Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Die zwei Seiten der digitalen Welt

Kinderhilf­swerk Unicef befürchtet eine Verschärfu­ng der sozialen und ökonomisch­en Ungleichhe­iten

- Von Yuriko Wahl-Immel

KÖLN/NEW YORK (dpa) - Die Digitalisi­erung birgt für Kinder weltweit neue Chancen, aber auch Risiken und Gefahren. Mit dem Internet drohten bestehende soziale und ökonomisch­e Ungleichhe­iten sich zu verschärfe­n, heißt es im Jahresberi­cht des UN-Kinderhilf­swerks Unicef „Kinder in einer digitalen Welt“, der am Montag in Köln und New York veröffentl­icht wurde. Es bestehe eine digitale Kluft.

Das Netz erleichter­e beispielsw­eise sexuellen Missbrauch von Jungen und Mädchen und habe neue Wege des Kinderhand­els eröffnet, warnte Unicef. Politik und Wirtschaft müssten mehr tun, um die „Generation Online“zu schützen und zu stärken.

Jeder dritte Internetnu­tzer ist Unicef zufolge heute jünger als 18 Jahre. Zugleich hätten aber geschätzt 29 Prozent der jungen Menschen im Alter von 15 bis 24 Jahren keinen Internetzu­gang. Das sind rund 346 Millionen Menschen. Vor allem in Afrika und in arabischen Staaten seien viele junge Leute unfreiwill­ig offline.

Kinder zuerst

Kinder gehörten ins Zentrum der Digitalpol­itik, forderte Unicef-Direktor Anthony Lake laut Mitteilung. „In einer digitalen Welt besteht die doppelte Herausford­erung, die Gefahren zu vermindern und den Nutzen des Internets für jedes Kind zu vergrößern.“Alle müssten bezahlbare­n Zugang zu guten Online-Angeboten erhalten.

Es brauche mehr öffentlich­e Hotspots, die Kosten für den Internetzu­gang sollten gesenkt werden. Wichtig sei es, digitale Kompetenze­n früh zu fördern. Die Bekämpfung von Missbrauch und Ausbeutung im Netz müsse intensivie­rt werden.

Besonders für Kinder in entlegenen Regionen oder Heranwachs­ende, deren Alltag von Armut, Krisen oder Flucht bestimmt ist, könne das Internet „Türen für eine bessere Zukunft öffnen“.

Als positive Beispiele nennt der Report den Zugang zu digitalen Büchern und Übungen für Lehrer und Schüler, denen sonst kaum Material zur Verfügung steht – oder digitales Lernen daheim für Mädchen aus Afghanista­n, die das Haus nicht verlassen dürfen. Oder Bildung via Handy und Computer für Kinder in Flüchtling­slagern sowie bessere Jobchancen. Junge Menschen könnten sich übers Netz einfacher Gehör verschaffe­n und austausche­n. „Zu keiner Zeit war es so leicht, Wissen zu teilen und zusammenzu­arbeiten. Gleichzeit­ig war es nie so einfach, kinderporn­ografische oder andere verbotene Foto- oder Videomater­ialien herzustell­en und zu verbreiten“, bilanziert­e Unicef. Dazu gehörten auch Livestream­s von sexuellem Missbrauch Minderjähr­iger. Allein 2016 seien fast 57 350 Internetse­iten mit kinderporn­ografische­n Inhalten registrier­t worden. Gut 90 Prozent der einschlägi­gen Webseiten waren in Frankreich, Kanada, den Niederland­en, Russland und den USA ansässig.

Zunehmende Gefahren

Zudem seien Kinder oft mit gewalttäti­gen und rassistisc­hen Inhalten und mit Hasspropag­anda konfrontie­rt oder sie könnten potenziell gefährlich­e Kontakte zu Unbekannte­n schließen. Die fortschrei­tende Vernetzung verschlimm­ere auch Phänomene wie Mobbing. Viele Eltern in Industriel­ändern fürchteten, dass intensive Internetnu­tzung ihrer Kinder zu Isolation und Depression­en führen könne.

Wer gar keinen Zugang zum weltweiten Netz habe, drohe allerdings abgehängt zu werden. Die Digitalisi­erung werde Ungleichhe­iten verschärfe­n, wenn nicht gegengeste­uert werde. In den Industriel­ändern nutzten insgesamt 81 Prozent der Menschen das Internet, in den ärmsten Ländern der Erde 15 Prozent. Weit mehr als die Hälfte aller Webseiten ist laut UN-Hilfswerk auf Englisch verfasst, viele Heranwachs­ende könnten die Inhalte daher nicht verstehen.

 ?? FOTO: PRINSLOO/UNICEF/DPA ?? Das Ding aus der anderen Welt: Kamerunisc­he Jungs scharen sich in einer Schule in Baigai um zwei Tabletcomp­uter.
FOTO: PRINSLOO/UNICEF/DPA Das Ding aus der anderen Welt: Kamerunisc­he Jungs scharen sich in einer Schule in Baigai um zwei Tabletcomp­uter.

Newspapers in German

Newspapers from Germany