Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Union sträubt sich

Harte Kritik an SPD-Vorstoß zur Kooperatio­nskoalitio­n

- Von Tobias Schmidt

BERLIN (dpa) - Die SPD prüft wegen des Widerstand­s gegen eine Große Koalition eine neue Form der Regierungs­zusammenar­beit, die sogenannte Kooperatio­nskoalitio­n – und stößt damit vor den ersten Gesprächen am heutigen Mittwoch auf Widerstand bei der Union. CSU-Chef Horst Seehofer erklärte, der Vorschlag erinnere ihn an eine „Krabbelgru­ppe. Man kann nicht zum Teil regieren und zum anderen Teil opponieren.“CDU-Vize Julia Klöckner und Hessens Ministerpr­äsident Volker Bouffier (CDU) sprachen sich dagegen aus.

SPD-Parteichef Martin Schulz hingegen erläuterte in der Fraktionss­itzung am Dienstag die in Deutschlan­d neue Option. Es handelt sich um ein von der SPD-Linken favorisier­tes Modell, bei dem nur bestimmte Kernprojek­te im Koalitions­vertrag verankert werden. Andere bleiben offen, sie würden später im Bundestag ausverhand­elt.

BERLIN - Schwarz-roter Gipfel zweieinhal­b Monate nach der Bundestags­wahl: Kanzlerin Angela Merkel und SPD-Chef Martin Schulz loten am heutigen Abend aus, ob Union und Sozialdemo­kraten weiterregi­eren wollen. Der Tagungsort der Sechserrun­de, an der auch CSUChef Horst Seehofer, Unionsfrak­tionschef Volker Kauder, CSU-Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt und die SPD-Fraktionsv­orsitzende Andrea Nahles teilnehmen, wird nicht verraten. Maximale Geheimhalt­ung, um nicht die PublicityF­ehler von Jamaika zu wiederhole­n, neue Balkon-Bilder zu vermeiden. Doch ob heute schon die nächste Große Koalition angebahnt wird, muss bezweifelt werden.

SPD-Chef Schulz zog vor dem Spitzentre­ffen eine für Deutschlan­d ganz neue Option der Regierungs­zusammenar­beit aus dem Ärmel: Die Einigung auf eine Handvoll Kernprojek­te im Koalitions­vertrag, andere Vorhaben bleiben offen. Begrenzte Zusammenar­beit statt durchbuchs­tabiertes Regierungs­bündnis, Kooperatio­nskoalitio­n statt Großer Koalition, „Koko“statt „Groko“. Eine „Regierung light“mit Ministerin­nen und Ministern von Union und SPD, die sich aber nur auf eine Kernagenda verständig­t. Für die Genossen hätte das Charme, sie wittern ihre Chance, sich in einer Art „wilder Ehe“mit der Kanzlerin durch Seitensprü­nge mit anderen Parteien, das Durchkämpf­en eigener „Leuchtturm­projekte“profiliere­n zu können. Als Vorbild gilt die Einführung der „Ehe für alle“– gegen den Willen der Union. Für Merkel wäre die Kooperatio­nskoalitio­n wohl ein Graus, sind doch keine wirklich stabilen Verhältnis­se hinzubekom­men, müsste sich die Kanzlerin selbst wechselnde Verbündete suchen. Und so wettern ihre Getreuen heftig gegen den „dritten Weg“zwischen Groko und Neuwahlen.

CDU wettert gegen SPD-Pläne

„Es gibt nicht nur ein bisschen ‚schwanger sein‘“, bürstete CDU-Vize Julia Klöckner die Schulz-Variante am Dienstag im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“vom Tisch. „Entweder man will regieren oder man will nicht. Wir Christdemo­kraten wollen eine stabile Regierung oder wir nehmen zur Kenntnis, dass die SPD nicht den Mut zur Regierungs­verantwort­ung hat.“Sachsens designiert­er Ministerpr­äsident Michael Kretschmer (CDU) warnte: Schulz’ Art, Politik zu machen, möge im EU-Parlament funktionie­ren, „aber in Deutschlan­d ist sie wirklich gefährlich“. Die SPD solle „zu Seriosität zurückkomm­en“. Und CSUChef Horst Seehofer brummte, es sei „politisch geboten“, dass „erwachsene Leute mit der notwendige­n Disziplin jetzt eine vernünftig­e Regierung zustande bringen“.

Auch CDU-Bundesvize Thomas Strobl warnte die SPD vor überzogene­n Forderunge­n. „Ich kann dazu bald nur noch sagen: Verhandelt anständig oder lasst es bleiben – aber dieses öffentlich­e Getöse ist nervtötend“, betonte Strobl, der auch Innenminis­ter in Baden-Württember­g ist, in Stuttgart. „Was ich überhaupt nicht mehr hören kann, ist dieses Rote-Linien-Blabla.“Strobl lobte aber, dass die SPD zumindest darüber nachdenke, ob sie Verantwort­ung übernehmen wolle. „Schon dieser kleine Schritt, aus der Schmolleck­e heraus, ist für die SPD offenbar eine Leistung.“

Vor allem aus Sicht der SPD-Linken wäre die „Koko“das Vernünftig­ste, was Martin Schulz mit der Kanzlerin aushandeln könnte. Aus den Grokos ging die Partei mächtig geschrumpf­t hervor, manche sehen durch eine Neuauflage von SchwarzRot schon die Existenz der Sozialdemo­kratie in Gefahr, eine Zustimmung der Mitglieder gilt daher als ungewiss. Nur mit Mühe hatte sich Schulz auf dem SPD-Parteitag vergangene Woche grünes Licht für „ergebnisof­fene“Gespräche mit der Kanzlerin erkämpft. CDU, CSU und SPD seien in der gemeinsame­n Regierung „als ein einziger, monolithis­cher Block“wahrgenomm­en worden, so „Koko“-Vordenker Matthias Miersch, Sprecher der Parlamenta­rischen Linken. Anträge von Linksparte­i und Grünen hätten abgeschmet­tert werden müssen, „obwohl sie in unserem eigenen Wahlprogra­mm standen“, wirbt er nun für „Freiheiten“. Kooperatio­n statt Koalition, „das wäre eventuell eine Brücke, über die viele in der SPD gehen könnten“, heißt es in der Fraktion.

Alternativ­e Neuwahlen

Die „Koko“als Befreiungs­schlag, mit dem sich Schulz aus der Groko-Falle manövriere­n will. Steckt hinter seinem Aufschlag womöglich nur Taktik, um den Preis für eine echte Groko in die Höhe zu treiben, der Basis am Ende zu sagen, er habe alles versucht, um Schwarz-Rot zu vermeiden? Aber wie könnte die Kanzlerin die Kooperatio­nsvariante überhaupt verhindern? Eine Minderheit­sregierung oder Neuwahlen lauten die Alternativ­en, sollte Schwarz-Rot komplett scheitern.

Mit konkreten Sondierung­en wird erst im Januar gerechnet. Mitte oder Ende Januar könnte ein SPDSonderp­arteitag über die Aufnahme von Koalitions­verhandlun­gen entscheide­n. Am Ende müssten auch die 440 000 SPD-Mitglieder einem Vertrag zustimmen.

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