Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
ZF-Chefkontrolleur tritt ab
Vorstandschef Sommer verliert wichtigen Unterstützer
FRIEDRICHSHAFEN (ben) - Der Aufsichtsratschef des Automobilzulieferers ZF, Giorgio Behr, tritt zurück. In einer Mitteilung im Intranet des Unternehmens verabschiedete sich der Schweizer am Mittwoch von der Belegschaft. Ein ZF-Sprecher bestätigte den Rücktritt, zu den Gründen sagte der Konzern nichts. Auch Behr selbst wollte die Hintergründe auf Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“nicht kommentieren. Seine Entscheidung reflektiere allerdings den Wunsch, „Veränderungen nicht im Wege zu stehen“, schreibt der Unternehmer.
ZF-Chef Stefan Sommer verliert mit dem Rücktritt Behrs einen wichtigen Unterstützer bei seinem Plan, ZF unter anderem mit Zukäufen für die Herausforderungen in der Autoindustrie zu rüsten. Seit Monaten liegt Sommer im Streit mit Andreas Brand, der in seiner Rolle als Friedrichshafens Oberbürgermeister den wichtigsten Eigentümer von ZF, die Zeppelin-Stiftung, vertritt.
FRIEDRICHSHAFEN - Chaostage bei ZF: Zuerst trennt sich der drittgrößte Autozulieferer der Welt von seinem Entwicklungschef Harald Naunheimer, und dann tritt Giorgio Behr von seinem Posten als Vorsitzender des Aufsichtsrats zurück. Und das fällt alles in eine Zeit, in der das Traditionsunternehmen mit Sitz in Friedrichshafen (Bodenseekreis) durch einen tiefen Führungsstreit zwischen Vorstandschef Stefan Sommer und Friedichshafens Oberbürgermeister Andreas Brand, der die Zeppelin-Stiftung als größten Eigentümer vertritt, fast gelähmt ist.
Klar ist nach Informationen der „Schwäbischen Zeitung“aus Unternehmenskreisen, dass die Trennung von Naunheimer, der seit 2009 die zentrale Forschungs- und Entwicklungsabteilung bei ZF in Friedrichshafen geleitet hat, nichts mit der Führungskrise zu tun hat. Zu den Gründen für die Trennung wollte ZF nichts sagen. „Naunheimer wird das Unternehmen zum 30. November verlassen“, sagte ein Sprecher. „Ein Nachfolger ist benannt, er wird das Forschungsund Entwicklungszentrum nahtlos weiterführen.“Naunheimer übernahm die Leitung vor acht Jahren von Peter Köpf und hatte zuvor die Entwicklung der Automatikgetriebe für Personenwagen verantwortet.
Nachdem die Personalie Naunheimer am Mittwochnachmittag die Runde in der Belegschaft gemacht hatte, überraschte die Nachricht vom Rücktritt Behrs die Mitarbeiter noch mehr. Um 18 Uhr verbreitete die Konzernführung über das Intranet von ZF einen Brief des Schweizer Unternehmers, in dem er sich von den Mitarbeitern des Unternehmens verabschiedet. „Nach reiflicher Überlegung habe ich jetzt entschieden, mein Amt noch vor der Neuwahl im Frühjahr 2018 mit einer Frist von vier Wochen niederzulegen“, schreibt der 69-Jährige. „Die Entscheidung ist mir nicht leicht gefallen. Aber sie reflektiert meinen Wunsch, Veränderungen nicht im Wege zu stehen.“
Keine erneute Kandidatur
Weiter heißt es in dem Schreiben, dass Behr, der Präsident und Inhaber des Schweizer Mischkonzerns BBC ist, „bereits Ende Oktober deutlich gemacht hat, dass ich nicht für eine weitere Amtsperiode kandidieren werde“. Im Frühjahr steht die Neuwahl des Aufsichtsrats von ZF an. Oberbürgermeister Andreas Brand hatte dagegen immer erklärt, es sei schon zu Beginn von Behrs zweiter Amtszeit ausgemacht gewesen, dass der Schweizer kein weiteres Mal kandidiert. Behr wollte im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“die Gründe für seinen Rücktritt nicht näher erläutern. ZF erklärte, dass man sich als Unternehmen nicht zu Angelegenheiten des Aufsichtsrats äußere.
In Giorgio Behr verliert der ZFVorstandschef auf alle Fälle einen wichtigen Verbündeten, der ihn im Streit mit Andreas Brand unterstützt hatte. Ein Streit, der seit Monaten Unruhe in dem Unternehmen stiftet. Hintergrund ist ein grundsätzlicher Dissens zwischen der Zeppelin-Stiftung, der ZF gehört und die Brand leitet, und Sommer über die Strategie. Sommer will das Unternehmen, das viele Jahre vor allem für seine Getriebetechnik bekannt war, mit Zukäufen zu einem global agierenden Automobilzulieferer formen, der neben Getriebetechnik künftig verstärkt auch Produkte in den Bereichen aktive und passive Sicherheitssysteme, Elektromobilität und autonomes Fahren anbietet. Dazu wollte Sommer den amerikanischbelgischen Bremsenhersteller Wabco übernehmen, was der Aufsichtsrat in diesem Jahr zwei Mal verhindert hat. Zuerst sprach sich das von der Zeppelin-Stiftung maßgeblich bestimmte Kontrollgremium im Frühjahr gegen einen Kauf aus, dann hat das Thema im September ein zweites Mal als „Projekt Vancouver“auf der Tagesordnung des Aufsichtsrats gestanden und wurde wiederum abgelehnt.
Nach dem endgültigen Scheitern des Deals hatte Behr in einem Interview mit dem „Handelsblatt“die Position Sommers verteidigt. „Wir sind heute in der Lage zuzukaufen und könnten uns auch etwas Größeres leisten“, sagte Behr und kritisierte gleichzeitig die von der ZeppelinStiftung neu festgelegte Ausschüttungsquote von 18 Prozent vom Nettogewinn. „Eine Quote in der Höhe kann nur sein, wenn man gleichzeitig dem Unternehmen für strategische und kritische Fälle auch die Möglichkeit lässt, Eigenmittel zu beschaffen.“
Im Interview mit der „Schwäbischen Zeitung“hatte Sommer zuvor gefordert, die Stadt Friedrichshafen, die über die Zeppelin-Stiftung 93,8 Prozent der Anteile an ZF hält, müsse sich aus dem operativen Geschäft raushalten. „In dem Moment, in dem zum Beispiel lokalpolitische Erwägungen die Unternehmensstrategie bestimmen, wird es kritisch“, sagte Sommer damals.
Nach Informationen der „Schwäbischen Zeitung“aus Unternehmensund Eigentümerkreisen ist das Tischtuch zwischen Sommer und Brand bereits seit Wochen zerschnitten, konstruktive Gesrpäche finden seit Wochen nicht statt. Bei der alljährlichen Versammlung der ZF-Betriebsräte im Graf-Zeppelin-Haus in Friedrichshafen, bei der Andreas Brand die neue Dividendenpolitik verteidigte, räumte Brand nach Angaben von mehreren Teilnehmern ein, dass es zwischen ihm und Sommer knirsche. Brand war am Mittwoch auf Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“zu keiner Stellungnahme bereit.
Keine gute Voraussetzung, um einen Milliardenkonzern der Automobilindustrie für die Herausforderungen der Zukunft zu rüsten.