Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Merkel sagt mehr Unterstütz­ung zu

Bundeskanz­lerin trifft Angehörige der Opfer des Terroransc­hlags in Berlin

- Von Tobias Schmidt

BERLIN - „Diese Leiden, diese völlige Veränderun­g des Lebens wird nicht gutzumache­n sein“, sagt Angela Merkel. Am Montag hat die Regierungs­chefin Hinterblie­bene von Todesopfer­n des Berliner Terroransc­hlags im Kanzleramt­empfangen, auch Verletzte und Weihnachts­marktausst­eller, deren Buden der Attentäter Anis Amri am 19. Dezember 2016 mit dem Lkw zerstört hatte.

„Ich weiß, dass einige sich solch ein Treffen früher gewünscht hätten“, geht sie auf die Vorwürfe der Betroffene­n ein, sie habe nicht viel früher ihre Anteilnahm­e gezeigt. „Mir ist wichtig, dass ich heute noch einmal deutlich mache, wie sehr wir mit den Angehörige­n und mit den Verletzten fühlen, wie sehr wir auch die Dinge verbessern wollen.“

Die Kanzlerin und der Fall Anis Amri – für Merkel ist es ein schwierige­s Treffen. Von der kühl-rationalen Regierungs­chefin, dem Machtmensc­h Merkel, ist plötzlich Mitgefühl gefragt, zuhören muss sie und zeigen, dass sie fest an der Seite der Hinterblie­benen und mehr als 60 Verletzten steht. Abgeschirm­t von der Öffentlich­keit, früher als angekündig­t, wird die Gruppe zunächst von der Integratio­nsbeauftra­gten Aydan Özoguz im Kanzleramt in Empfang genommen, um 15.30 Uhr dann das Treffen mit Merkel. Zwei Stunden lang sitzt man beisammen. Nach außen dringt zunächst nichts.

Ihrer Enttäuschu­ng über Merkel hatten die Betroffene­n in einem offenen Brief Luft gemacht. Der Anschlag sei „auch eine tragische Folge der politische­n Untätigkei­t Ihrer Bundesregi­erung“, heißt es darin. Die Hinterblie­benen der zwölf Todesopfer beklagen sich bei Merkel, „dass Sie uns auch fast ein Jahr nach dem Anschlag weder persönlich noch schriftlic­h kondoliert haben“. „Zu spät“komme das Treffen, zeigt der Bundesopfe­rbeauftrag­te Kurt Beck am Montag Verständni­s für die Wut derjenigen, die Vater, Mutter, Kinder verloren oder mit schwersten Verletzung­en für ihr Leben gezeichnet bleiben werden. „Kein böser Wille“habe hinter Merkels Zögern gesteckt, aber „eine Fehleinsch­ätzung“.

Kann die Kanzlerin am Montag trösten und verlorenge­gangenes Vertrauen wiedergewi­nnen, wo doch immer neue Pannen ans Licht kommen, das eklatante Behördenve­rsagen, die den Islamisten trotz vieler Hinweise auf seine Gefährlich­keit laufen ließen? Sind die Betroffene­n überhaupt zu trösten? Wie es ihnen ein Jahr nach dem Terroransc­hlag geht, fasst die Sprecherin der Angehörige­n, Astrid Passin, zusammen: „Zu wissen, dass die Toten noch hätten leben können, ist natürlich erschrecke­nd. Das wühlt natürlich immer wieder auf, dass man uns Menschen genommen hat, die mitten im Leben standen. Die uns hätten begleiten können, noch viele Jahre“, sagt die Berlinerin, die bei dem Anschlag ihren Vater verloren hatte. „Dass die jetzt einfach weg sind, mit der Situation muss man jetzt leben.“

Das Gefühl echter Anteilnahm­e

Bei der Begegnung im Kanzleramt ist auch Roland Weber dabei, Opferbeauf­tragter der Stadt Berlin. „Für die Betroffene­n und Hinterblie­benen war das eine Begegnung von ganz enormer Bedeutung“, sagte Weber im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“. „Sie brauchten dringend das Gefühl, dass es auch von Seiten der Kanzlerin eine echte Anteilnahm­e gibt. Und sie wollten hören, warum sich Angela Merkel so lange nicht gemeldet hat.“

Zuvor hatte Merkel zugesagt, dass „wir auch da, wo Dinge verbessert werden müssen, sie verbessern“. Kurt Beck hatte seine Forderunge­n nach Konsequenz­en vor einer Woche vorgelegt: Eine deutlich höhere finanziell­e Entschädig­ung der Hinterblie­benen, die Einrichtun­g einer dauerhafte­n Stelle des Opferbeauf­tragten beim Bund und Anlaufstel­len schon am Tatort. Es dürfe nicht noch einmal die gleichen Versäumnis­se geben, der Staat müsse sensibler und besser helfen, sollte es zu einem neuen Terroransc­hlag kommen.

Heute wird auf dem Breitschei­dplatz das Denkmal eingeweiht, ein goldener Riss im Pflaster, links und rechts daneben die Namen der zwölf Todesopfer. Ein Gedenkgott­esdienst, ein Empfang im Berliner Abgeordnet­enhaus, Glockenläu­ten. Für den Tag bleibt der Weihnachts­markt geschlosse­n. „Der Jahrestag ist nur eine Zwischenet­appe“, weiß Berlins Opferbeauf­tragter Weber. „Die meisten Hinterblie­benen sagen, sie werden auch morgen aufwachen und als erstes daran denken, wer ihnen fehlt. Es gibt nicht mehr als die Hoffnung, dass ihnen die Bewältigun­g des Verlustes ganz langsam etwas leichter fallen wird.“

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FOTO: AFP Am Jahrestag des Terroransc­hlags wird auf dem Breitschei­dplatz heute ein Denkmal eingeweiht. Einen Gedenkgott­esdienst sowie einen Empfang im Berliner Abgeordnet­enhaus wird es ebenfalls geben.

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