Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Kretschmann fordert weiter blaue Plakette
Ministerpräsident möchte Fahrverbote verhindern – Kaum Fortschritte beim Dieselgipfel
STUTTGART/BERLIN (kab/dpa) Für Baden-Württembergs Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann (Grüne) ist die Einführung einer blauen Plakette die einzige Möglichkeit, allgemeine Dieselfahrverbote zu verhindern. „Das ist unbegreiflich für mich, der Widerstand dagegen“, sagte er am Dienstag, dem Tag des jüngsten Dieselgipfels, in Stuttgart. Die Plakette sei Teil der Sondierungsverhandlungen gewesen – eine Einigung dazu sei am Widerstand von Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) gescheitert.
Zwar könnten dann alle Autos ohne solch eine Plakette nicht mehr in ausgewiesene Zonen einfahren, was auch Fahrverboten gleichkomme. Aber ihre Einführung wäre ein Signal an Verbraucher und den Markt, was auf sie zukomme. „Wir sind keine Blaue-Plakette-Fanatiker“, sagte Kretschmann über seine Partei, es fehle schlicht eine Alternative.
Im Gegensatz zu den vorigen Malen ist Kretschmann dem dritten Dieselgipfel in Berlin ferngeblieben. Als Grund nannte er die schlechte Vorbereitung der Treffen. Auch seien keine weitreichenden Beschlüsse zu erwarten.
Bundeskanzlerin Angela Merkel erklärte am Dienstag nach dem Spitzentreffen von Bund, Ländern und Kommunen, das „Sofortprogramm“für bessere Luft in Höhe von einer Milliarde Euro für 2018 solle verstetigt werden. Die Gelder aus dem Dieselfonds sollten den Kommunen möglichst schnell zur Verfügung stehen, damit diese „passgenau“Projekte umsetzen könnten. Von Umweltschützern kam Kritik an den Beschlüssen.
BERLIN - Er war immer der Unauffällige im Kabinett. Der „Christian wer?“Er konnte sogar auf die Grüne Woche in Berlin gehen, ohne gleich erkannt zu werden und ohne dass sich die Aussteller um ihn geschart hätten. Jetzt aber wurde er über Nacht bekannt. Er hat in Europa für die Zulassungsverlängerung von Glyphosat gestimmt, sich über SPDUmweltministerin Barbara Hendricks hinweggesetzt und damit nicht nur die SPD in Rage gebracht, sondern auch Kanzlerin Angela Merkel (CDU), die davon nichts wusste.
Christian Schmidt ist ein altgedienter CSU-Politiker. Dass der 57jährige Bäckerssohn aus Bad Windsheim im Februar 2014 quasi über Nacht Landwirtschaftsminister wurde, verdankt er einem Vertrauensbruch der SPD. Diese, genauer gesagt ihr Fraktionschef Thomas Oppermann, hatte nämlich herausposaunt, dass Landwirtschaftsminister HansPeter Friedrich, als er noch Innenminister war, die SPD wegen des Falls Edathy gewarnt hatte. Hans-Peter Friedrich wollte 2013 bei der Regierungsbildung die Sozialdemokraten davor bewahren, Edathy, gegen den es den Kinderpornografie-Verdacht gab, in Regierungsämter zu befördern. Die Warnung von Friedrich war sehr kollegial, aber nicht rechtens. Dass Oppermann dies öffentlich machte, war unkollegial, aber rechtens. Hans-Peter Friedrich musste als Landwirtschaftsminister zurücktreten, über Nacht kam Nachfolger Christian Schmidt.
Der war bis dahin acht Jahre lang Staatssekretär im Verteidigungsministerium gewesen und ein hochangesehener Experte auf diesem Feld. „Ich werde alles daran setzen, dass dieses Vertrauen nicht nur gerechtfertigt wird, sondern dass klar wird: Der Schmidt ist der Schmidt, und der kann nicht nur Verteidigung, der kann nicht nur Panzer, der kann auch Mähdrescher“, sagte Christian Schmidt bei seinem Amtsantritt. Doch die Panzer lagen ihm wohl mehr. Christian Schmidt ist es in den gut drei Jahren seiner Amtszeit nicht gelungen, in der Öffentlichkeit wirklich Statur zu gewinnen.
Das änderte sich jetzt schlagartig, nachdem er in Brüssel der Verlängerung für Gyphosat zustimmte und sich über die Bedenken seiner Umweltkollegin Barbara Hendricks (SPD) hinwegsetzte. Er wurde öffentlich von Kanzlerin Angela Merkel gerügt: „Das entsprach nicht der Weisungslage“, und solch ein Vorkommnis dürfe sich nicht wiederholen. Für das Image der Kanzlerin ist der Fall abträglich.
Tanzt auf Merkels Nase
Der FDP-Fraktionsvize Michael Theurer spottet bereits: „Merkel hat den Laden nicht im Griff“, ihre Minister tanzten ihr offensichtlich auf der Nase herum.
Christian Schmidt selbst führt ins Feld, er habe nur das Vernünftigste getan. Denn „die fünf Jahre wären mindestens gekommen, auch ohne die Entscheidung in Brüssel.“Ohne Deutschlands Zustimmung wäre Glyphosat von der EU-Kommision ohne Verbesserungen zugelassen worden, meint Schmidt. Umweltministerin Hendricks sieht das anders. Die Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC) der Weltgesundheitsorganisation WHO hatte Glyphosat 2015 als „wahrscheinlich krebserregend“eingestuft. Andere Experten kamen allerdings zu anderen Ergebnissen. Unabhängig davon gilt Glyphosat als Gefahr für die Artenvielfalt, besonders für Bienen und andere Insekten sowie für Vögel.
„So blöd kann man nicht sein“
Umweltministerin Hendricks sagt, der Agrarminister habe den Versuch unternommen, sich bei ihr zu entschuldigen. „Ich will auch nicht auf Dauer eine Entschuldigung zurückweisen. Aber ich habe ihm gesagt, dass man so blöd eigentlich nicht sein könnte.“
In der CSU sind dagegen andere Stimmen zu hören. „Die Sozis haben jetzt mal gespürt, wie das ist, wenn man nicht regiert“, heißt es. Doch nachdem selbst der deutsche Imkerbund protestiert, meint man in der Staatskanzlei in Bayern, Schmidt habe eine „wohlabgewogene Sachentscheidung“getroffen. Trotzdem müsse man Wege suchen, wie man von der Glyphosat-Anwendung wegkomme oder sie reduziere.