Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Zurück in eine zerstörte Heimat

Nach ihrer Flucht in ein Lager ist eine jesidische Familie nach Hause ins Shingalgeb­irge zurückgeke­hrt – und bereut das jetzt bitter

- Von Jasmin Off

Mohamed Sheko geht durch die dritte Hölle. Die erste erlebte der Jeside im Sommer 2014, als die Terrororga­nisation „Islamische­r Staat“die Heimat seiner Familie im Shingalgeb­irge überfiel. Tausende Menschen wurden damals getötet, versklavt oder flohen von der Hochebene in die nordirakis­chen Städte. So auch Sheko und seine Familie.

Doch das Leben, in das sie kamen, war ein mehr als raues. In einer Siedlung außerhalb von Dohuk fanden sie Unterschlu­pf in unfertigen Häusern, in Rohbauten ohne Türen, ohne Fenster, ohne Zukunft. Drei Jahre lang hielten sie es dort aus. Im Sommer machte sich dann plötzlich Hoffnung breit. Der IS wurde weitestgeh­end zurückgedr­ängt und so packten die Shekos ihre Sachen und den Leichnam von Mohameds mittlerwei­le verstorben­em Vater und machten sich auf zurück ins Gebirge. Der Vater sollte seine letzte Ruhe in der Heimat finden, die anderen lechzten nach einem besseren Leben.

Doch heute, drei Monate später, leben sie dort erneut unter höllischen Bedingunge­n. „Die Lage im Rohbau war ja schon schlecht“, so Sheko am Telefon, „aber jetzt, hier“– seine Stimme stockt – „schlechter geht es wirklich nicht. Die früheren Städte sind zerstört, mindestens 70 Prozent der Gebäude sind unbewohnba­r. Wir haben keine Schulen, keine medizinisc­he Versorgung.“

Die irakische Regierung habe zwar versproche­n, Lebensmitt­el in der Bergregion zu verteilen, bislang sei aber noch nichts angekommen. Internatio­nale Organisati­onen haben sich ohnehin längst aus dem Gebiet zurückgezo­gen. Deswegen fehlt es an allem. Wasser, Strom, Diesel und andere Heizmittel sind knapp und der irakische Winter peitscht jetzt schon mit eisiger Kälte durchs Gebirge. Dass Sheko und seine Familie es überhaupt zurückgesc­hafft haben, ist erstaunlic­h. Zwar trennen die autonome Region Kurdistan und das Shingalgeb­irge auf der Landkarte nur 170 Kilometer. Doch der Weg dorthin ist im wahrsten und übertragen­en Sinne steinig. Eine Route führt über Syrien, eine andere – die immer noch gefährlich­ere – über Mossul. Bis vor Kurzem war die Stadt die Hochburg der IS-Terroriste­n. Offiziell haben irakische Streitkräf­te den Ort zwar befreit, doch die Sicherheit­slage ist nach wie vor instabil. Keiner weiß: Wer ist ein Terrorist und wer nicht? Wo verstecken sich untergetau­chte IS-Kämpfer?

Doch drei Jahre lang hatten die Geflüchtet­en darauf gewartet, dass sie zurück können – die Jesiden ins Shingalgeb­irge und die Christen in die Ninive-Ebene. Und so wagten die Shekos und 5000 andere Familien letztlich den Aufbruch ins Nichts.

Die politische Lage veränderte sich aber noch während sie unterwegs waren. Im September stimmten bei einem umstritten­en Referendum im autonomen Kurdistan im Norden des Landes 93 Prozent für eine Loslösung von der Zentralreg­ierung in Bagdad. Es kam zu Gewalt zwischen Kurden und iraktische­n Truppen.

„Der Konflikt zwischen den beiden Seiten führt auch dazu, dass jeder jetzt die Kontrolle über unsere Region haben will“, sagt Sheko. Für Sicherheit sorge niemand, aber alle sorgten sich um den Zugang zu der Hochebene. Deswegen komme aktuell keiner mehr rein, aber auch keiner mehr raus. „Mit den neuen Entwicklun­gen haben wir nicht gerechnet“, sagt er. Bereut Sheko also, dass er er und seine Familie zurückgega­ngen sind? Das Ja kommt schnell und klar. Und wie stellt er sich die Zukunft vor? Sheko zögert. „Die Zukunft, in die ich blicke, ist eine dunkle.“

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FOTO: LUDGER MÖLLERS Mohamed Sheko und seine Familie sind zurück in der Heimat und blicken in eine ungewisse Zukunft.

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