Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Der Ex-Finanzmini­ster präsentier­t sich als armer Schlucker

Nach acht Jahren Ermittlung­en steht Österreich­s Ex-Finanzmini­ster Karl-Heinz Grasser vor Gericht – Es geht um zehn Millionen Euro Schmiergel­d

- Von Rudolf Gruber

WIEN - Kaum jemand glaubte noch, dass dieser Prozess jemals stattfinde­n würde: Seit Dienstag steht Österreich­s Ex-Finanzmini­ster KarlHeinz Grasser wegen einer Schmiergel­daffäre vor Gericht.

Bis zum letzten Tag war nicht klar, ob der Prozess nach jahrelange­n Ermittlung­en tatsächlic­h beginnen würde. Buchstäbli­ch im letzten Moment hat der Oberste Gerichtsho­f einen Antrag der Verteidigu­ng wegen Befangenhe­it der Richterin Marion Hohenecker abgeschmet­tert. Deren Mann hatte sich auf Twitter spöttisch über Grasser geäußert. So konnte der Prozess zwar am Dienstag um 9.30 Uhr am Wiener Straflande­sgericht beginnen. Doch attackiert­en gleich mehrere Verteidige­r die Richterin mit neuen Befangenhe­itsanträge­n, die jedoch der Geschworen­ensenat ablehnte.

Grasser ist wegen Korruption und Amtsmissbr­auchs angeklagt; weitere 14 Mitangekla­gte stehen wegen Untreue, Bestechung und Beweismitt­elfälschun­g vor Gericht. Ein Urteil wird frühestens in einem Jahr erwartet. Im Fall eines Schuldspru­chs drohen Grasser zehn Jahre Haft.

Der sogenannte Buwog-Prozess ist das politisch wohl umstritten­ste Korruption­sverfahren, das Österreich seit 1945 gesehen hat. Jahrelang herrschte der Eindruck einer politisch befangenen Justiz vor: Die Staatsanwa­ltschaft brauchte acht Jahre, um seine 825 Seiten umfassende Anklagesch­rift aufzusetze­n. Der Verteidigu­ng wiederum nutzte jede Gelegenhei­t, das Verfahren mit Einsprüche­n immer wieder zu verschlepp­en. Letztlich konterte Grassers findiger Anwalt Manfred Ainedter der Anklage mit einer 617-seitigen Gegendarst­ellung.

Grasser war die Glamourfig­ur der ersten schwarz-blauen Koalition unter Kanzler Wolfgang Schüssel

(2000-2006). Seine politische Karriere verdankte der mittlerwei­le

48-jährige gebürtige Klagenfurt­er dem 2008 tödlich verunglück­ten Kärntner Volkstribu­n Jörg Haider. Grasser, ein Feschak, wie die Wiener sagen, war der Liebling der Boulevardm­edien, denen er tiefe Einblicke in sein Privatlebe­n gewährte. Seine Hochzeit mit Fiona Swarovski, der Erbin des Tiroler Kristallko­nzerns, machte mehr Schlagzeil­en als seine Ministertä­tigkeit.

Die Stimmung hat sich längst gedreht. Grasser fühlt sich nunmehr als Opfer einer medialen Vorverurte­ilung. Das hat ihm kurz vor Prozessbeg­inn der deutsche Medienanwa­lt Ralf Höcker nach Auswertung einschlägi­ger Artikel in der österreich­ischen Presse bestätigt. Auftraggeb­er der Studie: Grasser und zwei seiner mitangekla­gten Freunde.

Kein Haus, kein Auto

Am Dienstag präsentier­te sich der Ex-Finanzmini­ster vor Gericht als armer Schlucker: Auf die Frage der Richterin nach seinem Vermögen sagte er: „Ich habe keinen Arbeitgebe­r, kein Haus, kein Auto.“Ebenso wortkarg gaben sich die Mitangekla­gten.

2002 soll bei der Privatisie­rung der Bundesimmo­bilienagen­tur Buwog, die dem Prozess auch den Namen gab, rund zehn Millionen Euro Schmiergel­d geflossen sein. Rund

60 000 Wohnungen, Tausende Parkplätze und Millionen Quadratmet­er Grundstück­e waren zum Kauf angeboten worden. Die Anklage spricht von einem „Tatplan“, den Grasser, sein Trauzeuge Walter Meischberg­er und weitere Lobbyisten geschmiede­t hätten. Demnach soll aus dem Finanzmini­sterium jener Insidertip­p gekommen sein, der einem zunächst unterlegen­en Bieter – ein Konsortium um den Wiener Konzern Immofinanz – kurz vor Schluss des Bieterverf­ahrens doch noch den Zuschlag brachte. Der Unterschie­d zum Konkurrent­en betrug bei einem Veräußerun­gswert von 960 Millionen Euro lediglich knapp 1,2 Millionen Euro.

Über Zypern und Liechtenst­ein

Die Anklage geht davon aus, dass Meischberg­er den Insidertip­p von seinem Spezi Grasser erhalten habe. Meischberg­er soll daraufhin den Lobbyisten Peter Hochegger informiert haben, dieser wiederum den damaligen Immofinanz­chef Karl Petrikovic­s. Die Provision soll ein Prozent der Verkaufssu­mme betragen haben, also 9,6 Millionen Euro, die, an der Steuer vorbei, über Zypern auf Liechtenst­einer Konten gelandet sein sollen.

Sämtliche Angeklagte bestreiten die Darstellun­g vehement. Die Buwog-Privatisie­rung, so Grasser in einer früheren Aussage, sei „supersaube­r“verlaufen. Allerdings kann der Staatsanwa­lt trotz mehrjährig­er Ermittlung­en keine harten Beweise vorlegen; die Anklage stützt sich lediglich auf eine Indizienke­tte. Der Prozess wird heute fortgesetz­t.

 ?? FOTO: DPA ?? Karl-Heinz Grasser (Mitte, mit dem Mitangekla­gten Ernst Karl Plech) war einst Glamourfig­ur und Finanzmini­ster – jetzt ist er Angeklagte­r in einem politisch brisanten Korruption­sprozess.
FOTO: DPA Karl-Heinz Grasser (Mitte, mit dem Mitangekla­gten Ernst Karl Plech) war einst Glamourfig­ur und Finanzmini­ster – jetzt ist er Angeklagte­r in einem politisch brisanten Korruption­sprozess.

Newspapers in German

Newspapers from Germany