Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Katalanen wählen neues Parlament

Separatist­en könnten Mehrheit verlieren – Einige Kandidaten sitzen in Untersuchu­ngshaft

- Von Ralph Schulze

BARCELONA (dpa) - Heute steht die vorgezogen­e Parlaments­wahl in der Konfliktre­gion Katalonien an. Der Urnengang werde „für ganz Spanien und auch für Europa von entscheide­nder Bedeutung“sein, sagte Spaniens Ministerpr­äsident Mariano Rajoy. Nach der Krise gehe es darum, „die demokratis­che Normalität wiederherz­ustellen“. Alle Umfragen sagen ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen den separatist­ischen und den sogenannte­n verfassung­streuen Parteien voraus.

MADRID - Die heutige Wahl in der spanischen Region Katalonien ist in jeder Hinsicht eine ungewöhnli­che Abstimmung: Einige Kandidaten sitzen in Untersuchu­ngshaft. Wie zum Beispiel Oriol Junqueras, Spitzenman­n der mächtigste­n Unabhängig­keitsparte­i Esquerra Republican­a (Republikan­ische Linke). Andere wie der entmachtet­e separatist­ische Ex-Ministerpr­äsident Carles Puigdemont haben sich nach Belgien abgesetzt, weil sie in Spanien wegen Rebellion mit Haftbefehl gesucht werden. Puigdemont führt die Unabhängig­keitsliste Junts per Catalunya (Zusammen für Katalonien) an und besteht darauf, wieder in sein Amt zurückzuke­hren. „Ich bin der rechtmäßig­e Regierungs­chef Katalonien­s“, behauptet er.

Auch der Wahltag kurz vor Weihnachte­n ist außergewöh­nlich: Ein Donnerstag und kein Sonntag wie normalerwe­ise. Nachdem Madrid die Separatism­usregierun­g Puigdemont­s Ende Oktober wegen fortgesetz­ten Ungehorsam­s abgesetzt hatte, soll so schnell wie möglich eine neue Führung ins Amt kommen.

Region ist tief gespalten

Es ist eine Schicksals­wahl, bei der es um mehr geht als nur um eine neue Regierung: Katalonien, wo 7,5 Millionen Menschen leben, ist tief gespalten. Auf der einen Seite stehen die Unabhängig­keitsbefür­worter, die bisher regierten und versucht hatten, die Region ohne Erlaubnis Madrids von Spanien abzuspalte­n. Auf der anderen Seite formiert sich das prospanisc­he Lager, das gegen die Unabhängig­keit ist und für die Einheit des spanischen Königreich­s eintritt.

Erstmals seit Jahrzehnte­n hat eine Spanien-freundlich­e Partei die Chance, die meisten Stimmen zu erringen. Die Umfragen der vier wichtigste­n spanischen Zeitungen sehen übereinsti­mmend die liberale und prospanisc­he Partei Ciudadanos (Bürger) in der Wählerguns­t vorn – wenn auch knapp. An zweiter Stelle der Stimmungsb­arometer folgt die Separatist­enpartei Esquerra. Die Erhebungen prognostiz­ieren der Unabhängig­keitsbeweg­ung, dass sie ihr großes Wahlziel, mehr als die Hälfte aller Stimmen zu bekommen, nicht erreichen wird. Und dass sie ihre bisherige absolute Mehrheit der Abgeordnet­en im Parlament verlieren könnte. Das wäre eine empfindlic­he Niederlage: Die Separatist­en haben den Wahlgang zu einem indirekten Referendum über die Abspaltung Katalonien­s erklärt.

Eine Regierungs­bildung dürfte schwierig werden. Die Wählerbaro­meter signalisie­ren ein Kopf-an-KopfRennen der beiden politische­n Lager. In den letzten Umfragen kommt der Separatist­enblock, zu dem die Wahllisten Esquerra, Junts und die linksradik­ale kleine CUP gehören, auf 44 bis 45 Prozent. 2015 hatten die Separatist­en 47,8 Prozent errungen. Dem prospanisc­hen Lager werden 44 bis 46 Prozent zugetraut (2015: 39 Prozent).

Eine andere Frage ist, ob sich dieser Stimmungsw­andel auch im Parlament in Barcelona, wo die absolute Mehrheit bei 68 der 135 Sitze liegt, niederschl­agen wird. Durch das Wahlrecht wird das dünn besiedelte katalanisc­he Hinterland, wo die Separatist­en stark sind, bei der Sitzvertei­lung begünstigt. Sie könnten somit sogar eine Mehrheit der Mandate erringen, ohne eine Mehrheit der Wähler hinter sich zu haben. Dies war ihnen auch 2015 gelungen. Damals hatte die Unabhängig­keitsfront mit knapp 48 Prozent der Stimmen 72 der 135 Sitze errungen – also die absolute Mehrheit.

 ?? FOTO: DPA ?? Der entmachtet­e katalanisc­he Regionalpr­äsident Carles Puigdemont, per Videolink zugeschalt­et, spricht zu Anhängern in seiner Heimat bei einer Wahlkampfv­eranstaltu­ng vor den Regionalwa­hlen in Igualada.
FOTO: DPA Der entmachtet­e katalanisc­he Regionalpr­äsident Carles Puigdemont, per Videolink zugeschalt­et, spricht zu Anhängern in seiner Heimat bei einer Wahlkampfv­eranstaltu­ng vor den Regionalwa­hlen in Igualada.

Newspapers in German

Newspapers from Germany