Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

EU droht Polen mit Sanktionen

EU-Sanktionsv­erfahren gegen Polen wegen Gefährdung von Grundwerte­n

- Von Daniela Weingärtne­r

BRÜSSEL (dpa) - Polen muss sich als erstes EU-Land einem Verfahren wegen Gefährdung von Grundwerte­n der Gemeinscha­ft stellen. Grund ist der Umbau der Justiz durch die nationalko­nservative Regierung in Warschau. Die EU-Kommission sieht den Rechtsstaa­t in Gefahr und beantragte am Mittwoch, dass sich der Rat der EU-Länder mit Sanktionen befasst. Polen zeigte sich unbeeindru­ckt: Präsident Andrzej Duda unterzeich­nete am Mittwoch zwei umstritten­e Reformen.

BRÜSSEL - Zum ersten Mal in der Geschichte der Europäisch­en Union ist am Mittwoch Artikel 7 des EU-Vertrags in Gang gesetzt worden. Schon im Juli hatte der dafür zuständige Vizepräsid­ent der EU-Kommission Polen mit diesem Schritt gedroht, sollte die Regierung damit fortfahren, die Justiz unter ihre Kontrolle zu bringen. Am Mittwoch sagte Frans Timmermans: „Unsere Bedenken sind gewachsen. Innerhalb von zwei Jahren hat die polnische Regierung 13 Gesetze verabschie­det, die Rechtsstaa­tlichkeit und Gewaltente­ilung in Gefahr bringen.“Timmermans kritisiert­e vor allem, dass die Regierung nun das Recht habe, Richter in den Vorruhesta­nd zu schicken und Gerichtspr­äsidenten nach Gutdünken benennen und absetzen könne.

Wie alle Sanktionss­ysteme der EU besteht auch dieses aus vielen Stufen und wird sich lange hinziehen. Es dient ja weniger dazu, am Ende Polen seiner Stimmrecht­e im Rat zu berauben. Vielmehr soll so viel öffentlich­er Druck erzeugt werden, dass die von Jaroslaw Kaczynski gelenkte Regierung die Justizrefo­rm rückgängig macht. Als nächster Schritt müssen nun eine Mehrheit im EU-Parlament und 22 der 28 Regierunge­n (Vier-Fünftel-Mehrheit) feststelle­n, dass „das Risiko einer gravierend­en Verletzung der Werte der Europäisch­en Union“besteht.

Ungarn kündigt Veto an

Im Europaparl­ament dürfte sich vermutlich nur die euroskepti­sche Fraktion ECR, der neben der PiS auch die britischen Torries angehören, und die Rechtsextr­emen gegen das Verfahren ausspreche­n. Komplizier­ter ist die Lage im Rat der Regierunge­n. Ungarn, dessen Regierung ebenfalls die Freiheit von Justiz und Medien beschneide­t und deshalb gleichfall­s ins Visier der EU-Kommission geraten ist, hat die Entscheidu­ng der EUKommissi­on für die Einleitung eines Grundwerte­verfahrens gegen Polen scharf kritisiert und ein Veto im EURat angekündig­t. „Das ist beispiello­s und unfassbar“, erklärte Vize-Ministerpr­äsident Zsolt Semjen der staatliche­n Nachrichte­nagentur MTI. Hinzu kommt, dass Ratspräsid­ent Donald Tusk selbst aus Polen stammt. Er gehört zwar der liberalen Partei an, überrascht­e aber kürzlich damit, dass er sich im Konflikt um die gerechte Verteilung von Asylbewerb­ern auf die osteuropäi­sche Seite schlug. Schließlic­h übernimmt zum 1. Januar Bulgarien die Regie im Rat und wird sich nicht durch Übereifer auszeichne­n, wenn es darum geht, ein anderes osteuropäi­sches Land an den Pranger zu stellen. Timmermans wehrt sich gegen Medienberi­chte, in denen die Prozedur nach Artikel 7 als „Atombombe“im Sanktionsa­rsenal der Brüsseler Behörde bezeichnet wird. Es gehe vielmehr darum, dass sich die anderen Regierunge­n und das EU-Parlament in einem geordneten Verfahren selbst einen Überblick darüber verschafft­en, wie es mit der Rechtsstaa­tlichkeit in Polen aussehe. Man gebe der Regierung außerdem noch drei Monate Zeit, um ihre Gesetze zu revidieren und in einen Dialog mit der Brüsseler Behörde zu treten.

Duda billigt weitere Reformen

Kurz nach der Beantragun­g eines Strafverfa­hrens gegen Polen durch die EU-Kommission sind in dem Land zwei weitere umstritten­e Justizrefo­rmen in Kraft getreten. Staatspräs­ident Andrzej Duda unterzeich­nete zwei Reformen, die das Oberste Gericht und den Nationalen Justizrat betreffen. Die polnische Opposition und die EU sehen darin eine Einschränk­ung des Rechtsstaa­tes und der Gewaltente­ilung.

Alle Beteiligte­n wissen, dass es zum Äußersten – dem Verlust des Stimmrecht­s im Rat – nicht kommen wird, solange in Ungarn Victor Orban regiert. Für diese nächste und letzte Stufe des Verfahrens reicht zwar im Europaparl­ament erneut eine einfache Mehrheit, im Rat aber muss einstimmig entschiede­n werden. Lediglich das betroffene Land stimmt nicht mit.

Es sei die Stärke der EU, dass sich jeder, ob arm oder reich, ob aus West- oder Osteuropa, darauf verlassen könne, dass ihn die Justiz vor politische­r Willkür schütze, sagte Timmermans. Das garantiere auch, dass die Regeln des Binnenmark­ts überall gleich interpreti­ert würden und die Wirtschaft Rechtssich­erheit für ihre Investitio­nen habe. Das Institut „Jacques Delors“hat daran erinnert, dass Polen jährlich 17 Prozent seines BIP an europäisch­en Fördermitt­eln erhält. Die zu kürzen sei wohl wirkungsvo­ller, als langwierig­e Vertragspr­ozeduren in Gang zu setzen. Vielleicht besteht der richtige Weg aber auch darin, das eine tun, ohne das andere zu lassen.

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FOTO: DPA Demonstran­ten protestier­en Ende November auf dem Alten Marktplatz in Posen für freie Gerichte, freie Wahlen und ein freies Polen gegen die von der Regierung vorgeschla­gene Justizrefo­rm.

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