch gleichermaßen bedeutenden Werk. Die Buchvorstellung findet am kommenden Donnerstag in der Binger Pfarrkirche statt.
Dass es das Buch gibt, ist der Initiative von Tillo Brükner zu verdanken. „2012 wurde der Altar restauriert“, sagt er. „Das war für mich Anlass, mal etwas zu machen.“Denn obwohl der Flügelaltar zu den bedeutendsten Schöpfungen des für die Spätgotik markanten Kunstzentrums Ulm zählt, „gibt es so gut wie nichts Schriftliches darüber“. Als Brükner dann zufällig ein Buch von Wolfgang Urban über den Oberndorfer Altar in die Finger fiel, hatte er die zündende Idee: Weil sie sich seit vielen Jahren kennen, sprach Tillo Brükner den pensionierten Diözesankonservator einfach an.
Tillo Brükner ist Feuer und Flamme für den Altar und froh, dass er nun mit einem reichlich bebilderten Buch gewürdigt wird. In Auftrag gegeben wurde das Meisterwerk wahrscheinlich im Jahr 1503 von Abt Georg Fischer, der lange in Zwiefalten amtiert hat. Bereits im Jahr 1448 war das Patronatsrecht über die Binger Kirche an das dortige Kloster gefallen. Geschaffen wurde der Altar vom Schreiner und Altarbauer Jörg Syrlin dem Jüngeren, Niklaus Weckmann (Figuren) und Bartholomäus Zeitblom (Gemälde). „Sie haben alle um
1500 gelebt und gehörten zum großen Kreis der Ulmer Schule, einer Gruppe von Künstlern in der Spätgotik“, sagt Brükner. Das frühere Gesprenge über dem Altar, das wahrscheinlich bis unter die Decke reichte, ist nicht mehr erhalten. Dass der Rest wiederum in so gutem Zustand ist, grenzt an ein kleines Wunder: „Im Bildersturm nach der Reformation wurde Derartiges vielfach zerstört, in Bingen aber glücklicherweise nicht.“
1787 gingen die Patronatsrechte kurz vor der Säkularisierung des Klosters an den Landesherren über. Dem damaligen Fürsten gefiel der spätgotische Stil des Altars aber nicht: Er ersetzte ihn durch einen aus dem Barock. Die Bilder und Figuren blieben trotzdem in der Kirche; die Bilder wurden kurzerhand zu Seitenaltären umfunktioniert. Erst knapp 100 Jahre später holte der damalige Pfarrer die Einzelteile zusammen und ließ einen neuen gotischen Altar zusammenstellen, sagt Brükner. Als die Kirche schließlich in den 1960er Jahren zwei neue Seitenschiffe erhielt, wurde der Altar nach alten Vorbildern als Flügelaltar wiedererrichtet. So steht er dort noch heute.
Bei der Buchvorstellung hält Wolfgang Urban einen Vortrag und berichtet von den vielen Besonderheiten, die er rund um die Kunstwerke entdeckt hat. Außerdem spielt der Veranstaltung ein glücklicher Zufall in die Hände: Ein ausgewiesener Zeitblom-Experte hat vor Kurzem das Altarblatt mit einer Madonna gekauft, das bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts noch auf der Rückseite des linken Altarflügels angebracht war. Dieses bringt er mit: „Nach 170 Jahren kommt es für einen Tag nach Bingen“, sagt Brükner. Es ist bereits ab Donnerstagmittag in der Kirche zu sehen. Im Anschluss an die Buchvorstellung besteht bei einem Empfang im Gemeindehaus die Gelegenheit zum Austausch.