Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Handtaschenräuber muss ins Gefängnis
Flüchtling muss für zwei Jahre ins Gefängnis – Opfer erkennt ihn wieder
SIGMARINGEN - Ein 26-jähriger Asylbewerber ist vom Schöffengericht zu einer Gefängnisstrafe von zwei Jahren verurteilt worden. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass der Mann aus Marokko in der Innenstadt einer Frau die Handtasche gewaltsam entrissen hatte. Das Opfer erkannte den Täter wieder. Der Marokkaner leugnete den Raub, obwohl ihm sein Anwalt zu einem Geständnis geraten hatte. Nach der Tat im August 2016 hatte er sich in die Niederlande und die Schweiz abgesetzt. Bei der Wiedereinreise am Flughafen in Frankfurt im Oktober dieses Jahres wurde er festgenommen. Seither sitzt er in Haft.
Die Verhandlung beginnt verspätet, weil der Verteidiger vor dem Sitzungssaal I des Amtsgerichts Sigmaringen auf den Angeklagten einredet. „Ich möchte ihm die Vorteile eines Geständnisses erklären“, sagt Alwin Beuter. Doch der Rechtsanwalt stößt beim Angeklagten auf taube Ohren. Statt des Geständnisses tischt der 22Jährige dem Gericht eine „dreiste Lügengeschichte“auf, so die Einschätzung von Richter Jürgen Dorner.
Der Staatsanwalt wirft dem Asylbewerber Raub in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung vor. Eine 22-jährige Frau befand sich zusammen mit einer Freundin in der Nacht zum 14. August 2016 auf dem Heimweg vom Alfons X. Ihr Auto war auf dem Parkplatz beim Kaufland abgestellt. Deshalb nahm sie den Weg über die Bahnhofstraße. Auf der Treppe beim Parkhaus an der Marstallpassage sprach der Angeklagte die Frau an, entriss ihr mit Gewalt die Handtasche und rannte mit der Tasche fort. Plötzlich seien vier Männer auf der Treppe hinter ihnen gestanden, sagen die Frauen.
Die Frau erkannte den Täter aufgrund einer körperlichen Behinderung noch in der Nacht auf der Polizeiwache wieder. Dort begegneten sich die beiden zufällig. Die Polizei hatte den Mann aus einem anderen Grund festgenommen und bei ihm einen Teil des Diebesguts entdeckt.
Flüchtling erzählt seine Geschichte
sagt Verteidiger Alwin Beuter über seinen Mandanten, der die Tat leugnete.
Er habe die Zigaretten und das Feuerzeug in einem Mülleimer in der Nähe der LEA gefunden, behauptet der Täter. In der Stadt sei er an diesem Abend nicht gewesen, er habe das Kasernenareal nur kurz verlassen, um Alkohol zu trinken. Dies ist in der LEA verboten. Das Kommen und Gehen der Bewohner wird von der Zugangskontrolle erfasst: Laut diesen Zahlen war der Täter in der besagten Nacht für vier Stunden unterwegs. Diese Zeiten stimmen mit der Tatzeit überein. „Was die Frau sagt, das stimmt nicht, sie hat mir Unrecht getan“, beteuert der Angeklagte, es gebe in der LEA Flüchtlinge, die ihm ähnlich sähen.
Das Opfer bricht in Tränen aus, als es von seinen Ängsten nach dem Raub berichtet: Da sich in der Tasche sowohl ihr Wohnungsschlüssel als auch die Ausweispapiere befanden, fühlte sich die 22-Jährige in ihrer Wohnung nicht mehr sicher. Eine Ärztin diagnostizierte eine „posttraumatische Belastungsstörung“. Die Frau schlief schlecht – trotz Medikamenten, die ihr verschrieben wurden. Ihre Begleiterin bestätigt die Aussagen des Opfers weitgehend, auch sie erkannte in der Tatnacht den Mann an seiner Behinderung.
Der Marokkaner wurde von der Polizei wieder freigelassen und setzte sich nach Holland ab. Laut seinen eigenen Angaben schoben ihn sowohl die Behörden in Holland als auch in der Schweiz ab. Als er im Oktober mit dem Flugzeug in Frankfurt ankam, wurde er festgenommen.
„Ich habe ihm die Vorteile eines Geständnisses erklärt und nicht die erhoffte Antwort erhalten“,
Staatsanwalt: „Abstruse Geschichte“
Er bezweifle, dass es in Sigmaringen mehrere schmächtige, dunkelhäutige Nordafrikaner mit einer Behinderung gebe, sagt Staatsanwalt Desmond Weyl. Die „abstruse Geschichte“des Angeklagten sei eindeutig widerlegbar. Deshalb fordert er eine Gefängnisstrafe von zwei Jahren ohne Bewährung. Für den Angeklagten spreche, dass er fast nicht vorbestraft sei, er das Opfer körperlich nicht berührt habe und er eigenen Angaben zufolge keine Schule besucht und keine Familie habe, sagt Verteidiger Alwin Beuter und hält anderthalb Jahre Haft für angemessen.
Das Gericht folgt den Argumenten des Staatsanwalts. Der Asylbewerber wird nach der Verhandlung zurück in die Justizvollzugsanstalt nach Hechingen gebracht.