Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Kein hinreichender Betrugsverdacht
Staatsanwalt stellt Ermittlungen gegen ZF-Betriebsratschef ein – Neue Zeugenaussagen
FRIEDRICHSHAFEN - Die Staatsanwaltschaft Ravensburg hat die mehr als zwei Jahre andauernden Ermittlungen gegen den Gesamtbetriebsratschef des Automobilzulieferers ZF, Achim Dietrich, eingestellt. Der Verdacht des Betruges habe sich nicht hinreichend bestätigt, teilte die Behörde am Montag mit. Im Kern ging es um Rechnungen für Seminare, Plakate und Werbebroschüren, die der 49-Jährige als Kosten für die Arbeit des Betriebsrats freigezeichnet und dem Unternehmen zur Zahlung vorgelegt hat. Diese Seminare und Druckerzeugnisse sollen nichts mit der Arbeit der Arbeitnehmervertretung zu tun gehabt, sondern nur der Industriegewerkschaft Metall genutzt haben. „Vor allem bei zwei Seminaren gab es Anhaltspunkte, dass es sich bei ihnen nicht um Weiterbildungsmaßnahmen allgemeiner Art gehandelt hat, sondern um Teambuilding-Maßnahmen für die IG Metall“, sagte Oberstaatsanwalt Karl-Josef Diehl der „Schwäbischen Zeitung“.
Der Verdacht, den die „Wir ZF’ler“, eine der beiden Oppositionslisten zur IG Metall im Betriebsrat des Unternehmens, im Frühjahr 2015 öffentlich gemacht hatte, bestätigte sich im Laufe der Ermittlungen allerdings nicht. „Bei den überprüften und zur Kostenübernahme durch die ZF AG vorgelegten Seminaren und Druckerzeugnissen konnte entweder nicht von einer Täuschungsabsicht ausgegangen werden oder aber nicht nachgewiesen beziehungsweise sicher aufgeklärt werden, dass sie tatsächlich keinen betriebsratspezifischen Inhalte hatten“, schreibt die Staatsanwaltschaft Ravensburg in ihrer Erklärung.
„Ich freue mich darüber, dass Recht auch Recht bleibt und trotz unzähliger falscher Anschuldigungen die Staatsanwaltschaft davon unbeirrt nach Faktenlage entschieden hat“, sagte Dietrich auf Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“. „Wahrscheinlich kann man sich gut vorstellen, was dies die vergangenen Jahre auch für mich persönlich bedeutet hat. Die ZF Belegschaft hat mir in dieser sehr schwierigen Zeit den Rücken gestärkt.“Die Aufgabe als gewählter Interessenvertreter basiere auf Vertrauen. Ohne den großen Rückhalt, das fortgesetzte Vertrauen und die Solidarität der unterschiedlichen Gremien hätte Dietrich die vergangenen Monate niemals durchgestanden, erklärte er weiter.
Auch die IG Metall begrüßte das Ende der strafrechtlichen Ermittlungen. „Ich bin erleichtert, dass wir mit der Einstellung des Verfahrens nunmehr dieses unwürdige Kapitel in der Geschichte der ZF schließen können“, erklärte Enzo Savarino, der erste Bevollmächtigte der IG Metall Friedrichshafen-Bodensee, in einer schriftlichen Stellungnahme.
Neben der Kriminalpolizei Friedrichshafen, die die Ermittlungen für die Staatsanwaltschaft übernommen hat, prüfte auch das Unternehmen ZF selbst die Vorgänge. Zuerst nahm sich die Konzernrevision des Falles an und fand keine Beanstandungen. Danach befragte die Compliance-Abteilung als der für saubere Unternehmensführung zuständige Konzernbereich alle Beteiligten. Ein Abschlussbericht kam aber nicht zustande, weil der Vorstand von ZF die ComplianceAbteilung vor dem Abfassen einer Analyse stoppte. Nachdem die Betriebsratsliste „Wir ZF’ler“die Vorwürfe jedoch dann im Juni 2015 öffentlich gemacht hatte, wies der mittlerweile entlassene Vorstandschef Stefan Sommer die Compliance-Abteilung an, die Vorgänge ein zweites Mal zu untersuchen.
Für einen sogenannten Investigationsbericht befragten die internen Ermittler alle Beteiligten in der zweiten Jahreshälfte 2015 erneut. In der als vertraulich gekennzeichneten Dokumentation, die bei ZF nur 13 Personen einsehen durften, kam die Compliance-Abteilung unter anderem zu folgendem Schluss: „Aus arbeitsrechtlicher und strafrechtlicher Sicht stellt die erfolgte Kostenübernahme von ZF für Kommunikationsund Sachmittel, die eine unzulässige Vermischung von Gewerkschaftsund Betriebsratsarbeit beinhalten, mit großer Wahrscheinlichkeit eine Betriebsratsbegünstigung dar.“Der Report schlägt Vorstandschef Sommer vor, „arbeitsrechtliche Maßnahmen im Hinblick auf die verantwortlichen Personen“, zu erwägen.
„Abweichende Ergebnisse“
Der Compliance-Bericht liegt der Staatsanwaltschaft nach Angaben von Oberstaatsanwalt Diehl vor – allerdings gründet die Behörde ihre Entscheidung, die Ermittlungen einzustellen, auf eine Fortschreibung des fraglichen Berichts, die „zu einem abweichenden Ergebnis kommt“, wie Diehl im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“erklärt. Im Mai 2017 erreichte Diehl ein Schreiben der Rechtsabteilung von ZF, in der das Unternehmen die Staatsanwaltschaft darüber informierte, dass die Compliance-Abteilung die Ermittlungen weitergeführt und den Bericht fortgeschrieben habe.
Kern des aktualisierten Reports sei nach Angaben von Diehl eine Aussage eines ZF-Mitarbeiters, der bei dem Unternehmen „für die Zusammenarbeit zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern zuständig ist“. Die Aussage liege der Behörde in schriftlicher Form vor. „Dieser Mitarbeiter von ZF erklärt, dass es vor den Seminaren mündlich abgesprochen war, dass es bei den Seminaren um Teambuilding-Maßnahmen für die IG Metall ging und dass er zugesagt hat, dass ZF die Kosten für die Seminare übernimmt“, erläutert Diehl. „Damit liegt keine Täuschung von ZF und keine Schädigung von ZF vor.“Insgesamt hatte ZF für die fraglichen Seminare, Plakate und Broschüren nach Angaben von Diehl rund 210 000 Euro bezahlt.
Das Unternehmen wollte weder die Höhe der Kosten für die beanstandeten Vorgänge noch die Ergebnisse der internen Untersuchungen kommentieren. Die Tatsache, dass die mündliche Freigabe durch den Mitarbeiter erst zwei Jahre nach den Vorwürfen bekannt wurde, erklärt ZF damit, dass die Seminarteilnehmer sich erst 2017 bereit erklärten hatten auszusagen. „Daraufhin wurde der leitende Angestellte befragt – und der bestätigte die Angaben“, erklärte ein Sprecher. Der Zeitpunkt für die mündliche Genehmigung „lag vor der Durchführung der Seminare.“