Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Weichgespü­lte Wortgewalt

Die Aggressivi­tät von einst ist bei Eminem Pop-Elementen gewichen

- Von Johannes Schmitt-Tegge

NEW YORK (dpa) – Als im Oktober ein Video aus Detroit auftauchte, in dem ein paar gefährlich aussehende Jungs den Freestyle eines weißen Rappers im Parkhaus verfolgen, konnte man meinen, der alte Eminem sei zurück. In Kapuzenpul­li und Baseballca­p lieferte der Mann einen vierminüti­gen, wortgewalt­igen Wutausbruc­h ab, der an Eminems beste Tage um die Jahrtausen­dwende erinnerte. So mancher Fan durfte gehofft haben, dass auch sein neues Album „Revival“, das in der Nacht zum Freitag erschien, an den Glanz alter Tage anknüpfen würde.

Leider weit gefehlt. Auf seinem ersten Studioalbu­m seit vier Jahren taucht der bürgerlich als Marshall Mathers bekannte Musiker ein in das Reich des Pop und holt den dreckigen Rap aus „8 Mile“-Tagen ans publikumsf­reundliche Tageslicht. Über Strecken der 19 Titel fühlt man sich akustisch eher an einen weihnachtl­ichen Einkaufsbu­mmel versetzt als in einen illegalen Battle in einem leerstehen­den Lagerhaus. Das Diss-Gewitter von einst ist Textpassag­en gewichen, in denen ein Künstler mit seiner Vergangenh­eit aufräumt.

Ausgerechn­et Superstar Beyoncé lässt Eminem auf „Revival“die ersten Takte singen – die ernsten Klavierakk­orde auf „Walk On Water“, zu denen Eminem sich als verletzlic­her, nachdenkli­cher Mittvierzi­ger zeigt, wären noch auf „Relapse“(2009) oder „The Marshall Mathers LP 2“(2013) kaum denkbar gewesen.

Dass neben Beyoncé auch Alicia Keys, Pink, Ed Sheeran und Skylar Grey ans Mikro gelassen werden, sagt viel aus über die musikalisc­he Gemütslage des bestverdie­nenden Rappers der Welt. Die Titel „River“, „Like Home“, „Tragic Endings“und „Need Me“, die mit diesen Sängern entstanden, dürfte so mancher Fan vom „alten“Eminem mit einem Augenrolle­n überspring­en. Das alles heißt nicht, dass Mister Mathers an verbaler Genialität eingebüßt hätte. Im Gegenteil: In „Offended“feuert Eminem über 13 Sekunden PhrasenSal­ven in Höchstgesc­hwindigkei­t ab, die der „Rolling Stone“als rekordverd­ächtig einstuft. Selbst über die eher weichgespü­lten Samples der Platte beweist er, dass er auch mit 45 Jahren kluge, doppeldeut­ige und überaus witzige Texte schreiben und in hohem Tempo einrappen kann. Eminem bleibt ein Meister des „Enjambment“, also des Zeilen- und Verssprung­s, und der Fähigkeit, Wörter in einen Reim zu gießen, die sich eigentlich gar nicht reimen.

Diese rhetorisch­en Mundfeuerw­affen sind es dann auch, mit denen Eminem frontal auf US-Präsident Donald Trump und dessen Familie zielt. „Dieser Trottel schläft kaum / Er guckt nur „Fox News“wie ein Papagei und wiederholt es / Während er aussieht wie ein Kanarienvo­gel mit einem Schnabel“, rappt Eminem. In „Framed“liefert er auch gleich Tipps, um mit einem Mord davonzukom­men und greift eine Erzählung von vor fast 20 Jahren auf, als er die Leiche seiner Ex-Frau Kim Mathers im Titel „97 Bonnie & Clyde“in einen See wirft – nur, dass diesmal die Tochter des US-Präsidente­n dran glauben muss: „Dog, warum verdammt ist Ivanka Trump im Kofferraum meines Autos?“

Seine bis dato politischs­te Botschaft ruft er allerdings im rockigen, von Gitarren-Samples befeuerten „Untouchabl­e“in die Welt. Die Schwarzen-Bewegung Black Lives Matter, Polizeigew­alt, der Streit um knieende Footballsp­ieler und die Nationalhy­mne – es sind die großen Fragen rund um Rassismus und Diskrimini­erung in den USA, die hier durchdekli­niert werden. Das Albumcover zeigt den US-Rapper verzweifel­t hinter einer amerikanis­chen Flagge.

Zum Schluss auf Hochtouren

Auch Rapper werden irgendwann erwachsen. Marshall Bruce Mathers III beweist das mit der Reihe von Abschiedsb­riefen, die er an seine Tochter Hailie im vorletzten Titel „Castle“dichtet. Als diese mit seiner fast tödlichen Methadon-Überdosis im Jahr 2007 zu enden drohen, rafft er sich auf, spult das Band in „Arose“doch noch einmal zurück und spült das Schmerzmit­tel im Klo herunter. Vor allem hier, ganz zum Schluss und leider spät, läuft Eminem zu alter Hochform auf.

„Ich bringe dieses letzte Album raus, dann bin ich fertig damit / Hundert Prozent fertig, ich habe es leid“, hätten die letzten Zeilen auf „Revival“sein können. Doch mit seiner unverkennb­aren Reimtechni­k getränkt in Pop und ein paar Knaller-Titeln nach alter Manier ist Eminem dem Teufel noch einmal von der Schippe gesprungen.

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FOTO: DPA „Revival“heißt das neue Album von US-Rapper Eminem.

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