Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Der verhinderte Radstar
Weil Wolfgang Lötzsch, nun 65 geworden, nicht in die SED wollte, blieb ihm eine große Karriere verwehrt
CHEMNITZ (SID) - Seine Beine hätten Wolfgang Lötzsch bis nach ganz oben getragen, zu Weltmeisterschaften, zu Olympischen Spielen und womöglich sogar zu Gold. Als er ein junger Mann war, glaubten sehr viele Radsportexperten, Fans und Lötzsch selbst daran. Erfüllen durfte sich Lötzsch seinen Traum nie. „Ich war blauäugig und habe mich geirrt“, sagt er nun, „ich habe gedacht: Die können nicht auf mich verzichten.“
Doch die Sportorganisation und Staatssicherheit der DDR konnten – und ruinierten die Karriere des wohl talentiertesten deutschen Radfahrers seiner Zeit. Am Montag feierte der verhinderte Star seinen 65. Geburtstag.
Lötzschs Karriere schien vorgezeichnet. 1971 nahm der viermalige Juniorenmeister erstmals an der DDR-Rundfahrt teil, er galt als Kandidat für die Sommerspiele im Folgejahr beim Klassenfeind in München. Lötzsch war auf dem Rad schneller und ausdauernder als viele andere, einer, der die Überlegenheit des eigenen politischen Systems mit Medaillen belegen konnte. Doch Lötzsch ließ sich nicht instrumentalisieren – und zahlte den Preis dafür.
Lötzsch weigerte sich, in die SED einzutreten. Ein 1964 in den Westen geflohener Cousin und eigene Fluchtgerüchte machten ihn zusätzlich verdächtig. Die Folge: kein Olympia in München, Ausschluss aus dem staatlichen Fördersystem. Lötzsch durfte nur noch für die Betriebssportgemeinschaften starten, war nur noch Hobbysportler.
„Er ist kaputt gemacht worden. Er wäre zu 100 Prozent ein ganz, ganz Großer geworden“, sagt Wolfgang Schoppe. Der frühere Funktionär kümmerte sich um den BSG-Rennsport und wurde zu einem der engsten Vertrauten Lötzschs. Anders als 50 Inoffizielle Mitarbeiter, die die Stasi auf Lötzsch ansetzte, weigerte sich Schoppe, seinen Wegbegleiter zu bespitzeln und nahm dafür eigene Repressalien in Kauf.
An eine Flucht in den Westen dachte Lötzsch „nie richtig“, obwohl er 1976 wegen angeblicher „Staatsverleumdung“zu zehn Monaten Haft verurteilt wurde. „Das war mir zu heiß. Ich war rund um die Uhr bewacht, das wäre auf alle Fälle in die Hose gegangenen. Zu 100 Prozent. Das war ein Spiel mit dem Tod“, sagt Lötzsch.