Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Ärger um Sperrzonen für Alkoholkonsum
Verkaufsverbot fällt, Grundlage für Sperrzonen kommt – aber die Hürden sind sehr hoch
RAVENSBURG (sz) - In der Nacht zum heutigen Freitag endete das nächtliche Alkoholverkaufsverbot in Baden-Württemberg. Nun haben die Kommunen durch das geänderte Polizeigesetz eine Grundlage, Sperrzonen für den Alkoholkonsum örtlich und zeitlich begrenzt auszuweisen. Der Gemeindetag hält die Hürden für kleine Gemeinden jedoch für viel zu hoch. „Die Gesetzeslage ist für kleinere Gemeinden unbefriedigend“, sagte eine Sprecherin der „Schwäbischen Zeitung“.
STUTTGART - Seit Mitternacht gibt es in Baden-Württemberg auch in der Nacht wieder Alkohol an der Tankstelle und am Kiosk zu kaufen. Das veränderte Polizeigesetz ist am Freitag in Kraft getreten. Darin wurde auch das Alkoholverkaufsverbot zwischen 22 und 5 Uhr aufgehoben. Das passt nicht jedem, denn der restriktivere Verkauf hatte die Zahl jugendlicher Komasäufer deutlich reduziert. Zwar können Kommunen nun Sperrzonen für den öffentlichen Alkoholkonsum erlassen. Die Grundlagen dafür sind nach Ansicht des Gemeindetags allerdings so rigide, dass sie nur ein paar wenigen Großstädten dienen.
Handel: Unnötige Bürokratie
Der Handelsverband Baden-Württemberg jubiliert. „Dieses Verbot war ein drastischer Eingriff in die Grundrechte der Händler“, erklärte Hauptgeschäftsführerin Sabine Hagmann diese Woche. Es habe zu unnötiger Bürokratie geführt. Denn: „Ein so allumfassendes gesamtgesellschaftliches Problem wie Alkoholmissbrauch kann nicht nur durch punktuelle Maßnahmen wie einem nächtlichen Verkaufsverbot gelöst werden.“
Das Verkaufsverbot hat aber zur Lösung des Problems beigetragen, sagen Thomas Siedler vom Hamburg Center for Health Economics und Jan Marcus vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung Berlin. Die beiden Wissenschaftler haben in einer Studie von 2015 die positiven Effekte belegt: Seit Beginn des Verkaufsverbots sank die Zahl der Komasäufer zwischen 19 und 24 Jahren, die ins Krankenhaus eingeliefert wurden, um sieben Prozent. „Jugendliche kaufen seltener Alkohol auf Vorrat und haben in der Regel weniger Geld zur Verfügung, so dass sie Alkohol öfter in Supermärkten und Tankstellen kaufen als Erwachsene, die einfacher auf Kneipen und Restaurants ausweichen können“, erklärte Siedler.
Ursprünglichen Zweck erfüllt
Das 2010 von der schwarz-gelben Landesregierung erlassene Gesetz hat nach Ansicht der Wissenschaftler also seinen Zweck erfüllt: Es hat manchen Jugendlichen vom Saufgelage abgehalten. „Das war eine sehr breit streuende Schrotflinte“, hatte Innenminister Thomas Strobl (CDU) im Sommer kritisiert. „Wir haben den rund zehn Millionen erwachsenen Baden-Württembergern verboten, sich nach zehn am Bahnhof noch ein Bügelpfandfläschchen Bier zu kaufen.“Tatsächlich hatte das Verbot laut Studie auf Menschen ab 25 Jahren keine Auswirkungen.
Mit dem Wegfall des nächtlichen Verkaufsverbots bekommen die Kommunen allerdings ein anderes Instrument an die Hand. Sie können zeitlich und örtlich begrenzte Sperrzonen einrichten, in denen das öffentliche Trinken von Bier, Wein und Schnaps tabu sind. Die Kommunen hatten solch eine gesetzliche Handhabe lange schon gefordert.
Unbefriedigende Gesetzeslage
Gemeindetagspräsident Roger Kehle (CDU) hatte zwar mit Unverständnis auf die Aufhebung des Alkoholverkaufsverbots reagiert, da es Wirkung gezeigt habe – die Gesetzesgrundlage für Sperrzonen hatte sein Verband aber ausdrücklich begrüßt. Nun folgt die Ernüchterung. Denn gemäß der Ankündigung von Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) könne ein Gemeinderat solche Sperrzonen nicht so einfach beschließen, heißt es vom Gemeindetag. „Die Gesetzeslage ist für kleinere Gemeinden unbefriedigend“, sagt eine Verbandssprecherin. „Da werden Hürden gesetzt, die Schwierigkeiten bereiten.“
Für einen Erlass müsse beispielsweise eine Gruppe aus Störern mindestens 50 Menschen umfassen. Um als Brennpunkt zu gelten, bedürfe es mindestens 50 Straftaten an einem Ort. Oder eine Gemeinde müsse nachweisen, dass es an einem Platz deutlich mehr Ordnungswidrigkeiten als an vergleichbaren anderen Plätzen gibt. „Das passt vielleicht auf drei bis vier Großstädte im Land. Das Gesetz geht aber nicht auf die Erfordernisse kleinerer Gemeinden ein“, erklärt die Gemeindetagssprecherin. Denn auch weniger Betrunkene können stören; wenige Straftaten können die Bevölkerung bereits verunsichern; manche Gemeinde hat lediglich einen Platz. „Wir als Gemeindetag haben im Anhörungsverfahren auf diese Schwierigkeiten hingewiesen. Sie wurden dennoch ohne Not so festgezurrt.“
Anwohner fordern Verbote
Wie schwierig es ist, solche Sperrzonen zu errichten, zeigt sich am Beispiel Ravensburg. In einer groß angelegten Umfrage des Landes hatten Altstadtbewohner Verbotszonen für öffentliche Trinkgelage gefordert.
Die Hoffnungen auf eine entsprechende Handhabe durch das neue Polizeigesetz haben sich aber bereits weitgehend zerschlagen. Die Vorgaben seien für eine Umsetzung zu eng gefasst, sagt Ravensburgs Erster Bürgermeister Simon Blümcke. Insbesondere den geforderten Beleg zu erbringen, dass die Störungen im unmittelbaren Zusammenhang mit Alkoholkonsum stehen, sei enorm schwierig.