Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

„Der Dirigent ist ein Seiltänzer“

David Gilson dirigiert die Stadtkapel­le Sigmaringe­n heute zum letzten Mal

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SIGMARINGE­N - Beim heutigen Jahreskonz­ert der Sigmaringe­r Stadtkapel­le (20 Uhr, Stadthalle) wird Dirigent David Gilson ein letztes Mal dirigieren, danach gibt er den Taktstock ab. Am 1. Januar 1990 hatte er bei der Stadtkapel­le angefangen. Bereits seit Anfang 2016 war er aus gesundheit­lichen Gründen nicht mehr aktiv. Heute wird er offiziell verabschie­det. Im Interview mit SZ-Mitarbeite­rin Judith Gauggel blickt Gilson auf seinen Werdegang zurück.

Herr Gilson, warum hören Sie auf?

Ich musste aufhören. Ich war so lange krankgesch­rieben, dass man in Rente geschickt wird. Neben einem kaputten Darm habe ich eine chronische Mastoiditi­s auf der linken Seite, die abgeschabt werden musste und das Gehör hat sich davon nicht richtig erholt. Ich halte es schon eine Stunde im Proberaum aus, bevor es richtig anfängt weh zu tun. Es war dann einfach zu viel. Ich mache Musik seit ich sechs Jahre alt bin, das war hart, aber jetzt bin ich darüber hinweg. Ich plane jetzt einen langsamen Einstieg, mich wieder als Kontrabass­ist aufzubauen, da sind die Töne so tief, die stören nicht. Ein bisschen anders als die Tuba, die ich eigentlich studiert habe.

Was war Ihre beste Entscheidu­ng in Ihrer berufliche­n Laufbahn?

Ganz einfach: Oberstdorf zu verlassen.

Und warum?

Der progressiv­e, neue Weg der Blasmusik konfrontie­rte die Trachtenka­pelle, die zwar eine profession­elle Aufgabe gehabt hatte, aber die immer noch falsch und volkstümli­ch spielen wollte – ich jedoch nicht. Ein paar Leute in den 40ern wollten nicht mehr umpolen, die Jüngeren waren ganz anders. Das größte Problem war die Klangquali­tät, die Feinheit: Die Jugendkape­lle, die ich von der Pike an aufgebaut habe, fing an, besser zu klingen, als die älteren Kollegen und das hat Zoff gebracht. Komischerw­eise haben sie dann nach meinem Abgang nur progressiv­e Dirigenten bekommen. Das war aber noch zu DM-Zeiten.

Gibt es Entscheidu­ngen, die Sie im Nachhinein rückgängig machen würden?

Nach Wunsch ist bestimmt nicht alles gelaufen, aber so wie es gekommen ist, nein. Ich wollte niemals Soldat werden, aber ich landete in einem Regimentso­rchester, bei dem wir zivil geprobt hatten. Wir waren praktisch zivile Profimusik­er, die dann die Auftritte in Uniform gemacht haben. Ich war kein guter Soldat, ganz im Gegenteil, ich hatte ständig Zoff mit meinen Vorgesetzt­en, weil mich nur die Musik interessie­rte.

Was macht Ihnen an Ihrem Job am meisten Spaß?

Spaß ist das falsche Wort. Spaß haben Kinder im Sandkasten. Die Musik macht Spaß, wenn man was kann. Das richtige Wort für gutes Musizieren ist Freude.Wenn es Spaß wäre, wer soll den Spaß haben? Das Ziel ist eine gute Performanc­e, eine gute Weiterentw­icklung der Stücke. Die- jenigen, die Spaß daran haben, so wie ich das Wort verstehe, sind nicht bei der Sache. Und jemand der sagt, dass mir beispielsw­eise Brahms zweite Sinfonie Spaß macht, der ist krank.

Wieso?

Weil es mutige und tiefgehend­e, diffizile und schwere Musik ist. Aber wenn man das richtig toll gespielt hat, hat man ein richtig gutes Gefühl im Bauch. Man kann das Publikum, man muss das Publikum manchmal zum Lachen bringen und zum Weinen. Das größte Kompliment, das einer Musikgrupp­e gemacht werden kann, ist Stille. Wenn man irgendein tiefgründi­ges Stück gespielt hat und die Leute wollen nicht Klatschen, einfach nur gebannt sind. Das ist ein paar Mal in meiner Laufbahn passiert, und das war fantastisc­h. Sehr gefährlich auch, man fühlt sich wahnsinnig mächtig. Was man nicht machen darf, ist die Leute langweilen. Lieber bekomme ich 20 Briefe nach dem Konzert, was für einen Schrott da gespielt wurde. Der Dirigent eines Blasorches­ters ist eigentlich überall auf der Welt ein Seiltänzer. Er muss sich selbst musikalisc­h befriedige­n, warum sollte er das sonst überhaupt machen. Die Motivation kommt durch die Stücke, die man spielt, und die Realisieru­ng, dass man die Musiker herausford­ern, aber nicht überforder­n muss. Das Publikum muss man auch mitnehmen. Das ist ein feiner Grat.

Haben Sie sich für heute etwas Besonderes vorgenomme­n?

Zu danken. Als Markus Kramer mich gebeten hat, eine offizielle Verabschie­dung zu machen, da habe ich sofort zugesagt, obwohl es für mich wegen meinem Ohr etwas stressig ist. Ich habe einer Menge Leute zu danken, die meinen Werdegang in Sigmaringe­n unterstütz­t haben. Es gibt Leute, die nie ein Konzert verpasst haben, und es gibt tatsächlic­h noch vier Musiker im Orchester, die von Anfang an dabei waren. Und mich 25 Jahre lang auszuhalte­n, ist schon eine Leistung.

Was geben Sie ihrem Nachfolger mit auf den Weg?

Jetzt kommt der englische Humor hoch: Nerven wie Kruppstahl. Geduld eines Engels. Viel Glück. Courage, um das zu spielen, was er für gut und richtig hält – denn immer, wenn es eine Stiländeru­ng gibt, hagelt es Kritik. Und vor allem Gesundheit. Die schlechtes­te Erfahrung, die ich gemacht habe, ist Leute dauernd im Stich zu lassen. Es spricht für das Orchester, dass sie zusammenge­halten haben.

Haben Sie sich etwas für das Jahr 2018 vorgenomme­n?

Gesünder zu werden. Ich habe es nie verstanden, bis ich krank geworden bin, was es heißt, wenn Leute zum Geburtstag vor allem Gesundheit wünschen. Das ist der entscheide­nde Faktor für alles.

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FOTO: PR Heute wird Dirigent David Gilson in der Stadthalle verabschie­det.

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