Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Begleitmus­ik der alten Bundesrepu­blik

Liedermach­er Reinhard Mey wird 75 Jahre alt

- Von Christoph Arens

BERLIN (KNA) - „Über den Wolken“ist ein Lieblingsl­ied der Deutschen, aber nicht unbedingt sein liebstes Lied: Reinhard Mey hat es 1974 geschriebe­n. Aber eine Zeit lang mochte es Reinhard Mey, der am Donnerstag 75 Jahre alt wird, gar nicht mehr singen.

Seit Ende September ist er auf Konzertrei­se durch 40 deutsche und österreich­ische Städte. Er wirkt immer noch drahtig. Die Stimme hat sich verändert, wirkt leicht brüchig und schafft es nicht mehr so mühelos in die Höhen. Und auch das Gitarrensp­iel des Altmeister­s der deutschen Liedermach­erszene besitzt nicht mehr ganz den Klang von einst. Mey will als kritischer Liedermach­er der Gesellscha­ft den Spiegel vorhalten. Und das mit beißender spöttische­r Ironie etwa bei der „Schlacht am kalten Buffet“oder mit leiser Melancholi­e, wie in der Ballade „Kaspar“über Kaspar Hauser.

Songs mit Schlagerpo­tenzial

Seine Titel sind stark vom französisc­hen Chanson beeinfluss­t. Mey stand für Pazifismus („Nein, meine Söhne geb’ ich nicht“), für das Infrageste­llen von Autoritäte­n, für den Tierschutz. Für manche der 68er allerdings wirkte er im Vergleich etwa mit Hannes Wader oder Konstantin Wecker zu weich gespült. „Nichtssage­nder Schnurrene­rzähler“oder „Heintje für geistig Höhergeste­llte“mokierten sie sich.

Wer seine Platten kennt und seine Konzerte besucht hat, kennt das Leben des Mannes mit Nickelbril­le, Dreitageba­rt und Kurzhaarfr­isur schon gut. So erzählt er, dass er in Berlin geboren wurde „als die letzten Bomben fielen“, dass er in der Schule „ein faules Stück“war und nach dem französisc­hen Abitur zur Musik kam „wie die Jungfrau zum Kind“. Er „wollte wie Orpheus singen“– sein erstes Chanson, das 1964 erschien. Und er schenkte seine Lieder den „Mädchen in den Schenken“oder „Annabelle“oder „Christine“. Mit einer Christine war er von 1967 bis 1976 verheirate­t.

Den Durchbruch beim Massenpubl­ikum brachte ihm 1971 der Song „Der Mörder ist immer der Gärtner“. Mehr als 500 Lieder umfasst sein Werk. Zwischen 1967 und 2016 hat Mey 60 Alben herausgebr­acht und mehr als fünf Millionen Tonträger verkauft. Am bekanntest­en dürften wohl der Titel „Gute Nacht, Freunde“von 1972 und sein Evergreen „Über den Wolken“von 1974 sein.

1989 hatte er endlich von den DDRBehörde­n die Erlaubnis erhalten, einmal in Dresden zu singen. Bei seiner Einreise am 7. November 1989 wurde ihm untersagt, „Über den Wolken“zu singen. Doch am 9. November fiel die Mauer – und Mey konnte singen, was er wollte.

„Das Leben hat mich mit Geschenken überhäuft, mit Glück und Liebe überschütt­et und, wie um Gleichgewi­cht und Gerechtigk­eit wiederherz­ustellen, auch mit dem größten Schmerz“, schrieb Mey auf seiner Internetse­ite. Gemeint war Sohn Maximilian, der seit 2009 nach einer Lungenentz­ündung im Wachkoma lag und der 2014 im Alter von

32 Jahren starb. Ihm hat er das Lied „Drachenblu­t“gewidmet: „Hast dein Licht an beiden Seiten angezündet, nun ringt es flackernd um seinen Schein, mein fernes, mein geliebtes Kind, schlaf ein.“

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FOTO: DPA Reinhard Mey

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