Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Ziel krachend verfehlt
Das Achtelfinal-Aus bei der Heim-WM setzt dem deutschen Frauenhandball ziemlich zu – Nicht nur Biegler hört auf
LEIPZIG (SID/dpa) - Am Tag danach wurde es noch einmal hoch emotional. Mit Tränen in den Augen verabschiedeten sich die deutschen Handballerinnen von ihrem Trainer, Michael Biegler selbst wirkte bei der Abfahrt vom Teamhotel tief bewegt. „Ich bin sehr dankbar, diese 20 Monate bestritten zu haben“, sagte Biegler und nahm das desaströse WM-Ergebnis auf seine Kappe. „Dass wir sportlich so weit hinterherhinken, ernüchtert einen und schafft große Enttäuschung. Das Ergebnis habe ich zu verantworten.“Biegler wechselt zum Jahresende zum Männer-Bundesligisten SC DHfK Leipzig.
Das sang- und klanglose Ausscheiden im Achtelfinale trifft den deutschen Frauenhandball ins Mark. Anstatt mit der angepeilten ersten Medaille seit WM-Bronze vor zehn Jahren für neue Aufbruchstimmung zu sorgen, erlebte die Sportart ausgerechnet bei der Weltmeisterschaft im eigenen Land ein Debakel. Dabei war noch nie in der Geschichte so viel in ein Team und den Trainerstab investiert worden.
Kein Wunder, dass im deutschen Lager nach all der Euphorie der vergangenen Tage und Wochen am Montag Trauer und Bestürzung regierten. Von der Weltspitze, das mussten DHB-Kapitänin Anna Loerper und Co. schmerzvoll erkennen, ist Deutschland ziemlich weit entfernt. Als es darauf ankam, versagten auch den erfahrenen Spielerinnen die Nerven. Vor allem die Schwächen im Abschluss und die vielen technischen Fehler waren frappierend.
Noch lange saß das deutsche Team in der Nacht zu Montag beisammen und versuchte die ernüchternde 17:21Niederlage gegen Dänemark irgendwie zu verarbeiten. „Wir hatten keine angenehme Nacht und kaum Schlaf“, sagte Anna Loerper mit glasigen Augen und nannte die Verabschiedung von Michael Biegler „das i-Tüpfelchen der Emotionalität“.
Die Enttäuschung war auch Andreas Michelmann deutlich anzumerken. Der Verbandspräsident, der Biegler im April 2016 als großen Hoffnungsträger präsentiert hatte, setzte mit belegter Stimme zum WM-Fazit an. Das sportliche Ziel, so Michelmann, sei „krachend verfehlt“worden. Dennoch sprach Michelmann Biegler und Sportdirektor Wolfgang Sommerfeld seinen Dank aus. „Wir konnten in den letzten 20 Monaten nicht komplett ausgleichen, was wir uns in den vergangenen 15 Jahren eingebrockt haben“, sagte der Präsident. Michael Biegler habe durch die verbesserte Zusammenarbeit mit den Clubs Strukturen „aufgebrochen“und vieles zum Guten entwickelt.
Michelmann bekräftigte, an den verstärkten Bemühungen für den Frauenhandball festhalten zu wollen. „Wir müssen aus diesem MachoKram endlich rauskommen. Das ist das Grundübel der letzten 15 Jahre gewesen“, sagte der Verbandschef. „Wir reden immer von Gleichberechtigung, aber im Grunde war der Frauenhandball etwas Exotisches für uns. Wie es geht, zeigen uns die Skandinavier seit Jahren. Nationen wie Dänemark, Norwegen und Schweden sind unsere Benchmark. Da müssen wir hin.“
Dafür wird die Mannschaft ein neues Gesicht bekommen. Denn neben Biegler werden wohl etliche Nationalspielerinnen ihre internationalen Karrieren beenden. Torfrau Clara Woltering und Rückraumspielerin Nadja Mansson kündigten bereits öffentlich ihren Rückzug an, die 33-jährige Loerper ließ ihre Zukunft bewusst offen. Und auch Spielerinnen wie Kerstin Wohlbold, Katja Kramarczyk, Isabell Klein (alle ebenfalls
33 Jahre) sowie Jenny Karolius (31) dürften beim neuen Bundestrainer Henk Groener, der seine Arbeit am 1. Januar aufnimmt, keine Schlüsselrollen mehr einnehmen.
Was die Sache für ihre Nachfolgerinnen nicht einfacher macht: Der Frauenhandball verliert seinen Förderstatus, den er sich erst im Vorjahr durch den sechsten EM-Platz erkämpft hatte. Hätte man weiter von den (durch das Bundesinnenministerium bereitgestellten und vom Deutschen Olympischen Sportbund verteilten) Geldern profitieren wollen, hätte mindestens WM-Rang acht herausspringen müssen – der Viertelfinaleinzug. Wie sagte Anna Loerper? „Wir haben die ganz große Bühne leider verpasst.“