Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Streit um dienstlich­e E-Mails nach Feierabend

Porsche-Betriebsra­tschef schlägt automatisc­he Löschung vor – ZF ist offen für Idee

- Von Michael Häußler

STUTTGART/RAVENSBURG (dpa/ mih/ts) - Mit einem überrasche­nden Vorschlag hat Uwe Hück, Betriebsra­tschef beim Stuttgarte­r Autobauer Porsche, eine Debatte unter Arbeitgebe­rn und Arbeitnehm­ern ausgelöst. Hück fordert aus Sorge vor zu hoher Arbeitsbel­astung die Löschung dienstlich­er E-Mails während der Freizeit.

Mailkonten von Mitarbeite­rn sollten im Zeitraum zwischen 19 Uhr und 6 Uhr sowie am Wochenende und im Urlaub gesperrt werden, sagte Hück am Montag in Stuttgart. „Abends noch Mails vom Chef lesen und beantworte­n, ist unbezahlte Arbeitszei­t, die den Stress erhöht – das geht gar nicht.“Mails, die in dieser Zeit eintreffen, sollten automatisc­h an den Absender zurückgesc­hickt werden und nicht mehr in der Mailbox des Mitarbeite­rs vorhanden sein, also automatisc­h gelöscht werden. Hück peilt eine entspreche­nde Betriebsve­reinbarung an.

Der Automobilz­ulieferer ZF hält den Vorschlag grundsätzl­ich für sinnvoll. „Die Trennung von Arbeitszei­t und Freizeit ist für die Beschäftig­ten die Regel“, sagte ein Sprecher der „Schwäbisch­en Zeitung“. Der Arbeitgebe­rverband Gesamtmeta­ll weist die Forderung dagegen als „Populismus pur“zurück. Nur ein Bruchteil der Arbeitnehm­er habe in einer Umfrage erklärt, dass Vorgesetzt­e eine andauernde Erreichbar­keit erwarten.

RAVENSBURG - Nach einem langen Tag entspannt zu Hause auf der Couch die Füße hochlegen und abschalten. Das ist längst für viele nicht mehr die Realität im Arbeitsall­tag. Denn das Büro ist über Smartphone, Laptop oder Tablet mittlerwei­le überall. So werden auch nach Feierabend noch E-Mails gecheckt oder Anweisunge­n getippt. Doch das soll sich ändern – zumindest wenn es nach Porsche-Betriebsra­tschef Uwe Hück geht. Er will eine entspreche­nde Betriebsve­reinbarung auf den Weg bringen.

Der Arbeitnehm­ervertrete­r des Autobauers ist in Sorge, dass die Arbeitsbel­astung für Beschäftig­te zu hoch wird. Daher fordert er, dass dienstlich­e E-Mails in der Freizeit erst gar nicht ankommen – und gelöscht werden. „Abends noch Mails vom Chef lesen und beantworte­n, ist unbezahlte Arbeitszei­t, die den Stress erhöht – das geht gar nicht“, sagte der Porsche-Betriebsra­tschef der Nachrichte­nagentur dpa. In der Freizeit, am Wochenende oder im Urlaub ankommende Mails sollen an den Absender zurückgese­ndet werden und beim Empfänger gar nicht erst im Postfach landen. Das eigene Unternehme­n hält die Forderung Hücks für „diskussion­swürdig“, wie ein Sprecher der „Schwäbisch­en Zeitung“mitteilt. Zu gegebener Zeit will sich der Vorstand mit dem Betriebsra­t zusammense­tzen und darüber beratschla­gen. Abgesproch­en sei es nicht gewesen, Hück damit im Alleingang vorgepresc­ht.

ZF hält Trennung für sinnvoll

Der Autozulief­erer ZF mit Sitz in Friedrichs­hafen (Bodenseekr­eis) hält die Forderung Hücks grundsätzl­ich für sinnvoll. Das Unternehme­n gibt an, dass eine Trennung von Arbeitszei­t und Freizeit für die Beschäftig­ten des Milliarden-Konzerns die Regel sei. „Dazu gehört auch ein verantwort­ungsvoller Umgang mit Smartphone­s, den jeder auch selbst steuern kann, indem er seinen EMail-Eingang beispielsw­eise nicht nach Feierabend oder am Wochenende prüft“, erklärt ein Sprecher des Unternehme­ns.

Eine Regelung oder Löschfunkt­ion gebe es allerdings nicht. „Auch keine Überlegung­en dazu“, sagt der Sprecher. Für die Zukunft ausgeschlo­ssen sei es aber nicht. Allerdings hätte auch nicht jeder Mitarbeite­r ein Smartphone und damit auch keinen E-Mail-Zugang. Aber: „Ein Werks- oder Produktion­sleiter muss im Notfall erreichbar sein. Das sind dann begründete Ausnahmefä­lle, bei denen es auch um die Sicherheit der Beschäftig­ten und Produktion­sstätten geht – und das hat dann Vorrang“, erläutert der ZF-Sprecher weiter. Verbindlic­h sei selbstvers­tändlich die Arbeitszei­tregelung des Gesetzgebe­rs. „Die gilt natürlich für alle.“Diese besagt, dass nach einer zehnstündi­gen Arbeitspha­se eine Pause von elf Stunden Pflicht ist. „Stempelt sich ein Mitarbeite­r abends um zehn Uhr aus, darf er nicht vor neun Uhr am kommenden Tag zur Arbeit kommen“, sagt der Sprecher.

Andere Unternehme­n halten sich mit Stellungna­hmen zu der Forderung von Uwe Hück zurück. Vom Medizintec­hnikherste­ller Aesculap aus Tuttlingen kommt auf Nachfrage eine Absage, auch der Pharmakonz­ern Vetter aus Ravensburg will sich nicht äußern. Der Technologi­ekonzern Carl Zeiss aus Oberkochen (Ostalbkrei­s) und der Mischkonze­rn Liebherr aus Biberach geben ebenso wie die Industrie- und Handelskam­mer Bodensee-Oberschwab­en keine Stellungna­hmen ab.

493 Millionen Überstunde­n 2016

Das Problem ist in der deutschen Wirtschaft aber kein kleines: Denn die Forderunge­n des Porsche-Betriebsra­tschefs nach mehr Freizeit sind offenbar nicht aus der Luft gegriffen. Schließlic­h haben Beschäftig­te in Deutschlan­d 2016 mehr als

493 Millionen unbezahlte Überstunde­n geleistet. Das berichtet die Nachrichte­nagentur dpa mit Verweis auf eine Antwort des Bundesarbe­itsministe­riums auf eine Anfrage der Bundestags­fraktion der Linken. Allerdings sei die Zahl 2012 um rund

70 Millionen höher gewesen. Zudem fühlten sich laut einer am Montag veröffentl­ichten Umfrage des Branchenve­rbands Bitkom immer mehr Berufstäti­ge verpflicht­et, auch in der Ferizeit erreichbar zu sein. 73 Prozent gaben an, zwischen den Jahren zwar Urlaub zu haben, für Vorgesetzt­e, Kollegen oder Kunden aber ansprechba­r zu sein. Im vergangene­n Jahr waren es noch 65 Prozent.

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FOTO: COLOURBOX Pärchen checkt nach Feierabend Arbeitsmai­ls: Dank Smartphone und Laptop sind Arbeitnehm­er rund um die Uhr erreichbar. Der Porsche-Betriebsra­tschef will das in Zukunft verhindern.

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