Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Der Fall Mesale Tolu

Reaktionen aus Ulm nach Freilassun­g der Journalist­in

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STUTTGART - Es fließen so viel Steuern wie noch nie an Land und Kommunen. Dennoch streiten Gemeinden, Städte und Landkreise mit der Landesregi­erung ums Geld. Wenn der Landtag heute den Haushalt für 2018 und 2019 beschließt, geschieht das erstmals seit zehn Jahren ohne Einigung mit den Kommunen. Roger Kehle (CDU) vertritt als Chef des Gemeindeta­gs mehr als 1000 Gemeinden. Im Interview mit Katja Korf erklärt er, was die von der grünschwar­zen Regierung erwarten.

Herr Kehle, Landesregi­erung und Kommunen konnten sich erstmals nicht auf Finanzplän­e für die kommenden Jahre einigen. Warum nicht, es ist doch genug Geld da?

Es ist richtig: Es geht Land und Kommunen besser als in der Vergangenh­eit. Wir sollten aber nicht darüber diskutiere­n, wem es nun besser geht – dem Land oder Städten, Gemeinden und Landkreise­n. Diese Debatte ist nicht zielführen­d. Wir sagen: Es muss eine Gesamtlösu­ng geben für die Finanzbezi­ehungen zwischen Land und Kommunen. Vor allem muss es eine klare Festlegung der Aufgaben geben, die in Zukunft erfüllt werden müssen. Da hat es bisher keine Einigung gegeben.

Die Finanzmini­sterin betont, dass die Kommunen bis 2019 rund 480 Millionen Euro zusätzlich erhalten, um Gebäude und Straßen zu sanieren. Reicht Ihnen das nicht?

Ja, wir bekommen vom Land Geld, um den Sanierungs­stau aufzulösen. Aber es geht nicht allein darum. Es geht um viele Zukunftsfr­agen: die Digitalisi­erung besonders der Schulen und noch mehr Qualität in der Kinderbetr­euung. Wir müssen Schiene und Straße fit für die Zukunft machen. Die wichtigste Frage überhaupt lautet: Sollen die Kommunen gezwungen werden, ungedeckte Schecks zu unterschre­iben? Wir müssen uns genau überlegen, ob wir uns die Projekte, die wir uns vornehmen, leisten können – und zwar auch in Zeiten, in denen wieder weniger Steuern fließen.

Wo hakt es besonders?

Im Koalitions­vertrag von Grünen und CDU steht schwarz auf weiß, was wir Kommunen alles für das Land tun sollen. Wir stimmen ja mit diesen Zielen überein. Aber wir stimmen nicht darin überein, wer welchen Anteil davon zahlt. Wenn es keine finanziell­e Übereinkun­ft dazu gibt, muss das Land den Bürgern sagen: Es gibt keinen Qualitätss­prung bei der Kindergart­en-Förderung, es gibt keinen Einstieg in die Digitalisi­erung der Schulen. Wir sind nicht bereit, diese Dinge im Alleingang zu schultern. Wir fordern keineswegs, dass das Land alles allein zahlt. Aber wir haben Vorschläge formuliert, wer welche Anteile finanziert.

Wie lauten die Vorschläge und um wie viel Geld geht es insgesamt?

Es ist schwierig, absolute Zahlen zu nennen. Dazu müssen wir uns einigeben gen, wer was wie lange finanziert. Ein paar Zahlen haben wir dennoch schon berechnet. Etwa bei der Kindergart­en-Betreuung: Wir würden 2018 und 2019 je 50 Millionen Euro zur Verfügung stellen, und erwarten im Gegenzug in diesen beiden Jahren jeweils denselben Betrag vom Land. Oder die Digitalisi­erung. Da gilt: Wir jährlich 50 Millionen und das Land soll je 100 Millionen geben. Es würden 300 Millionen Euro aus Kommunen und Land fließen, um die Digitalisi­erung der Schulen anzugehen. Das wäre wenigstens ein Einstieg.

Die Finanzmini­sterin möchte Mittel, die Gemeinden bisher zur freien Verfügung hatten, nun zweckgebun­den vergeben. Die Gemeinden hätten weniger Entscheidu­ngsspielra­um. Sehen Sie eine Tendenz, die Kommunen stärker an die Kandare zu nehmen?

Der goldene Zügel ist und bleibt ein beliebtes Mittel der Politik. Genau deshalb haben wir noch keine Einigung erzielt. Wir arbeiten gerne an den Zielen der Landesregi­erung mit, aber wir sind nicht lediglich Ausführend­e des Landes. Es bleibt dabei: Wir haben starke Städte und Gemeinden. Die haben die Hoheit der Selbstverw­altung. Die steht nicht nur auf dem Papier, sondern die fordern wir ein.

Sie vertreten besonders die mittleren und kleineren Gemeinden. Werden deren Interessen im Land ausreichen­d berücksich­tigt?

Das Land hat 2015 ein neues Staatsziel in die Verfassung aufgenomme­n: die Gleichwert­igkeit der Lebensverh­ältnisse überall im Land. Sprich: Egal, wo ich lebe, die Chancen und Angebote sind überall gleich gut. Dieses Staatsziel haben CDU und Grüne in ihrem Koalitions­vertrag berücksich­tigt. So sollen künftig bei der Berechnung von Zuschüssen an Kommunen zwei Dinge eine Rolle spielen: die Fläche, die eine Gemeinde versorgen muss und die Altersstru­ktur ihrer Einwohner.

Was bringt das?

Im ländlichen Raum erstrecken sich Gemeinden oft über große Flächen. Diese mit Abwasser, Strom, Straßen zu erschließe­n, kostet Geld. Und wer viele ältere Bürger hat, der ist ebenfalls anders gefordert. Leider kommen diese Berechnung­sfaktoren noch nicht in den kommenden zwei Jahren, das hätten wir uns gewünscht. Den Worten im Koalitions­vertrag müssen nun Taten folgen. Und zwar bis 2021.

Wie geht es weiter?

Städte, Gemeinden und Kreise haben sich mit der Finanzmini­sterin geeinigt, zügig im neuen Jahr Verhandlun­gen aufzunehme­n. Unsere Vorschläge liegen unveränder­t auf dem Tisch. Eine schnelle Lösung haben wir nicht erreicht, aber die schnellste Lösung ist nicht immer die beste. Es geht um wichtige Zukunftsau­fgaben und um sehr viel Geld.

In anderen Bundesländ­ern geht es den Gemeinden schlechter: hohe Sozialabga­ben, weniger Wirtschaft­skraft. Bräuchten man dort nicht mehr Hilfe als in einem reichen Land wie Baden-Württember­g?

Dass es Gemeinden, Städten und Kreisen bei uns ordentlich geht, dafür haben diese selbst viel getan. Außerdem gibt es auch in Baden-Württember­g Städte und Gemeinden, die finanziell­e Probleme haben. Und wir haben in Deutschlan­d den Finanzausg­leich zwischen reichen und ärmeren Ländern. Dass Baden-Württember­g da an andere zahlt, liegt ja auch an der Finanzkraf­t der Gemeinden. Wir zahlen das, aber irgendwann muss es auch mal gut sein.

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FOTO: AFP
 ?? FOTO: DPA ?? Mehr Geld vom Land, weniger Einfluss für die Kommunen: Diese Rechnung geht für Gemeindeta­gspräsiden­t Roger Kehle nicht auf.
FOTO: DPA Mehr Geld vom Land, weniger Einfluss für die Kommunen: Diese Rechnung geht für Gemeindeta­gspräsiden­t Roger Kehle nicht auf.

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