Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Millionen für ein „Wintermärchen“
Oberstdorf will 2021 die Nordische Skiweltmeisterschaft ausrichten – Offene Finanzfragen und ein enger Zeitplan belasten das Projekt
OBERSTDORF - Einer der letzten Tage, bevor der Schnee den Oberstdorfer Talboden erreicht hat: Mit viel Elan skatet ein junger, kräftiger Bursche auf Rollskiern am Langlaufstadion vorbei. Im Moment ist diese Arena kaum mehr als eine matschige Wiese mit Kuhfladen. Sie wird von einer provisorischen Tribüne auf einem Alu-Gestell, einem ältlichen Gebäude zum Beobachten der Wettbewerbe sowie einigen abgenutzten Asphaltwegen für Rollski-Übungen begrenzt. Eine eher triste Angelegenheit – zumal der Wind auch noch graue Wolken ins Tal treibt.
Dem Burschen ist die Szenerie gleich – schon deshalb, weil ihm die Muse fehlt, um den Blick schweifen zu lassen. Er trainiert. Sein schweißüberzogenes Gesicht hat eine rote Farbe angenommen. Der Atem geht schnell. Aber für was trainiert er denn? „Für die Nordische Ski-Weltmeisterschaft natürlich“, ruft der Sportler angestrengt herüber und meint dies wohl im Scherz. Bis zur WM dauert es noch vier Jahre. Nichtsdestotrotz ist dieser zwölftägige Wettbewerb aus Skilanglauf, Schanzenspringen sowie der Kombination beider Disziplinen bereits in vieler Munde. Spätestens seit September sorgt er in der Oberallgäuer Wintersport-Hochburg sogar für richtige Aufregung. Spötter fragen bereits, ob die Marktgemeinde die Großveranstaltung nicht doch noch gegen die Wand fährt? Oder ob die WM eventuell den finanziellen Untergang des sowieso schwer verschuldeten Oberstdorfs bedeuten könnte.
Kritik vom Landrat
Die Initialzündung für die Aufregung war ein Brief von Anton Klotz, dem Landrat des Oberallgäus, einem normalerweise eher geduldigen CSU-Parteigänger. In diesem Fall scheint ihm aber der Kragen geplatzt zu sein. Adressat des im Spätherbst versandten Schreibens waren die Regierenden in Oberstdorf. Harsch bemängelte Klotz, dass zur Vorbereitung der WM praktisch noch nichts geschehen sei. „Ich erkenne keine Struktur innerhalb der Gemeinde, die einigermaßen Gewähr bietet, die zeitintensiven und komplexen Verfahren termingerecht abzuwickeln“, zitierte seinerzeit die „Allgäuer Zeitung“den Landrat. Nach dem üblichen behördlichen Comment kommt dies einer Ohrfeige gleich.
Dabei hat alles so fröhlich angefangen. 2016 schlug Oberstdorf beim Bewerberwettbewerb in einem Fünfsterne-Hotel der mexikanischen Küstenstadt Cancún zwei Konkurrenten aus dem Feld: das norwegische Trondheim und Planica in Slowenien. Die Freude war groß, weil sich Oberstdorf zuvor vier Mal erfolglos um den WM-Zuschlag bemüht hatte. Danach geschah aber erst einmal wenig Konkretes.
Dafür schien manch Oberstdorfer gedanklich im Bau von Wolkenschlössern zu schwelgen. Der mögliche Griff in Fördertöpfe des Bundes und des Freistaates regte die Fantasie an. Motto: Wünsch Dir was. Etwa den großzügigen Ausbau der B 19 als Zufahrt von Sonthofen nach Oberstdorf. Oder einen erweiterten Busbahnhof. Oder eine unterirdische Zufahrt in den Ortskern.
Im Gemeinderat wurde nach der ersten Euphorie dann doch etwas realistischer gearbeitet. Im April dieses Jahres legte er ein Bauprogramm in Höhe von knapp 50 Millionen Euro vor. Dies betraf in erster Linie die in die Jahre gekommene Skisprungarena und das ebenso sanierungsbedürftige Langlaufstadion. Wobei der Boden der harten Realität noch immer nicht erreicht wurde. Entsprechend moserte Siegmund Rohrmoser, Grünen-Anführer im Gemeinderat: „Wir werden diesen Größenwahn nicht mittragen.“Denn die Mehrheit des Gremiums hatte zwar Träume platzen lassen, liebäugelte jedoch mit Blick auf die Sportstätten nach wie vor mit einer Luxus-Aufhübschung.
So liegen etwa die Schanzen unweit des mit zig Wirtshäusern gesegneten Dorfzentrums. Dennoch sollte die Sprungarena eine eigene Gastronomie erhalten. Im Gemeinderat machte man sich Hoffnungen, rund 90 Prozent der Kosten aus den besagten Fördertöpfen begleichen zu können. Zudem ging man von einem Zuschuss des Landkreises aus. Die eine oder andere Million würde dennoch zur Eigenfinanzierung übrigbleiben. Das Problem dabei: Woher nehmen? Oberstdorf ist bereits mit 49 Millionen Euro verschuldet. Für eine Gemeinde mit knapp 10 000 Einwohnern rekordverdächtig.
Schlechte Erfahrungen
Dass der ansonsten so beschauliche Ferienort so extrem in den Miesen steckt, hat mit einer anderen Nordischen Ski-WM zu tun. Für das Jahr 2005 war es Oberstdorf nämlich gelungen, die Wettbewerbe schon einmal ins Oberallgäu zu holen. Die Veranstaltung galt als erfolgreich. Vom „Wintermärchen“wurde geschwärmt. Die Arbeiten an den Wettkampfstätten hatten aber 23,8 Millionen Euro gekostet. Davon trugen der Bund und der Freistaat Bayern gerade mal 61 Prozent der Summe. Für den Rest musste sich Oberstdorf verschulden. Sogar die eigenen Bürger wurden um Geld angegangen.
Im Hinblick auf die alten roten Zahlen war dieses Frühjahr rasch klar: Auch das im April anvisierte 50Millionen-Programm kann nicht gehalten werden. Selbst bei der Staatsregierung in München hatte man sich alarmiert gezeigt. „Es wird darauf zu achten sein, dass nicht am Ende die deutlich überschuldete Gemeinde in die Verantwortung genommen wird“, antwortete Innenstaatssekretär Gerhard Eck (CSU) auf eine parlamentarische Anfrage der Grünen. Im Oberstdorfer Gemeinderat fing schließlich ein neues Ringen um das wirklich Notwendige an. Zum Herbst hin stand dann eine auf 38,5 Millionen Euro reduzierte Investitionssumme im Raum. Es waren aber weder Planungsaufträge vergeben noch Förderanträge gestellt worden. Dies war der Zeitpunkt, als sich Landrat Klotz zum Eingreifen bemüßigt fühlte. Er sah die Fristen für eine rechtzeitige Antragsstellung in Gefahr. Seit vergangener Woche ist der Gemeinderat einen Schritt weitergekommen. Er hat 20 Prozent der Planungsleistungen für Vorplanung und Kostenermittlung vergeben. Hinter dieser Vorgehensweise verbirgt sich ein kleiner Trick. Gestückelte Aufträge in dieser überschaubaren Größenordnung können offenbar ohne die eigentlich verpflichtende, zeitraubende EUweite Ausschreibung vergeben werden. Zumindest ist dies die Rechtsposition der Marktgemeinde. Vor allem die örtlichen Grünen hegen jedoch die Befürchtung, leer ausgegangene Unternehmen könnten klagen.
Wenigstens hat Oberstdorf mit dem Beschluss aber einen Anfang gemacht. Der große Rest an Aufträgen soll anschließend nach den üblichen EU-Verfahren verteilt werden. Wann dies sein soll, ist aber unklar.
„Der Zeitplan wird eng“, hat Landrat Klotz die vergangenen Tage ein weiteres Mal gewarnt. Die Planung müsse jetzt beginnen. Mitte nächsten Jahres sollten die ersten Arbeiten anfangen, schätzt er. Wobei an diesem Punkt ergänzt werden muss, dass es ein Jahr vor der richtigen Nordischen WM bereits als Testlauf eine Art Vor-WM gibt. Das heißt, bereits Anfang 2020 sollten die Anlagen weitgehend fertig sein. Dies verschärft den Druck. Der Oberallgäuer CSU-Landtagsabgeordnete Eric Beißwenger meint dazu: „Man gewinnt natürlich rasch den Eindruck, dass alles schneller gehen müsste.“
Etwas differenzierter drückt sich der Deutsche Skiverband aus. Sein Organisationskomitee für die WM steht inzwischen. Man sei im Bereich der sportlichen Planungen sogar früh dran, heißt es. Doch das Bauprogramm wird auch in diesen Kreisen argwöhnisch beobachtet: „Hier sollten möglichst keine weiteren Verzögerungen auftreten.“Oberstdorfs Bürgermeister Laurent Mies wiederum registriert dieses Drängen. Er gibt sich dennoch gelassen – zumindest nach außen hin. „Die Vorbereitungen sind im Zeitplan“, sagt der Kommunalpolitiker von den Freien Wählern.
Unruhe unter den Bürgern
Aufs Finanzielle will Mies trotz Nachfrage nicht weiter eingehen. Genaue Beträge würden derzeit ermittelt. Förderhöhe und Eigenanteil seien noch unklar. Die Aussage ist natürlich korrekt, weil seit dem WMZuschlag 2016 wenig geschehen ist. In Oberstdorf selber regen sich jedoch zunehmend Bürger auf, wie eine kleine Straßenumfrage ergibt. „Das ergibt eine Schuldenkatastrophe, völlig unverantwortlich, das Geld fehlt dann für Kinderkrippen oder Schulen“, schimpft ein Familienvater, der mit seinen Kleinen bei der Pfarrkirche unterwegs ist. Der nächste Passant vermutet: „Hätte es einen Volksentscheid gegeben, würde die WM wohl nicht hier stattfinden.“So geht es bei dieser Umfrage dahin. Immer wieder steht auch die Frage im Raum, was denn der normale Bürger von den Bauarbeiten habe. „Dies dient doch alles nur den Sportlern. Die sind in Oberstdorf viel zu einflussreich“, behauptet ein Zeitgenosse.
Draußen vor dem Ort im Bereich des Langlaufstadions üben indes weitere Langläufer mit ihren Rollskiern. Darunter ist auch Stefan Leicht vom Deutschen Skiverband. Seine Meinung: „Die WM ist für uns Sportler toll, aber ebenso für Oberstdorf. Sie ist eine klasse Werbung für den Ort und den Tourismus.“Im weiteren Gespräch mit den Leuten klingt aber auch durch, dass sie überhaupt froh sind, in der Marktgemeinde einen Veranstalter für das Großereignis gefunden zu haben. Die Wintersportler haben fast schon traumatisch das Beispiel GarmischPartenkirchen vor Augen. Dort haben die Bürger 2013 einer Bewerbung für Olympische Winterspiele kurzum eine Absage erteilt.