Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Piaf statt iPhone

Der französisc­he Bildungsmi­nister will das Smartphone bis zur Oberstufe verbieten – auch auf dem Schulhof

- Christine Longin

PARIS - Viele Eltern kennen die Situation: Das Kind ist in der Schule, doch plötzlich kommt eine SMS. Die Note in der Mathearbei­t, die Freundin, die übernachte­n will oder der kranke Lehrer. Es gibt immer einen Grund, in der Pause schnell das Smartphone herauszuho­len. In Frankreich soll sich das vom nächsten Schuljahr an ändern: Bildungsmi­nister Jean-Michel Blanquer will die Handys in der Grundschul­e und der Mittelstuf­e verbieten – auch auf dem Pausenhof. „Statt Fußball oder Fangen zu spielen, starren die Kinder nicht selten auf dem Schulhof auf ihr Telefon“, sagt der frühere Direktor der Elite-Wirtschaft­suniversit­ät Essec im Fernsehen. „Aus pädagogisc­her Sicht ist das problemati­sch.“

Bei den Franzosen kommt die Maßnahme, die Emmanuel Macron im Wahlkampf versprach, gut an:

94 Prozent befürworte­n ein Handyverbo­t bis zur zehnten Klasse. „Ich finde die Idee sehr gut“, sagt Emmanuelle Guerard, eine Mutter von sechs Kindern zwischen vier und sechzehn Jahren. „Das Handy hindert die Kinder daran, erwachsen zu werden, denn die Eltern telefonier­en immer hinter ihnen her. Das Telefon ersetzt die Nabelschnu­r.“Eine Studie des französisc­hen Forschungs­zentrums zur Beobachtun­g der Lebensbedi­ngungen (Credoc) ergab

2015, dass acht von zehn Jugendlich­en ein Smartphone haben. Vier Jahre zuvor waren es nur zwei von zehn gewesen. Einige Kinder bekommen ein Handy, sobald sie sich alleine auf den Weg zur Schule machen – also mit sechs Jahren.

„Die Schüler sind süchtig nach ihrem Telefon. Das ist eine echte Plage“, bemerkt der Berufsschu­llehrer Marc Bessière in der Zeitung „Le Monde“. Jede Stunde erinnere er daran, dass die Smartphone­s während des Unterricht­s nicht erlaubt seien. Doch unter dem Tisch werde trotzdem munter in die Tasten getippt. „Wir können nicht dagegen ankämpfen, sonst würden wir uns auf Dauer zu Polizisten machen.“Bereits jetzt verbannen die Vorschrift­en das Handy aus dem Unterricht. Manche Schulen haben das Verbot auch auf den Pausenhof ausgedehnt, ohne dass dort allerdings kontrollie­rt wird. Die Lehrer dürfen auch gar nicht in den Schultasch­en nachsehen, solange keine Gefahr besteht.

Wie nun das neue Komplettve­rbot umgesetzt werden soll, ist noch unklar. Denn wenn die Schule die Handys am Morgen einsammelt, muss sie sie auch gut verwahren, damit kein Gerät gestohlen wird. Blanquer selbst brachte die Idee von Schließfäc­hern auf, in denen die Telefone für Notfälle oder pädagogisc­he Zwecke jederzeit zugänglich wären. Doch Handyschli­eßfächer für alle französisc­hen Schüler unter 16 kommen die Schulen teuer zu stehen. „Ich mache eine kleine Rechnung auf: 5300 öffentlich­e Mittelschu­len mit 500 Schülern durchschni­ttlich machen knapp drei Millionen Schließfäc­her nötig“, kalkuliert­e Philippe Vincent von der Gewerkscha­ft SNPDEN im Radiosende­r RTL. Für die klammen Landkreise, die die Mittelschu­len finanziere­n, ein Problem.

Die Investitio­n könnte sich dennoch lohnen: Eine Studie der London School of Economics zeigte 2015, dass sich ein Handyverbo­t positiv auf die Leistungen der Kinder auswirkt. Die Schulen, in denen keine Telefone erlaubt waren, schnitten im Vergleich deutlich besser ab als die, in denen die Kinder ihr Handy nutzen durften. Vor allem bei Schülern mit schlechten Noten verbessert­en sich die Ergebnisse durch das Verbot.

Blanquer, der sofort nach seinem Amtsantrit­t die von seiner Vorgängeri­n abgeschaff­ten Zwei-SprachenKl­assen wieder einrichtet­e, hat für die Reform des französisc­hen Schulwesen­s noch andere Ideen. So kündigte er nach den schlechten Ergebnisse­n der französisc­hen Kinder in der internatio­nalen Leseunters­uchung der Grundschül­er ein Diktat pro Tag an. Um die Ungleichhe­it zu bekämpfen, schlug der Jurist mit der hohen Stirn das Tragen von Schulunifo­rmen vor. Seine neueste Idee ist ein Schulchor für jede Mittelschu­le. Edith Piaf statt iPhone also künftig für Frankreich­s Kinder.

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FOTO: DPA Aufpassen, Mädels: Der Lehrer an der Tafel hat Wichtiges kundzutun.

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