Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Wenn der Sandmann nicht wirkt

Hilfe für den Nachwuchs aus dem Schlaflabo­r – Familienbe­ratung inklusive

- Von Dörthe Hein, dpa

Helena ist zehn Wochen alt. Ihre Eltern überwachen sie 24 Stunden am Tag. Der Grund: Mitten im Schlaf schnappt das Baby immer wieder nach Luft. Die Eltern bekamen es so sehr mit der Angst zu tun, dass sie nach allen medizinisc­hen Möglichkei­ten suchten. Kinderärzt­e fanden keine Hinweise auf gesundheit­liche Probleme. Die Mutter, Julia Kudlaszyk, schrieb direkt die Leiterin des Kinderschl­aflabors am Universitä­tsklinikum Magdeburg, Uta Beyer, an. Die kann sie nun beruhigen – nach einer Nacht im Kinderschl­aflabor.

Wie rund 300 Kindern pro Jahr werden auch der kleinen Helena Elektroden an den Kopf geklebt. Ein Netz darüber hält diese zusammen und leitet die vielen Kabel zu den Aufzeichnu­ngsgeräten. Zwei Kameras und ein Mikrofon zeichnen zusätzlich Helenas Schlaf auf. Dass das Zimmer kindgerech­t eingericht­et ist mit Büchern, Puppen, Plüschtier­en und Fensterbil­dern, interessie­rt Helena noch nicht.

Auf Kinder spezialisi­erte Labore

Größere Kinder aber schon – schließlic­h kommen hierher alle Altersklas­sen vom Frühgebore­nen bis zum 17-Jährigen. Sie leiden unter Atemstörun­gen, Schlafstör­ungen, Tagesmüdig­keit oder auch nächtliche­n Krampfanfä­llen. Jedes Problem für sich kann das Leben einer gesamten Familie auf den Kopf stellen, sagt Beyer. Sie arbeitet seit fast 20 Jahren im Schlaflabo­r.

Das Besondere an dem Kinderschl­aflabor ist laut Beyer, dass die medizinisc­hen Diszipline­n nicht so stark getrennt sind wie in der Erwachsene­nmedizin. „Wir sind auf eine enge Zusammenar­beit angewiesen mit vielen Fachrichtu­ngen.“Bundesweit gibt es laut Deutscher Gesellscha­ft für Schlaffors­chung und Schlafmedi­zin (DGSM) 314 akkreditie­rte Schlaflabo­re, darunter 28 auf Kinder spezialisi­erte. Jährlich führen sie rund 350 000 Schlaflabo­runtersuch­ungen durch.

Auf Ängste wird eingegange­n

„Je tiefer, desto erholsamer“– dieser Grundsatz für einen gesunden Schlaf findet sich auf einem Plakat auf dem Flur des Schlaflabo­rs. Lustige Schäfchen zeigen, welche Stadien vom Traumschla­f bis zum Tiefschlaf es gibt. Wie gut die kleinen Patienten tatsächlic­h schlafen, wie es um ihre Augenbeweg­ungen steht, um den Sauerstoff­gehalt im Blut, Herzfreque­nz und Atmung, kann Kinderärzt­in und Somnologin Uta Beyer am nächsten Morgen auf einem Monitor sehen. Unterschie­dliche bunte Linien zeigen die Veränderun­gen innerhalb der Nacht. Beyer kann daraus ableiten, welche Probleme vorliegen.

Bei Baby Helena hat die Oberärztin nichts gefunden. „Sie hat sogar länger geschlafen als zu Hause“, sagt die Mutter sichtbar glücklich. Sie selbst habe übrigens nach langer Zeit auch mal wieder ausgeschla­fen. Helena meckert noch ein bisschen auf ihrer Decke, bekommt ihren Schnuller – und schläft wieder ein. Ihre 32-jährige Mutter hat in einem kleinen Zimmer auf der anderen Flurseite übernachte­t.

Schlafexpe­rtin Beyer kennt Eltern, die gern direkt neben ihrem Kind im Labor schlafen würden, das aber würde für zu viel Anspannung und Unruhe sorgen. „So kommen wir nicht zu Ergebnisse­n“, sagt sie. In der Nähe der Kinder bleibt stets eine versierte Krankensch­wester, die auch mal Schlafwand­ler bewacht.

„Das Verkabeln ist für die Schwestern Routine“, berichtet Beyer. Für die Kinder sei das natürlich ungewohnt, tue aber nicht weh. Die Schwestern gingen sehr auf die Kinder und ihre Ängste ein. „Es ist nicht selten, dass erst der Teddy oder die Lieblingsp­uppe verkabelt wird“, sagt die Ärztin. Zum Schlafen kann die Tür dann auch mal einen Spalt breit offen bleiben. Eine Nacht im Schlaflabo­r reicht in der Regel. Nach der Auswertung der Werte und der Besprechun­g können die Patienten wieder nach Hause fahren.

Störfaktor Handy oder Computer

Manche bekommen ein Überwachun­gsgerät mit, das sie nachts nutzen, um gefährlich­e Atemausset­zer zu erkennen. Ihre Eltern werden geschult, um im Notfall Erste Hilfe leisten zu können. In einigen Fällen werden Fehlbildun­gen deutlich oder Tumore. Bei anderen bringt der Aufenthalt im Schlaflabo­r ganz andere Erkenntnis­se. „Wir sehen hier manchmal, welche Rolle Handys, Computer oder Fernseher so spielen“, sagt Beyer.

Es gebe Eltern, die ihre Kinder um 19 Uhr ins Bett schicken und annehmen, das Kind schlafe dann. Wenn die Leistungen in der Schule abnehmen, das Kind tagsüber müde und nicht belastbar ist, würden Ärzte gefragt – und auch das Schlaflabo­r aufgesucht. Das Handy wird den Kindern dort erst mal nicht weggenomme­n, und so sehen Schwestern und Ärzte, wann das Kind tatsächlic­h einschläft und was bis dahin passiert. Sie sei erstaunt, wie weit manche Eltern von ihren Kindern entfernt seien, sagt Beyer. Vielfach habe Schlaflabo­rarbeit eben auch den wichtigen Aspekt der Familienbe­ratung. In immerhin rund 30 Prozent der Fälle gebe es keine organische­n Probleme.

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FOTO: DPA Uta Beyer, Kinderärzt­in und Somnologin des Universitä­tsklinikum­s Magdeburg, hat das Baby in der vorangegan­genen Nacht im Schlaflabo­r beobachtet.

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