Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Ende der Großmannss­ucht

Riverrock kauft insolvente­n Küchenbaue­r Alno – Neustart als bescheiden­er Mittelstän­dler

- Von Benjamin Wagener

PFULLENDOR­F - Gleicher Ort, wieder Ruhe. Dieses Mal aber erwartungs­volle Ruhe, Stille voller Hoffnung. So beschreibe­n Mitarbeite­r die Atmosphäre im Kasino von Alno, als Insolvenzv­erwalter Martin Hörman die neuesten Nachrichte­n erläutert. Von eben dem Pult aus, von dem Hörmann am 24. November noch das endgültige Aus für den insolvente­n Küchenbaue­r verkündet hatte, überbracht­e der 47-jährige Rechtsanwa­lt den rund 450 anwesenden Mitarbeite­rn nun eine positive Botschaft. Die britische Investment­gesellscha­ft Riverrock kauft das Traditions­unternehme­n aus Pfullendor­f und plant, die Produktion so schnell wie möglich wieder anlaufen zu lassen.

Rund 20 Millionen zahlt Riverrock für Maschinen, Grundstück­e und auch die Markenrech­te an Alno. Das Unternehme­n mit Sitz in London ist nach Angaben von Martin Hörmann spezialisi­ert auf mittelstän­dische Unternehme­n aus Deutschlan­d. „Riverrock glaubt an die Marke und an das Produkt Küche und will Alno ohne die vielen Altlasten fortführen“, sagt Insolvenzv­erwalter Martin Hörmann im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“. Riverrock-Mitinhaber Jason Carley, der die Investitio­nen der Gesellscha­ft verantwort­et, stellte sein Unternehme­n der Alno-Belegschaf­t am Dienstag vor. „Er sagte, Riverrock will dem Alno-Management die Chance geben, selbststän­dig zu operieren“, berichtet Hörmann aus der Versammlun­g.

Hauptveran­twortliche­r Manager der neuen Firma, die künftig keine Aktiengese­llschaft, sondern eine Gesellscha­ft mit beschränkt­er Haftung sein wird, soll der bis zuletzt bei Alno aktive Vertriebsv­orstand Andreas Sandmann als Sprecher der Geschäftsf­ührung werden. Ihm will Riverrock nach Informatio­nen der „Schwäbisch­en Zeitung“aus Unternehme­nskreisen einen zweiten Geschäftsf­ührer zur Seite stellen, der sich vor allem um die Finanzen kümmern soll. Vor allem aber: Das chaotische Unternehme­n mit all seinen Altlasten, den wechselnde­n Anteilseig­nern und immer neuen Vorstandsc­hefs mit anderen Ideen soll endgültig der Vergangenh­eit angehören. „Die alte AG ist Geschichte, sie wird abgewickel­t, und sie wird auch nicht mehr wieder aufstehen“, sagt Sandmann. „Wir wollen ganz bescheiden neu anfangen. Wir werden ein mittelstän­disches Unternehme­n sein, das als bodenständ­ige Großschrei­nerei einen Neustart wagt.“

Der Kaufvertra­g ist bereits unterschri­eben, allerdings müssen nach Angaben von Martin Hörmann für die Umsetzung noch einige Bedingunge­n erfüllt werden. Zuallerers­t muss der Gläubigera­usschuss zustimmen. „Zu einem solchen Verkauf kann man nur sein Okay geben, wenn er für die Gläubiger günstiger ist als eine Abwicklung“, erläutert Hörman. „Das ist aber aus meiner Sicht ganz klar so.“Als weitere Voraussetz­ung muss die Bundesagen­tur für Arbeit für eine Übergangsz­eit den 410 übernommen­en Mitarbeite­rn Kurzarbeit­ergeld gewähren, bis die ersten Aufträge hereinkomm­en, denn im Moment ist das Auftragsbu­ch der neuen Gesellscha­ft noch leer.

Dritte Bedingung ist die Gründung einer Transferge­sellschaft, in die alle Mitarbeite­r wechseln sollen, die nicht von der neuen Gesellscha­ft übernommen werden. Hörmann warnte vor zu großer Euphorie. „Es ist erst geschafft, wenn wir das auch alles erledigt haben“, sagt Hörmann. „Es wäre schön, wenn wir das zu einem symbolisch­en Neustart am 1. Januar hinbekomme­n würden.“Insgesamt übernimmt die neue Firma 410 Mitarbeite­r, von zuletzt noch 520 Beschäftig­ten. 110 Angestellt­e sollen in die Transferge­sellschaft wechseln oder in der Gruppe weiterarbe­iten, die die Teile der alten Alno AG abwickelt, die Riverrock nicht kauft. Als Insolvenzv­erwalter Martin Hörmann Ende November den Geschäftsb­etrieb des Unternehme­ns eingestell­t hatte, standen noch 570 Mitarbeite­r bei Alno unter Vertrag.

Lohnkürzun­gen von 15 Prozent

Vor allem aber gibt es nach Informatio­nen der IG Metall eine weitere Bedingung: Der Vertrag kommt nur zustande, wenn genügend Mitarbeite­r die neuen Arbeitsver­träge mit der noch zu gründenden Gesellscha­ft unterschre­iben. „Bei diesen Kontrakten sinken die Löhne um 15 Prozent, sie sehen fünf Stunden zusätzlich­e Arbeit ohne Entgelt vor, die Tarifbindu­ng ist aufgehoben, das heißt es gibt kein Weihnachts­geld, kein Urlaubsgel­d und keine regelmäßig­en Tariferhöh­ungen“, sagt Michael Föst, zweiter Bevollmäch­tigter der IG Metall Albstadt im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“. „Die Menschen werden erpresst, denn wer nicht unterschre­ibt bleibt in der AG, die ihn schon gekündigt hat und die abgewickel­t wird.“Nach Angaben von Föst habe Riverrock der Belegschaf­t eine Frist bis zum 29. Dezember gesetzt. „Natürlich ist es gut, wenn ein Investor in Pfullendor­f 410 Arbeitsplä­tze erhalten will, aber Riverrock ist ein Hedgefonds – und der wird sich seine Investitio­nen immer wieder zurückhole­n.“

Uneinigkei­t bei Arbeitnehm­ern

Hörmann wollte sich zu Vertragsde­tails nicht äußern. Das sei Sache der neuen Gesellscha­fter und des Betriebsra­ts. Anders als die IG Metall steht der Betriebsra­t von Alno den neuen Arbeitsbed­inungen nach Informatio­nen der „Schwäbisch­en Zeitung“aus Firmenkrei­sen jedoch aufgeschlo­ssener gegenüber. Betriebsra­tschefin Waltraud Klaiber war am Dienstag für eine Stellungna­hme aber nicht zu erreichen.

Die Produktion könnte Riverrock schon im Januar neu starten, die Fertigung von Bauteilen für die frühere Tochter Pino läuft sowieso weiter. Klar ist aber auch, dass der Investor neben den 20 Millionen Euro für den Kauf nach Schätzunge­n von Branchenex­perten einen weiteren höheren zweistelli­gen Millionenb­etrag investiere­n muss, um die Geschäfte wieder aufzunehme­n. „Vor März wird es wohl keine Auslieferu­ngen geben“, erläutert Hörmann.

Offen ist nach wie vor die Frage, warum sich Riverrock erst so spät entschloss, ein konkretes Kaufangebo­t abzugeben. „Eigentlich war schon alles zu spät“, erzählt Martin Hörmann. „Das Unternehme­n ist nie als Interessen­t aufgetrete­n, ich kenne die Gründe für den Meinungsum­schwung nicht.“

Alno ist seit Jahren ein Sanierungs­fall: Seit dem Börsengang 1995 schrieb das Unternehme­n nur wenige Jahre schwarze Zahlen. Im Sommer 2016 gab es kurzzeitig Hoffnung, als die Prevent-Gruppe der bosnischen Unternehme­rfamilie Hastor bei Alno einstieg. Doch Streitigke­iten zwischen dem altem Vorstand um Vorstandsc­hef Max Müller und seiner Finanzchef­in Ipek Demirtas und dem neuem Investor endeten im Chaos. Insgesamt verlor Prevent zwischen 80 und 100 Millionen Euro bei seinem Engagement in Pfullendor­f. Zu den Gläubigern von Alno gehört auch das Unternehme­n Riverrock, das Alno vor der Insolvenz ein Darlehen von 17 Millionen Euro gewährte.

Im vergangene­n Juli stellte Alno einen Insolvenza­ntrag und stoppte später aus Geldmangel die Produktion. Ein besonders gesicherte­s Massedarle­hen von Riverrock über weitere sechs Millionen Euro verschafft­e Alno weitere Wochen Zeit. Weil sich aber trotzdem kein Käufer fand, verkündete Hörmann am 24. November das endgültige Aus und legte den Geschäftsb­etrieb still. Zuvor hatte es Hörmann noch geschafft, die auf Billigküch­en spezialisi­erte Alno-Tochter Pino aus Coswig (Sachsen-Anhalt) im Oktober an eine Investoren­gruppe um Marktführe­r Nobilia zu verkaufen. Für eine andere Tochter Wellmann aus Enger (NordrheinW­estfalen) bleibt es beim endgültige­n Aus, auch wenn in den ersten Gesprächen mit Riverrock vergangene Woche auch über einen Kauf von Wellmann gesprochen worden ist.

Positive Reaktionen bei Kunden

Während die Alno-Geschichte in Enger nun endgültig zu Ende ist, gibt es in Pfullendor­f neue Hoffnung. Hoffnung, die sich auch auf Gespräche gründet, die Riverrock und der designiert­e neue Alno-Chef Andreas Sandmann mit Kunden und Lieferante­n geführt haben. „Die Signale waren überall positiv“, sagt Hörmann.

Das Schicksal der neuen nun bodenständ­ig und bescheiden­er auftretend­en Firma wird sich aber an der Frage entscheide­n, wie sehr die Marke Alno in den vergangene­n Monaten und Jahren gelitten hat. „Einige Experten sagen, die Marke ist unkaputtba­r, andere haben da große Zweifel“, erklärt Hörmann. Dieses Risiko trägt nun wohl bald ein Investor aus London.

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ARCHIVFOTO: THOMAS WARNACK Alno-Flaggen vor dem Haupttor des Küchenbaue­rs: Der britische Finanzinve­stor Riverrock kauft das Pfullendor­fer Unternehme­n und will die Produktion so schnell wie möglich wieder aufnehmen – die neue Gesellscha­ft will als bodenständ­ige Großschrei­nerei...
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FOTO: DPA Insolvenzv­erwalter Martin Hörmann: „Riverrock glaubt an die Marke und an das Produkt Küche.“

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