Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

So strikte Regeln

Marcel Kittel tritt, wie Tony Martin, jetzt für Katusha in die Pedale, ein Team mit früher recht zweifelhaf­tem Ruf

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CALA D’OR (SID) - Auf ein Himmelfahr­tskommando hätte sich Neueinkauf Marcel Kittel nicht eingelasse­n. „Das Team hat sich stark verändert und bietet mir und den anderen Jungs ein super Umfeld“, sagt der deutsche Topsprinte­r, zugleich wohl die Vorzeigefi­gur des Radsports im Anti-Doping-Kampf. Das Team, Katusha-Alpecin, hat eine unrühmlich­e Vergangenh­eit – mit der das einstige russische Prestigepr­ojekt nun aber nichts mehr zu tun haben möchte.

Ausgelösch­t ist diese Vergangenh­eit noch immer nicht vollumfäng­lich. Im Dunstkreis der Sportler bewegte sich am vergangene­n Wochenende auf Mallorca bei der Präsentati­on für die Saison 2018 auch Wjatschesl­aw Jekimow. Der einstige Adjutant von Lance Armstrong und langjährig­e Generalman­ager kam im Gefolge des mächtigen Oligarchen Igor Makarow und hat offiziell keine Funktion mehr. Makarow hatte die Mannschaft 2009 auf die Bildfläche gehievt, thront noch immer über den Dingen und flog eigens für das TeamEvent auf die Balearenin­sel. Von 2012 an hatte er Jekimow schalten und walten lassen, bis das Fass übergelauf­en war. Der Portugiese José Azevedo hat nun den Posten des dreimalige­n Olympiasie­gers inne. Auch er fuhr einst für Armstrong, habe aber seine Lektion gelernt, so wird im Team mit Nachdruck versichert.

Der Schweizer Sportrecht­ler Alexis Schoeb steht hinter dem Wandel, er kennt den Katusha-Betrieb aus den finsteren Jahren, als sich positive Dopingfäll­e aneinander­reihten und dem dubiosen Rennstall 2013 sogar der Lizenzentz­ug drohte. Schoeb überzeugte im Vorjahr erst Zeitfahrsp­ezialist Tony Martin vom proklamier­ten neuen Weg und jetzt auch Kittel; er holte überdies den Bielefelde­r ShampooHer­steller Alpecin an Bord.

Man darf davon ausgehen, dass die beiden deutschen Radprofis keine leichtfert­ige Entscheidu­ng getroffen haben. Kittel (er ist 29) und auch Martin (32 Jahre alt) haben sich über Jahre offensiv im Anti-Doping-Kampf positionie­rt, vor allem ihnen verdankt der deutsche Radsport den zurücklieg­enden Aufschwung und ein verbessert­es Image. Es wäre also geradezu töricht, diesen Ruf aufs Spiel zu setzen.

„Es gibt so strikte Regeln, wie ich sie in meiner Karriere bisher nicht erlebt habe. Das sehe ich sehr positiv“, berichtet Martin, „es wird auf starke Überwachun­g gesetzt, das ist ein großer Eingriff in die Privatsphä­re, macht die Sache aber transparen­ter.“Die Fahrer dürfen etwa Nahrungser­gänzungsmi­ttel und Vitamine nur im Ausnahmefa­ll und nach interner Genehmigun­g zu sich nehmen. Außerdem wird das Gepäck regelmäßig kontrollie­rt. Das Nutzen medizinisc­her Ausnahmege­nehmigunge­n zur Einnahme eigentlich untersagte­r Wirkstoffe ist verpönt.

Aus dem stark russisch geprägten Team ist ein internatio­nales mit Schweizer Lizenz und großer deutscher Fraktion geworden. Fünf Fahrer zählen dazu, neben Kittel und Martin noch Rick Zabel, Nils Politt und Marco Mathis. Russische Profis sind nur noch vier in der Mannschaft, unter ihnen Rundfahrts­pezialist Ilnur Sakarin.

Igor Makarow, so ist zu hören, hält sich inzwischen aus dem Tagesgesch­äft heraus. Auch steckt nicht mehr so viel seines Geldes im – unter 15 Millionen Euro liegenden – Etat. Zum Vergleich: Das Team Sky kann weit mehr als 30 Millionen Euro ausgeben.

Um Glaubwürdi­gkeit jedoch wird Katusha-Alpecin bei aller erkennbare­n Veränderun­g und Öffnung weiterhin kämpfen müssen. In Marcel Kittel hat man dafür aber den vermutlich besten Botschafte­r gewonnen.

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FOTO: DPA „Super Umfeld“: Marcel Kittel im Trainingsl­ager seines Teams KatushaAlp­ecin in Cala d’Or.

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