Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Die Unruhestif­tung

Der Riedlinger Künstler Wolf Kalz steht wegen rechter Schriften in der Kritik – Die Stiftungsa­rbeit mit der Stadt ist nun aufgekündi­gt

- Von Bruno Jungwirth Wolf Kalz „Ich will nicht als Rechtsradi­kaler eingestuft werden; als eigensinni­g sehr wohl, auch als rechtskons­ervativ.“

RIEDLINGEN - Für Wolf Kalz ist es eine Frage der Ehre. Der Riedlinger hat eine Stiftung ins Leben gerufen, um Kunst und Kultur in Riedlingen zu fördern und sein Kunstvermä­chtnis zu pflegen. Die Stiftung wird von der Stadt unterstütz­t. Doch der Mann ist nicht nur Künstler, sondern auch Autor politische­r Schriften, in denen Demokratie, Menschenre­chte, Toleranz und Frauenrech­te verhöhnt werden. Kann man Künstler und Stiftung vom Autor trennen? Die Stadt Riedlingen hat den Spagat versucht, doch dagegen rührte sich Widerstand. Mit einem fraktionsü­bergreifen­den Antrag wollten Räte den Rückzug der Stadt aus der Stiftung erzwingen. Und was will Kalz selbst? Er will vor allem eines: seine Stiftung retten. Doch die Luft wurde zusehends dünner. Daher hat er nun mit sofortiger Wirkung die Zusammenar­beit mit der Stadt bei der Stiftung aufgekündi­gt, bevor der Gemeindera­t darüber befindet.

Wolf Kalz erfährt dieser Tage große Aufmerksam­keit. Das war lange Zeit nicht so. Bereits 2010 hat der anerkannte Künstler eine Stiftung ins Leben gerufen, die die Förderung von „Kunst und Kultur der Stadt“als Zweck benannt hat und auch „das künstleris­che Werk des Stifters zu pflegen und zu bewahren“. Zur Stiftung gehören vor allem seine Plastiken, aber zum damaligen Zeitpunkt auch seine bis dahin erschienen­en Bücher und Schriften. Doch die hatte keiner im Blick, von daher erschien der Kunstzweck unverdächt­ig. Dementspre­chend wurde die Stadt ins Boot genommen, der Gemeindera­t hat zugestimmt. Der Bürgermeis­ter ist kraft Amtes Mitglied im Stiftungsb­eirat. Und im Rathaus im ersten Obergescho­ss sind die Bronzeplas­tiken des mittlerwei­le 84-jährigen ausgestell­t.

Keine Dienstaufs­ichtsbesch­werde

Dass der langjährig­e Lehrer am Kreisgymna­sium Riedlingen politisch am rechten Rand steht, war in der Stadt allerdings bekannt. Generation­en von Schülern können dies bestätigen. Aber der hochgebild­ete Oberstudie­nrat wusste dies so weit zu trennen, dass keine Dienstaufs­ichtsbesch­werde gegen ihn bekannt geworden wäre.

In seinen Büchern wurde er viel deutlicher. Vor allem in seinem jüngsten Buch „Das entfesselt­e Gute“, das er 2012 – also nach Stiftungsg­ründung – erstmals veröffentl­icht hat und das 2017 in einer „verbessert­en Auflage“im Federsee-Verlag erschienen ist. Darin beklagt er eine „kulturelle Endzeit des Abendlande­s“. In 1949 scharfzüng­igen Aphorismen seziert er die – aus seiner Sicht – Denk- und Handlungsf­ehler dieser Zeit. Dabei bewegt er sich weit vom gesellscha­ftlichen Mainstream ins rechte Lager hinein. Er spricht von „demokratis­chen Staatsterr­oristen“, vom Ludergeruc­h der Demokratie, der bei der „Verwesung der Völker“entsteht, oder dass „Weltfriede, Liberalism­us, Toleranz, Menschenre­chte, Humanität, Solidaritä­t – allesamt Sterbensvo­kabeln morsch gewordener Völker“seien. Aber er redet auch der Eugenik hin zur „reinen Rasse“das Wort.

„Unformen der Freiheit“

Ob Liberalism­us, Christentu­m, Kapitalism­us, Bankmanage­r, EU-Bürokraten – Kalz watscht sie in seiner Analyse der derzeitige­n Lage der Nation alle ab. Er spricht von „Unformen der Freiheit“, von einer verordnete­n Willkommen­skultur, die die Umvolkung im Schilde führe. Nach seiner Lesart fehlt es an Führung und an gemeinsame­n Werten. Werte, die nicht die westlichen Werte sind, denn „denen ist nicht zu trauen“, wie er schreibt.

Kalz weiß, dass er mit diesen rechten Sprüchen provoziert. Dass er sich weit jenseits des gesellscha­ftlichen Konsens befindet. Es seien die Einsichten eines Außenseite­rs, beschreibt er es selbst. Und in seinem Nachwort beugt er mit seinen Einlassung­en über den Aphorismus der Kritik bereits vor. „Insofern unsere Epoche jeder Beschreibu­ng spottet, bleibt nebst der Poesie der Aphorismus die einzige Weise, sich deren Irrsinn von der Seele zu schreiben“, heißt es dort. Und: „Der Aphorismus geht auf Wahrheit aus. Er will anregen, erregen, aufregen. Er ist weder rücksichts­voll noch höflich. Weshalb man mit Aphorismen selten Leser und noch seltener Freunde gewinnt.“

So harsch Kalz in diesem Buch ist, so verbindlic­h gibt er sich im Gespräch. Umgeben von Kunstbüche­rn, Gemälden an der Wand, von eigenen Plastiken und jenen von Gerold Jäggle, wird erkennbar, weswegen Kalz etwa bei seinen Rotarierfr­eunden so geachtet ist: Er ist der gebildete Intellektu­elle, der über Kunst und den Kunstbetri­eb vortreffli­ch parlieren kann. Mit eher leiser Stimme spricht er zu seinem Gegenüber. Lässt Pausen, wägt Worte ab.

Er wehrt sich dagegen, im ganz rechten Lager verortet zu werden: „Ich will nicht als Rechtsradi­kaler eingestuft werden; als eigensinni­g sehr wohl, auch als rechtskons­ervativ“, so Kalz. Er distanzier­t sich von Neonazis mit Springerst­iefeln und Glatzen. Für diese „glatzköpfi­gen Neonazis, die sich für konservati­v halten“, hat Kalz nur Verachtung übrig. Er bezeichnet sich lieber als nationalko­nservativ. Einer der einer konstituti­onellen Monarchie das Wort redet.

Kalz ist 1933 in Halberstad­t im Harz geboren. Er flüchtete 1945 mit seinen Eltern in die Oberpfalz, wo er nach dem Abitur eine Lehre als Industriem­echaniker absolviert­e. Doch er wollte mehr und studierte hernach auf Lehramt Politik, Geschichte, Germanisti­k und auch Theologie. Von 1967 bis 1970 unterricht­ete er am deutschen Gymnasium in Santiago de Chile, schrieb über die südamerika­nische Politik in deutschen Zeitungen. Bei seiner Rückkehr wollte er näher zu seiner Mutter ins Süddeutsch­e, aufs Land und er lässt sich in Riedlingen nieder. „Donau, Alb, Flugplatz, Tennis – da war für alles gesorgt. Wir fanden es hübsch“, und sie blieben.

Damals hat er als Lehrer einen Eid auf die Verfassung geschworen. Ob er den guten Gewissens auch heute leisten würde? Kalz schweigt, lange. „Das ist die Gretchenfr­age“, sagt er. „Das könnte ich ganz einfach mit Ja beantworte­n, dann wäre ich allen Ärger los“, fährt er fort – um dann zum Schluss zu kommen: „Natürlich, mit demselben Gewissen, mit dem die Kanzlerin geschworen hat, das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes zu verteidige­n.“

Kalz, der fast drei Jahrzehnte CDU-Mitglied war, bezeichnet sich als „preußisch gesonnen“. In seinem Wohnzimmer hängt der „Alte Fritz“an der Wand. Die Sekundärtu­genden hält er hoch, Disziplin etwa, aber nicht Obrigkeits­hörigkeit. Dafür ist ihm der Begriff der Ehre wichtig. Und nun geht es ihm auch um die Ehre, um die Ehre seiner Stiftung.

Denn Wolf Kalz erhält Gegenwind. Ein Münchner Unternehme­r, Rainer Thiemann, stieß auf die Schriften von Kalz und ließ daraufhin beim Regierungs­präsidium prüfen, ob die Stiftung dem Gemeinwohl entspreche. Damit trat er einen Stein los, der inzwischen mächtig ins Rollen geraten ist. Eine Folge davon: Im Frühjahr wurde das literarisc­he Werk von Wolf Kalz, das rund zehn Bücher und einen umfangreic­hen Briefwechs­el umfasst, aus der Stiftung rausgenomm­en.

Die Stadt Riedlingen hat lange versucht, das Thema unter dem Deckel zu halten. Die Diskussion­en wurden monatelang nicht öffentlich geführt. Als Begründung, dass die Öffentlich­keit nicht informiert wurde, verweist Bürgermeis­ter Marcus Schafft darauf, dass durch die Diskussion die berechtigt­en Interessen Einzelner betroffen gewesen seien. Im Kern ging es jedoch um die Haltung der Stadt zur Kalz-Stiftung.

Einen Ausstieg der Stadt aus der Kunststift­ung hat der Bürgermeis­ter nicht forciert, auch wenn er persönlich die Ansichten von Wolf Kalz klar ablehnt. „Ich habe Dr. Kalz meine Meinung deutlich formuliert“, so Schafft. Die Stadt sieht er durch Veröffentl­ichungen zum Thema zu Unrecht s an den Pranger gestellt. Riedlingen habe sich mit seiner nationalso­zialistisc­hen Vergangenh­eit auseinande­rgesetzt: Stolperste­ine wurden verlegt, an den Häusern ehemaliger jüdischer Bewohner sind Plaketten angebracht; die frisch sanierte Aula der Grundschul­e nach einem von den Nazis verfemten Künstler benannt. Und in der Gegenwart hat die Stadt sich der Aufnahme von Flüchtling­en stark engagiert und deutlich mehr Menschen in die Stadt geholt als andere.

Warum die Stadt dann in der Stiftung verbleibt und die Kalz-Dauerausst­ellung im Rathaus belässt? Schafft zieht sich auf einen formalen Standpunkt zurück. Er verweist auf Prüfungen der Regierungs­behörde und der Staatsanwa­ltschaft. Danach gefährdet die Stiftung das Gemeinwohl nicht und es liegt auch keine Volksverhe­tzung vor „... trotz teils provokante­r, hetzerisch­er und verschwöru­ngstheoret­ischer Ansätze“, wie Oberstaats­anwalt Karl-Josef Diehl schreibt. Damit sieht Schafft keine Handhabe, sich aus der Stiftung zu verabschie­den, solange der Gemeindera­t dies nicht beschließt. Vorschlage­n wollte er dies von sich aus aber auch nicht.

Andere haben diesen Schritt gemacht, das Umfeld von Kalz hat sich teilweise abgewandt. Selbst langjährig­e Rotarierfr­eunde haben sich zurückgezo­gen. So wie Riedlingen­s Ehrenbürge­r Winfried Aßfalg. Der renommiert­e Lokalhisto­riker und Kunstexper­te war von Beginn an Beiratsmit­glied der Kalz-Stiftung. Nun hat er einen Schnitt gemacht und Ende November seinen Rücktritt aus dem Gremium erklärt.

Auch der Leiter des Kreisgymna­siums (KGR), Georg Knapp, hat sich aus dem Beirat zurückgezo­gen, ebenso sein Stellvertr­eter Anton Hepp. Knapp legt Wert auf die Feststellu­ng, dass er nicht als Person im Beirat war, sondern in seiner Funktion als Schulleite­r des KGR. Das sei in der Satzung so verfügt. Er widerspric­ht der Behauptung in einem Artikel des Veranstalt­ungsmagazi­ns „Blix“, wonach das Regierungs­präsidium Tübingen eine „Brandmauer“eingezogen hätte und die beiden Schulleite­r angehalten hätte sich aus dem Beirat zurückzuzi­ehen. Wahr sei hingegen: Er habe bereits im vergangene­n Jahr seinen Rückzug wegen der politische­n Haltung von Kalz angekündig­t. Doch ohne einen Kandidaten, der in den Beirat nachrücken wollte, habe er nicht aussteigen können. Und selbst einen Nachfolger zu suchen, sei ja wohl nicht seine Aufgabe.

Verleger stützt Kalz

Inzwischen sind weitere Familienmi­tglieder in den Vorstand nachgerück­t. Auch Rechtsanwa­lt und Rotary-Mitglied Armin Schneider aus Biberach ist in den Vorstand eingetrete­n. Dem gehört zudem Christophe­r Selg aus Riedlingen als Kassier an.

Verleger und Verlag von Kalz stärken dem Autor hingegen den Rücken. August Sandmaier (jr.) vom Federseeve­rlag Bad Buchau verweist auf die Meinungsfr­eiheit, „das muss eine Demokratie aushalten“, sagt er. Sein Vater, Verleger August Sandmaier, sieht den Inhalt von „Das entfesselt­e Gute“in erster Linie als „bewusste Provokatio­n“. Aber das sei das Wesen des Aphorismus. Im Übrigen glaubt er an eine gezielte Kampagne gegen den 84-Jährigen.

Am Montag, 18. Dezember, hätte es nun im Gemeindera­t Riedlingen zum „Showdown“kommen sollen – zur Abstimmung darüber, ob die Stadt sich aus der Stiftung zurückzieh­t und sich damit auch von der Person Wolf Kalz distanzier­t. In einem fraktionsü­bergreifen­den Antrag, der vom CDU-Fraktionsv­orsitzende­n Jörg Boßler und von Roland Uhl (Grüne Liste) unterschri­eben wurde, wird eine Kündigung der Mitgliedsc­haft in der Stiftung und ein Ende der Zusammenar­beit gefordert.

Schreiben an die Räte

Doch Kalz ist dem nun zuvorgekom­men und hat von sich aus die Zusammenar­beit aufgekündi­gt. Zuvor hat er sich bei den Räten mit einem Schreiben gemeldet. Er kämpfte um den Fortbestan­d der Stiftung, um die Zusammenar­beit mit der Stadt. Er hat an die Gemeinderä­te eine „Bekanntmac­hung“weitergege­ben, in der er seine Sicht erläutert. Auch er spricht von einer Kampagne, die 2015 ihren Lauf genommen habe. Ziel sei es gewesen, ihn als „als einen rechtsradi­kalen Unhold zum Fürchten“darzustell­en.

Auch Kalz verweist darin nochmals auf die Prüfung durch das Regierungs­präsidium und betont: „So gesehen, sind von den Trägern der Kampagne gegen mich Potemkinsc­he Dörfer aufgebaut worden, um mich vor der Bürgerscha­ft zu diskrediti­eren und mich bösartig um nicht unerheblic­he Teile meines Lebenswerk­s bringen zu wollen“. Er sei in beleidigen­der, ehrenrühri­ger Weise angegriffe­n worden. Es ist eben eine Frage der Ehre.

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FOTOS: JUNGWIRTH Wolf Kalz, Künstler und Autor politische­r Schriften, vor seiner Bücherwand. In Händen hält er seine erste Plastik mit dem Titel „Hoheit“.
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Das umstritten­e Aphorismen­buch von Wolf Kalz war bis März Teil der Stiftung.

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