Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
„Es wird nicht mit dem Vorschlaghammer gehen“
Luxemburgs Jean Asselborn, der dienstälteste EU-Außenminister, über die zähe Regierungsbildung in Berlin
BERLIN - Die Regierungsbildung in Deutschland stockt weiter. Innerhalb der SPD wird weiter heftig über eine denkbare Neuauflage der Großen Koalition mit der Union gestritten. Vor dem Parteitag ab Donnerstag wächst die Skepsis an einer neuerlichen Regierungsbeteiligung. Es deutet sich somit an, dass sich die Regierungsbildung in Berlin nach den gescheiterten Jamaika-Sondierungen zu einer Hängepartie entwickeln könnte. Mittlerweile blicken viele europäische Regierungen besorgt in die Bundfeshauptstadt. Auch darüber sprach Tobias Schmidt mit Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn (68).
Herr Asselborn, wie besorgt ist man in Brüssel und Luxemburg über die Situation in Berlin?
Deutschland sollte und wird sich hoffentlich keine lange Zeit ohne eine Regierung mit präzisem Programm leisten. Unter einer dauerhaften Hängepartie würde auch die Europäische Union leiden. Deutschland ist wirtschaftlich und politisch das Schwergewicht der EU. Aber klar ist: Es wird nicht mit dem Vorschlaghammer gehen. Dass die Regierungsbildung Zeit braucht, ist zu respektieren. Bis dahin gibt es die geschäftsführende Regierung. Und der Bundestag ist ja auch längst einsatzbereit, das Parlament funktioniert.
Es stehen dringende Reformaufgaben an, in der Asylpolitik, zur Reform der Eurozone. Wir groß ist die Ungeduld der EU-Partner?
Die EU muss jetzt die wirtschaftliche Erholung nutzen, um sich zu reformieren und die vielen Krisen endgültig hinter sich zu lassen. Sie muss umschalten vom Reagieren zum Agieren. Dass ausgerechnet jetzt Deutschland als Reformmotor ausfällt, sorgt natürlich für Ungeduld, das ist verständlich. Aber so ist es in der Demokratie, und wir müssen es akzeptieren.
Deutschland drückt sich seit Monaten vor einer Antwort auf die Reformvorschläge von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, dem Ruf nach einem EuroBudget. Wie lange kann Berlin immer nur Nein sagen?
Es wird erwartet, dass Deutschland nicht nur mit pedantischem Pragmatismus reagiert, sondern auch mit Enthusiasmus und Elan. Ich hoffe, dass der Funke von Macron auf Deutschland überspringt. Deutschland braucht den starken Euro. Um die Währungsgemeinschaft zu festigen, kann man nicht nur mit der Peitsche knallen, sondern muss auch Einfühlungsvermögen und ein Mindestmaß an Flexibilität zeigen.
In der Flüchtlingskrise verweigern andere Länder Solidarität. Wird es noch gelingen, diese Aufgabe gemeinsam zu lösen?
Innereuropäisch steuert die EU in der Flüchtlingspolitik auf ein völliges Scheitern und Versagen zu. Der Europäische Gerichtshof hat in diesem September bestätigt: Alle Länder – auch Polen und Ungarn – sind zur Aufnahme von Flüchtlingen verpflichtet. Doch sie scheren sich nicht darum. Nun geht die Entwicklung dahin, dass alle migrationspolitischen Entscheidungen einstimmig von den Staats- und Regierungschefs beschlossen werden sollen. Ein Land kann dann alles blockieren. Wenn diese Methode kommt, ist eine gemeinsame Asyl- und Flüchtlingspolitik tot. Der Europäische Gerichtshof und das europäische Parlament wären schachmatt gesetzt, das Initiativrecht der EU-Kommission de facto neutralisiert. Es wäre ein Triumph für die Staaten, die die europäischen Regeln mit Füßen treten und jede Solidarität verweigern.
In Libyen sind Tausende Flüchtlinge unter erbärmlichen Verhältnissen interniert, werden als Sklaven gehandelt. Wie kann die EU so etwas vor ihrer Haustür zulassen?
Mit Blick auf die außereuropäische Dimension gibt es zum Beispiel in Libyen Fortschritte im Bemühen, die Menschen zu befreien, in ihre Heimat zu bringen und dort zu unterstützen. Dies ist immerhin ein Anfang. Aber die Lage ist komplizierter. Unter den Menschen, die dort wie Sklaven gehalten werden, sind auch viele Eritreer. Die können wir nicht zurückschicken in ihr Land. Wer daheim verfolgt wird, wem Unterdrückung und Tod drohen, den müssen wir aufnehmen. Wir brauchen auch legale Wege der Migration nach Europa. Die Kommission hat diesbezüglich einen Plan vorgelegt.
Wenn diese Fragen einstimmig im EU-Rat beschlossen werden, wird es keine Quotenregelung geben ...
Das ist die traurige Wahrheit. Im Rat ist derzeit nur Einigkeit über zwei Dinge zu erzielen: die Grenzen zu überwachen und die Flüchtlinge so schnell wie möglich abzuschieben. Das ist ein Armutszeugnis für Europa und löst kein Problem. Wenn wir die Aufnahme der Flüchtlinge der Türkei, dem Libanon und Jordanien überlassen, kann sich die Situation vom Sommer 2015 ganz schnell wiederholen.
Morgen sitzen Sie und Ihre EUKollegen mit US-Außenminister Rex Tillerson zusammen. Gibt es noch Chancen, Washington von der Kündigung des Atomabkommens mit Iran abzuhalten?
Wir haben 13 Jahre lang daran gearbeitet, dieses Abkommen abzuschließen. Wenn die USA es sprengen, wird das fatale Folgen haben. Dadurch könnte Iran sich provoziert fühlen und erst recht versuchen, eine Atombombe zu bauen. Natürlich sind wir mit dem Raketenprogramm und der Einmischung Teherans in die Krisen im Jemen, im Libanon und im Irak nicht einverstanden. Aber wenn wir den Atom-Kompromiss aufkündigen, werden wir uns um jede außenpolitische Einflussmöglichkeit bringen. Wir werden am Dienstag alles versuchen, Tillerson diese Botschaft zu überbringen.