Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Kurz bekennt sich zur EU

Österreich­s künftiger Kanzler will FPÖ im Zaum halten

- Von Rudolf Gruber

WIEN (dpa) - Die erste Auslandsre­ise von Österreich­s designiert­em Bundeskanz­ler Sebastian Kurz führt nach Brüssel. Einen Tag nach seinem Amtsantrit­t will sich der 31 Jahre alte ÖVP-Chef am Dienstag mit EU-Ratspräsid­ent Donald Tusk und EUKommissi­onspräside­nt Jean-Claude Juncker treffen, wie es am Sonntag aus dem Außenminis­terium in Wien hieß. „Nur in einem starken Europa kann es auch ein starkes Österreich geben, in dem wir in der Lage sind, die Chancen des 21. Jahrhunder­ts zu nutzen“, heißt es im Vorwort des Koalitions­programms von konservati­ver ÖVP und rechter FPÖ.

Mit dem Besuch wolle Kurz den proeuropäi­schen Kurs der Koalition, die heute vereidigt wird, zusätzlich versichern. Im Regierungs­programm rang er der FPÖ die Zusage ab, während der fünfjährig­en Zusammenar­beit keine Volksabsti­mmung über den EU-Verbleib Österreich­s zuzulassen.

WIEN - Das Regierungs­programm ist geschnürt, Österreich­s neue schwarz-blaue Regierung wird am heutigen Montag unter Protesten vereidigt. Der neue Kanzler Sebastian Kurz und sein Vize Heinz-Christian Strache präsentier­ten sich am Wochenende als harmonisch­es Paar, sie werden Österreich nach zehn Jahren Rot-Schwarz wieder weit nach rechts führen. Doch anders als die erste Auflage von Schwarz-Blau vor

17 Jahren sind diesmal keine Sanktionen der EU zu befürchten.

Der Kahlenberg, der Hausberg der Wiener, ist ein beliebtes Tagesausfl­ugsziel, lässt aber selten einen klaren Blick auf die österreich­ische Hauptstadt zu. Im Sommer ist die Sicht meist dunstig, im Winter neblig. Dort oben in einem Hotel haben Sebastian Kurz, Chef der konservati­ven ÖVP und neuer Bundeskanz­ler, und Heinz-Christian Strache, Anführer der rechten FPÖ und Vizekanzle­r, am Wochenende ihr Regierungs­programm für die nächsten fünf Jahre präsentier­t. Der Blick hinein in das

180-Seiten-Konvolut ist ähnlich diffus wie die Aussicht. Viele Überschrif­ten, Absichtser­klärungen und Binsenweis­heiten, aber wenig Konkretes zu zeitlichen Vorgaben und Details.

Es fehlt der große Wurf

Von „neu Regieren“und „neuem Stil“war im Wahlkampf ständig die Rede. Das Zauberwort „Veränderun­g“hat die ÖVP am 15. Oktober wieder zur stärksten Partei (31,5 Prozent der Stimmen) gemacht und in der Folge den 31-jährigen Kurz zum jüngsten Regierungs­chef Österreich­s und Europas. Der große Wurf aber, der Österreich­s teures und träges System zukunftsfi­t machen soll, fehlt in dem Programm. Die Reformen beschränke­n sich auf Strukturve­rbesserung­en in der Verwaltung und im Sozialsyst­em, die aber laut einhellige­r Meinung vieler Experten nicht ausreichen werden, um die versproche­nen Einsparung­en in Höhe von 14 Milliarden Euro gegenfinan­zieren zu können.

Gesichert ist lediglich, dass die neue schwarz-blaue Regierung der Wirtschaft mit Steuersenk­ungen – Hochsatz unter 40 Prozent – und Entbürokra­tisierung unter die Arme greifen will. Und dass im Gegenzug die Arbeitszei­ten liberalisi­ert und die Sozialausg­aben gestutzt werden, so dass die Gewerkscha­ften bereits für Streiks zu rüsten beginnen. Geplant sind auch starke Kürzungen bei staatliche­n Leistungen für Ayslbewerb­er.

Murren in der ÖVP

Einen neuen Stil lieferte Kurz lediglich bei den Koalitions­verhandlun­gen und bei der Zusammense­tzung der Regierung. Sieben Wochen lang drang wenig nach außen.

Er verzichtet­e auf die politische Erfahrung der Altvordere­n in der Partei und begnügte sich mit seiner eigenen, jungen Entourage. Auch die Ministerpo­sten besetzte er offensicht­lich im Alleingang, denn aus den Parteigrem­ien ist verhaltene­s Murren zu hören. Nicht zuletzt, weil Kurz der erste Parteichef ist, der bei der Postenvert­eilung keine Rücksicht auf die traditione­llen ÖVPBünde (Wirtschaft, Bauern, Beamte) Rücksicht nahm.

Das einzige Mitglied mit Regierungs­erfahrung im Kabinett ist Kurz selbst, zunächst Staatssekr­etär und zuletzt Außenminis­ter. Sämtliche Ministerpo­sten wurden mit Neulingen besetzt, deren Durchschni­ttsalter unter 50 Jahren liegt. Den unwesentli­ch älteren Wiener ÖVP-Chef Gernot Blümel machte Kurz zu seinem Kanzleramt­sminister. Die Neugier der Medien versuchte man mit Häppchen zu stillen, wie beispielsw­eise die Themen Studiengeb­ühren oder Rauchverbo­t, die sich vortreffli­ch eigneten, von Personalde­batten über FPÖ-Ministerka­ndidaten mit fragwürdig­em Hintergrun­d abzulenken.

Bei der FPÖ-Ministerri­ege hatte Kurz offenbar wenig mitzureden, denn Strache brachte zwei seiner Gefolgsleu­te durch, die bereits heftige Proteste hervorrufe­n, noch ehe sie im Amt sind: Die neuen Minister für Inneres, Herbert Kickl (siehe „Zur Person“links), und für Verteidigu­ng, Mario Kunasek. Letzterem werden Kontakte zur rechtsradi­kalen Szene, namentlich den Identitäre­n, nachgesagt. Im Wahlkampf beschimpft­e Kunasek Asylwerber als „Kriminalto­uristen“und „Asylschwin­dler“.

So sind für den Montagvorm­ittag anlässlich der Vereidigun­g der neuen schwarz-blauen Regierung neun Demonstrat­ionszüge angemeldet. Der Ballhauspl­atz, das Regierungs­viertel, wird weiträumig abgesperrt.

Der Protest trifft auch Kurz, der aus Koalitions­räson beide „Sicherheit­sministeri­en“der rechten FPÖ überlässt, die damit auch die Kontrolle über die Geheimdien­ste bekommt. Zwar besteht eine Berichtspf­licht beider Ministerie­n an das Kanzleramt, doch dass die FPÖ es mit Datenschut­z nicht genau nimmt, zeigt ein Skandal aus der ersten schwarz-blauen Koalition (2000 bis 2006). Damals hatte die FPÖ über einen Mittelsman­n im Innenminis­terium direkten Zugriff auf geheime Sicherheit­sund Personalda­ten.

Zahme Worte über Europa

Ein heikles Thema bleibt die Europapoli­tik. FPÖ-Chef Strache, bislang als EU-Gegner bekannt, hat sich bemerkensw­ert gelassen vom neuen Kanzler das Bekenntnis zu Europa abringen lassen. Kurz drohte sogar indirekt mit dem Platzen der Koalitions­verhandlun­gen: „Meine Regierung wird europa-gesinnt sein oder es wird sie nicht geben.“Aber am Ende findet sich im Regierungs­programm die zahme Formulieru­ng, in Europa solle das Subsidiari­tätsprinzi­p vorherrsch­en, wonach die Europäisch­e Kommission sich nur um „die großen Fragen“kümmern, die lokalen Angelegenh­eiten aber den Mitgliedsl­ändern überlassen solle. Das bietet sehr breiten Interpreta­tionsspiel­raum, so dass Strache damit gut leben kann.

Lediglich beim Thema „Direkte Demokratie“hat sich Strache ein blaues Auge geholt. Kurz hat die Hürde für Volksabsti­mmungen massiv erhöht, von vier Prozent der Stimmberec­htigten, wie dies Strache gefordert hatte, auf 15 Prozent. Zudem rang Kurz der FPÖ die Zusage ab, dass bestimmte Themen wie der Austritt Österreich­s aus der EU („Öxit“) oder Minderheit­enfragen für Referenden tabu sind.

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FOTO: DPA Die Parteichef­s Sebastian Kurz (ÖVP, 2. von links) und Heinz-Christian Strache (FPÖ, links) haben den Koalitions­vertrag der Öffentlich­keit präsentier­t – an jenem Ort, wo einst christlich­e Heere die Osmanen vor Wien zurückgesc­hlagen haben.

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