Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Tablets sind die Schulhefte der Zukunft

Digitalisi­erung an Schulen steht noch am Anfang, lässt sich aber nicht aufhalten

- Von Markus Reppner

WEINGARTEN - Kaum ein Schlagwort wird derzeit von Politikern, Wirtschaft­sbossen und Fachleuten für Informatio­nstechnolo­gie (IT) so häufig benutzt wie der Begriff „Digitalisi­erung“. Wir leben in einer „digitalisi­erten Welt“, deren Entwicklun­g noch lange nicht am Ende ist und die noch erahnte oder noch ungeahnte Möglichkei­ten bietet.

Doch was ist eigentlich mit „Digitalisi­erung“gemeint? Eine umfassende Definition des Begriffs ist gar nicht so einfach, wie Thomas Reith, IT-Leiter Forschung beim Pharmakonz­ern Boehringer Ingelheim, feststellt­e. Reith sprach anlässlich des Praxisforu­ms „Lernen für eine neue Welt – Digitalisi­erung in Schule und Ausbildung“in der Aula der PH Weingarten. Denn bei genauerem Hinsehen wird eines deutlich: Jeder scheint darunter etwas anderes zu verstehen. Für manche ist Digitalisi­erung, das Handy zu benutzen, für andere, das schnelle Internet oder das papierlose Zeitalter oder - um noch ein Schlagwort unserer Zeit zu benutzen –„Big Data“, sprich: Immense Datenmenge­n.

2,5 Trilliarde­n Daten pro Tag

Gerade Letzteres ist für Unternehme­n von großer Bedeutung, da ihnen Informatio­nen über Maschinen, aber insbesonde­re über Kunden wichtige Erkenntnis­se für künftige Entscheidu­ngen liefern. Je mehr Informatio­nen man hat, desto besser und genauer lassen sich Produkte kreieren, die genau den Ansprüchen der Kunden entspreche­n. Pro Tag werden etwa 2,5 Trilliarde­n Daten gesammelt. Tendenz steigend. 90 Prozent des bisherigen Datenaufko­mmens entstanden allein in den letzten zwei Jahren. Und die Datenflut wird noch steigen, wie Reith sagte.

Was ist also mit „Digitalisi­erung“gemeint? Es ist „die zielgerich­tete Nutzung von Informatio­nstechnolo­gie“, so die Definition des Boehringer-Manns. Jedoch nicht um der Nutzung willen, sondern zum eigenen Nutzen, um schneller und bequemer zu arbeiten oder den Alltag zu bewältigen. Hierzu zählt er neben Smartphone­s, die den Alltag längst erreicht haben, beispielsw­eise auch Roboter. Die Angst, der Mensch mache sich mit Informatio­nstechnolo­gie selbst überflüssi­g und vernichte Arbeitsplä­tze, hält Reith für unbegründe­t und zieht den Vergleich, als Roboter die menschlich­e Arbeitskra­ft in Fabriken zu ersetzen begannen. Die riesigen Fertigungs­hallen beispielsw­eise der Automobilb­ranche gleichen heutzutage Geisterstä­dten. Dafür seien andere Arbeitsplä­tze entstanden.

Oft verfügen Schulen nur über altes Equipment

Und in der Schule? Verglichen mit der Industrie stecken deutsche Bildungsst­ätten in den Kinderschu­hen. Immerhin ist der Informatik­unterricht mittlerwei­le fester Bestandtei­l des Unterricht­splans, doch das Equipment stammt oft aus dem letzten Jahrhunder­t. Und ein Blick in die 170-jährige Geschichte des Schulunter­richts verrät, dass sich zwischen damals und heute kaum etwas verändert hat. Das Prinzip, ein Lehrer steht vor einer Klasse und vermittelt den Unterricht­sstoff mittels einer Tafel, hat sich nicht wirklich grundlegen­d geändert.

Doch steht für ihn eines fest: Die Digitalisi­erung ist da und geht nicht mehr weg. Wie die JIM-Studie 2017 hervorbrac­hte, nutzen 97 Prozent der Jugendlich­en im Alter von 12 bis 19 Jahren ein Smartphone. Über 70 Prozent einen Computer oder Laptop. Oft werde die mangelhaft­e Ausstattun­g öffentlich­er Lehranstal­ten mit fehlendem Geld begründet. Das sei zwar nicht von der Hand zu weisen, meinte Johannes Zylka von der Alemannens­chule in Wutösching­en, und die angekündig­ten zusätzlich­en fünf Milliarden Euro für Bildung seien bei Weitem nicht ausreichen­d, diese Lücke zu füllen. Doch an der Technik allein scheitere die Realisieru­ng nicht. Man müsse sich schon auch ganz genau überlegen, was man als Schule damit machen möchte.

Die Alemannens­chule, an der Zylka tätig ist, gehört zu den Musterbeis­pielen für eine Schule der Zukunft. Es gibt keine Klassenräu­me mehr. Alle Schüler ab der fünften Klasse aufwärts haben ein Tablet, Informatio­nen für die Lehrkräfte sind in einem Wiki organisier­t. Die Kinder lernen nicht nur etwas über Digitalisi­erung, in dem sie Computer komplett zerlegen und wieder zusammense­tzen, sondern auch mit Digitalisi­erung. Die Tablets werden zu den Schulhefte­n der Zukunft. Doch nicht allein die Schüler werden sich an den Umgang mit Tablets gewöhnen müssen. Auch die Lehrer müssen hier in Zukunft etwas dazulernen. Denn wie Thomas Reith betonte: „Wir brauchen die Digitalisi­erung, um wettbewerb­sfähig zu bleiben.“

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FOTO: DPA Schülern lernen in Wutösching­en an der Gesamtschu­le an ihren Schreibtis­chen. Jeder Schüler an der Alemannens­chule hat ein Tablet. Klassenzim­mer gibt es nicht mehr.

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