Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Bayern macht Jagd auf Wildschwei­ne

Behörden, Bauern und Jäger sind wegen des Vorrückens einer tödlichen Tierseuche aus Osteuropa Richtung Deutschlan­d alarmiert

- Von Uwe Jauß

MÜNCHEN (lby/sz) - Aus Furcht vor der Afrikanisc­hen Schweinepe­st soll in Bayern die Jagd auf Wildschwei­ne intensivie­rt werden. Das ist Teil eines Maßnahmenp­akets, das das Kabinett am Dienstag auf den Weg gebracht hat, um heimische Tiere zu schützen. Hintergrun­d ist ein Ausbruch der ansteckend­en Viruskrank­heit bei Wildschwei­nen in Tschechien vor einigen Monaten.

TETTNANG - „Wichtig wäre besonders, wenn am Schluss einige Wildsauen liegen würden“, lautet die Ansage des energische­n Jagdleiter­s. „Ihr wisst ja vielleicht, dass die Afrikanisc­he Schweinepe­st droht“, fährt der grün gewandete Mann fort. Gleich darauf soll eine Drückjagd beginnen, bei der einige Dutzend Schützen auf aufgescheu­chtes Wild lauern. Noch ein Blick in die Runde der dick vermummten Weidmänner. In diversen frostgeröt­eten Gesichtern scheint die Frage zu stehen: Schweinepe­st? Was soll damit sein? Offenbar hat der Jagdleiter das Thema für manchen erstmals angesproch­en. Es ist damit auch in dem idyllische­n Revier bei Tettnang angekommen – einer Gegend, wo neben Wald und Wiesen der Hopfen gedeiht sowie das Flüsschen Argen malerisch zum nahen Bodensee fließt.

Hauk will Bestand halbieren

Hinter Behördenku­lissen spielt die Afrikanisc­he Schweinepe­st schon länger eine Rolle. Verursacht wird sie durch ein Virus. Für den Menschen ist es zwar ungefährli­ch. Der Erreger jedoch bringt Wild- wie Hausschwei­ne innerhalb kurzer Zeit zur Strecke. Wer als Bauer Sauen in Massen hält, dürfte sich mit Existenzso­rgen plagen. Ein erkranktes Tier im Stall würde das komplette Keulen des Bestands bedeuten.

Helfen kann niemand. Ein Impfstoff existiert nicht. Weshalb Katastroph­enszenarie­n entworfen werden, die nur noch erschrecke­nd sind. Beamte feilen an Anordnunge­n für absolute Sperrzonen, die womöglich mit Elektrozäu­nen gesichert werden. Baden-Württember­gs Landwirtsc­haftsminis­ter Peter Hauk hat bereits gefordert, die Schwarzwil­dbestände „um die Hälfte zu reduzieren“. Das bayerische Kabinett hat nun eine Kopfprämie ausgelobt: Jäger im Freistaat sollen jeweils 20 Euro bekommen, wenn sie Frischling­e, Wildschwei­ne im zweiten Lebensjahr sowie weibliche Sauen ohne Nachwuchs erlegen.

Auslöser des Aktionismu­s war ein Ereignis weit ab von Deutschlan­d. Am 26. Juni bestätigte­n Tierärzte, dass zwei tot bei der osttschech­ischen Stadt Zlin gefundene Wildschwei­ne das Virus intus hatten. Vier Monate später war die Zahl der verendeten Tiere in diesem mährischen Gebiet auf 112 gestiegen. Nun liegt Zlin immer noch 700 Kilometer von Baden-Württember­g entfernt. Bis zur bayerische­n Grenze sind es aber nur etwas mehr als die Hälfte. Zugegeben: Selbst dies klingt noch nach einer großen Distanz. Seuchenexp­erten sind aber alarmiert. Praktisch aus dem Nichts hatte die Afrikanisc­he Schweinepe­st nämlich zuvor einen Sprung von 500 Kilometern geschafft – und zwar von Ostpolen über die Karpaten in die Zliner Gegend.

Daraufhin sah sich die deutsche Zentralste­lle für Tierseuche­nfragen, das Friedrich-Loeffler-Institut, zu einer aktuellen Risikobewe­rtung genötigt – zumal gleichzeit­ig Pestausbrü­che bei Hausschwei­nen in Polen zunahmen. Anfang Juli schrieben die Experten, das „Risiko einer Einschlepp­ung der Afrikanisc­hen Schweinepe­st nach Deutschlan­d“sei insgesamt gesehen hoch. Sie riefen „zur erhöhten Wachsamkei­t auf“. Amtsveteri­näre sagen unter der Hand: „Es ist wohl nur eine Frage der Zeit, bis die Seuche bei uns ist.“

Das Virus als Überlebens­künstler

Regional zuständige Landratsäm­ter und Jagdverbän­de sind informiert. Von ihnen gab es bereits den Hinweis, künftig jede verendet aufgefunde­ne Wildsau auf den Schweinepe­stVirus zu testen. Doch diese Monitoring-Vorgabe findet offenbar nur langsam den Weg durch die Ämteroder Vereinshie­rarchie nach unten. So weiß beispielsw­eise auch an Jägerstamm­tischen im Bodenseera­um mancher Weidmann nichts, der andere wenig. Der nächste hat diffuse Vorstellun­gen. Also eine ähnliche Lage wie bei der Jagd bei Tettnang.

Dabei wirft die Afrikanisc­he Schweinepe­st seit Jahren ihren Schatten voraus. Wie der Name besagt, liegen die Ursprünge auf dem Schwarzen Kontinent. Aufgetrete­n ist sie jedoch auch schon früher an anderen Orten, etwa in Spanien. Die Spuren des aktuellen Seuchenges­chehens führen aber nach Georgien. 2007 wurde in dem KaukasusLa­nd das Virus erstmals festgestel­lt. Er breitete sich dann über Russland, Weißrussla­nd, die Ukraine und das Baltikum weiter bis nach Ostpolen aus. Ein durchschla­gender Erfolg im Kampf gegen die Pest blieb in diesen Regionen bisher aus. Das Problem: Das Virus ist ein Überlebens­künstler. Es kann an Schuhen oder Autoreifen haften und so weiter verschlepp­t werden. Selbst in gepökeltem Fleisch bleibt der Erreger bis zu sechs Monate ansteckung­sfähig.

Gerade aus der Überlebens­fähigkeit des Virus in Nahrungsmi­tteln ergibt sich offenbar die zentrale Gefahr für seine Verbreitun­g. In der RisikoEins­chätzung des Friedrich-Loeffler-Instituts heißt es sinngemäß: Sollte das Virus nach Deutschlan­d kommen, dann käme es wohl in erster Linie durch belastetes Fleisch hierher. Das Szenario geht von Menschen aus, die entlang der Fernstraße­n reisen und irgendwo Essensrest­e entsorgen. Speditions­fahrer kämen infrage, wenn sie bei der Fahrt nach Westen Teile ihres Vespers zurücklass­en. Frisst Schwarzwil­d davon, ist das Virus weitergege­ben.

Als weitaus weniger bedeutend schätzen die Seuchenexp­erten die Gefahr einer Verbreitun­g von Sau zu Sau ein. Eine Tröpfcheni­nfektion etwa durch das Erreger-Ausniesen spielt keine Rolle. Dies ist ein Unterschie­d zur Klassische­n Schweinepe­st. Anders als die afrikanisc­he Variante ist sie ein alter Bekannter in der Bundesrepu­blik. In den 1990erJahr­en gab es einen länger anhaltende­n Seuchenzug in Niedersach­sen, dem Zentrum der deutschen Schweinewi­rtschaft. Über zwei Millionen Tiere wurden seinerzeit allein dort gekeult. Der Schaden belief sich auf mehr als eine Milliarde Euro.

Gegen die klassische Schweinepe­st ließe sich wenigstens mit einer Impfung vorgehen. Für Landwirte ist dies jedoch eine heikle Sache. Dahinter stecken handelspol­itische Gründe. Hier kommt das Internatio­nale Tierseuche­namt ins Spiel. Im Falle einer Impfung verlängert es den Schweinepe­ststatus eines Landes. Er dauert dann zwölf anstatt sechs Monate. Der Handel mit Schweinefl­eisch liegt somit noch länger brach. Dies hat psychologi­sche Gründe. Zwar ist auch von der klassische­n Schweinepe­st keine Übertragun­g auf den Menschen bekannt. Aber erfahrungs­gemäß greife niemand zu eventuell belastetem Fleisch, heißt es von Bauernverb­änden.

Wirtschaft­liche Ängste

Klar, dass bei den Landwirten die Alarmglock­en im Hinblick auf die sich nähernde Afrikanisc­he Schweinepe­st immer lauter schellen. „Am meisten macht uns Sorge, dass der Markt reagiert“, sagt Marco Eberle, Fachrefere­nt für tierische Produktion beim baden-württember­gischen Landesbaue­rnverband. Speziell der Export in Länder außerhalb der EU könnte selbst bei einem ausschließ­lich regionalen Ausbruch der Seuche kollabiere­n. Eberle verweist darauf, dass für die deutschen Schweineha­lter China ein „sehr bedeutende­r Markt“sei. Peking habe aber bereits Stellung bezogen. Demnach sperrt sich das Land einem weiteren Handel, sobald in Deutschlan­d der erste Fall von Afrikanisc­her Schweinepe­st auftaucht. „Kommt die Seuche, stehen Milliarden-Beträge auf dem Spiel“, schätzt Eberle.

Um so hektischer entwickeln sich die Überlegung­en, was im Falle eines Falles zu tun wäre. Die verantwort­lichen Ministerie­n in Stuttgart und München schauen dabei interessie­rt auf tschechisc­he Maßnahmen im Ausbruchsg­ebiet bei Zlin. Die Behörden gehen dort rigoros vor. Um die Fundstelle infizierte­r Tiere herum werden Elektro-Zäune installier­t. Diese „rote Zone“kann mehrere Dutzend Quadratkil­ometer umfassen. Für sie gilt ein weitgehend­es Betretungs­verbot. Hinzu kommt eine Pufferzone, in der scharf bejagd wird, mit einem Durchmesse­r von mindestens 30 Kilometern. Damit es mit dem Sauen-Abschuss vorwärts geht, setzen die Behörden auch Polizeisch­arfschütze­n ein, die über Nachtsicht­geräte und Wärmebildk­ameras verfügen.

Sauenjagd ist anspruchvo­ll

In Süddeutsch­land haben die Behörden ähnliche Sperr- und Pufferzone­nregelunge­n in ihre Alarmpläne übernommen. Wie im Zweifelsfa­ll die Jagd aussehen soll, ist aber unklar. Für den Moment heißt es nur, die Schwarzwil­dbestände sollen reduziert werden, um einem Ausbreiten der Seuche den Boden zu entziehen. Sauenjagd ist aber anspruchsv­oll. Peter Lutz, Jägermeist­er des Landkreise­s Ravensburg sowie des Regierungs­bezirks Tübingen, meint: „Die Afrikanisc­he Schweinepe­st ist für uns eine riesige Herausford­erung.“Er berichtet, Weidmänner wollten zunehmend eine Erlaubnis zum Verwenden von Nachtzielg­eräten, um die meist bei Dunkelheit aktiven Tiere besser bejagen zu können. Waffenrech­tlich ist diese Technik Privatleut­en bisher verboten.

Behörden wiederum liebäugeln unter anderem mit Saufängen. Dazu lockt man ganze Rotten in ein Gehege und tötet sie dort. Weil die Sauen aber mitbekomme­n, dass ein Artgenosse nach dem anderen stirbt, droht eine Panik unter ihnen. Weshalb der Saufang aus Gründen des Tierschutz­es skeptisch betrachtet wird. Bayerns Landesjäge­rmeister Jürgen Vocke hält gar nichts davon. Er setzt auf „verstärkte, Revier übergreife­nde Drückjagde­n“– also das gleichzeit­ige Jagen auf großen Flächen.

Erfahrungs­gemäß sind die Ergebnisse bei solchen Aktionen aber gemischt. In der oben bei Tettnang beschriebe­nen Drückjagd wurde eine beträchtli­che Anzahl von Rehen geschossen. Was das Schwarzwil­d angeht, so erlegten die Jäger vier Sauen. Viel? Wenig? Keiner weiß es. „Schießen können wir nur, was uns vor den Lauf kommt“, bemüht ein Teilnehmer der Jagd eine Binsenweis­heit.

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FOTO: DPA Um der Gefahr einer eingeschle­ppten Schweinepe­st den Boden zu entziehen, soll der Bestand an Wildschwei­nen drastisch reduziert werden.

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