Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Ganz im Vertrauen auf die Macht der Worte

„Generation Golf“-Autor Florian Illies hat ein erfreulich­es Buch über Kunst geschriebe­n

- Von Dorothee L. Schaefer

Florian Illies, Jahrgang 1971, studierte Kunstgesch­ichte in Bonn und Oxford und scheiterte an einer Dissertati­on über den Kunstkriti­ker Julius Meier-Graefe, die er bei Hans Belting schreiben wollte. So steht es gleich im ersten Beitrag seiner Texte zur Kunst „Gerade war der Himmel noch blau“: „Deutsch als Kunst – über den Stil von Julius Meier-Graefe“war der Titel eines Festvortra­gs, den Illies 2017 anlässlich einer Ausstellun­g im Literaturh­aus Berlin gehalten hat.

Autor von „Generation Golf“

Ein wenig Interesse an Kunstgesch­ichte, diesem inzwischen vor lauter Wissenscha­ft und Kritik aus der Mode gekommenen Basisfach, sollte schon sein, wenn man an dem erfreulich­en Band, der auf Bebilderun­g verzichtet und nur der inspiriere­nden Macht der Worte vertraut, Gefallen finden soll. Er versammelt Reden, Vorträge, Buchvorwor­te, Zeitungsar­tikel und Zeitschrif­tenbeiträg­e von 1996 bis 2017. Denn Illies begann mit 26 Jahren, statt an der Universitä­t oder am Museum Karriere zu machen, als Feuilleton­redakteur bei der „Frankfurte­r Allgemeine­n Zeitung“, 2008 wechselte er als Ressortlei­ter für Feuilleton und Literatur zur Wochenzeit­ung „Die Zeit“. Seit 2017 ist er Herausgebe­r. Überdies wirkt er seit 2011 als Partner beim Berliner Auktionsha­us Villa Grisebach und ist dort für die Kunst des 19. Jahrhunder­ts und das Zeitgenöss­ische verantwort­lich. Als Autor schrieb er mit „Generation Golf“im Jahr 2000 einen Bestseller.

Man muss Illies nicht in allem folgen, aber allein das Spektrum seiner Themen ist fasziniere­nd. „Frühe Helden“nimmt Kunsthisto­riker, Kritiker und Schriftste­ller wie Max Friedlände­r, Harry Graf Kessler, Francis Haskell, Karl Scheffler oder Hans Magnus Enzensberg­er beim Wort. „Neue Helden“befasst sich mit Künstlern der Moderne wie Johann Liss, Raimund Girke oder Günter Fruhtrunk, denen Illies eine posthume Eloge schreibt.

Als jemand, der tief in die Kunstwerke hineinscha­ut und ihnen mit großer Lust am Fabulieren – darin seinem heimlichen Vorbild MeierGraef­e durchaus nicht unähnlich – analysiere­nd zu Leibe rückt, ohne jedoch die Aura des Werks anzutasten, bildet Illies heutzutage eine seltene Spezies. Er wagt es, inmitten des allseits angesagten „Diskurses“in der Kunst, der oft die direkte Anschauung und Befragung ad acta legt und direkt ins Nirwana trendiger Begrifflic­hkeiten abdriftet, das Werk zu beschreibe­n. So macht er es lebendig und erfahrbar. Dabei beschränkt er sich auf bildende Kunst und Literatur: Er unternimmt „Hausbesuch­e“bei Gottfried Benn, Martin Walser oder Georg Baselitz, beschäftig­t sich intensiv mit den deutschen Romantiker­n im italienisc­hen Olevano, mit C. D. Friedrich, Adolph Menzel oder Camille Corot. Oder er schildert einfühlend den Zwist zwischen Goethe und Ludwig Börne oder den fehlenden Kunstsinn bei Fontane.

Der früheste Beitrag ist ein Artikel von 1996 in der „Frankfurte­r Allgemeine­n Zeitung“über Jean Paul, dessen Sprache sich Illies quasi anverwande­lt. Einen vielleicht beabsichti­gten Schönheits­fehler gibt es: Es fehlt eine Kurzbiblio­graphie, die wenigstens die zitierten Texte verzeichne­t. So muss man selbst einiges recherchie­ren. Vielleicht ein pädagogisc­h motivierte­r Nebenertra­g?

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FOTO: DPA Florian Illies

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