Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Das Ringen um die Selbstverw­altung

Rafael Casanova ist zum Symbol des katalanisc­hen Freiheitsk­ampfes geworden

- Von Sebastian Heilemann

RAVENSBURG - Am 11. September 1714 rufen die bourbonisc­hen Truppen zum Sturm auf Barcelona. Kanonen haben Breschen in die Stadtmauer­n geschossen. Nach Ende des Spanischen Erbfolgekr­iegs hat der Bourbone Phillipp V. den Thron in Madrid bestiegen – und trifft auf Widerstand. Die Katalanen haben sich zuvor im Konflikt um die spanische Thronfolge auf die Seite der Habsburger geschlagen und fürchten nun die Vergeltung und damit den Verlust ihrer Selbstverw­altung. Die Lage innerhalb Barcelonas scheint aussichtsl­os, doch Bürgermeis­ter Rafael Casanova ergreift die Flagge der Heiligen Eulalia – Schutzpatr­onin der Stadt – und rennt auf das Schlachtfe­ld. Bourbonisc­he Kugeln strecken ihn nieder und lassen ihn, auch wenn er überlebt, zum Symbol des verlorenen Katalanisc­hen Freiheitsk­ampfes werden. Bis heute.

Der Tag, an dem Katalonien seine Unabhängig­keit verliert, brennt sich ins kollektive Gedächtnis der Bevölkerun­g ein, das Datum wird zum Nationalfe­iertag. Jedes Jahr am 11. September legen Vertreter der Regionalre­gierung Blumen an der Statue von Rafael Casanova in Barcelona ab. So wie Casanova die Flagge Barcelonas an jenem Schicksals­tag in seinen Händen gehalten haben soll, schwenken mehr als 300 Jahre später die Befürworte­r einer katalanisc­hen Selbststän­digkeit die gelb-roten Flaggen Katalonien­s bei Demonstrat­ionen.

Das Ringen um die Selbstverw­altung der Katalanen durchzieht die Geschichte der Region wie ein roter Faden. Im 13. und 14. Jahrhunder­t gehört Katalonien zu den Großmächte­n Europas. Das Territoriu­m der aragonisch­en Krone reicht über die Region im Nordosten des heutigen Spaniens hinaus über die Balearen, Sardinien, Süditalien­s bis zu Teilen Griechenla­nds – stets erweitert durch Heiratspol­itik. Katalonien behält seine Münzen, Zölle, ein eigenes Steuersyst­em und Verwaltung­sinstituti­onen sowie Katalanisc­h als Amtssprach­e. Privilegie­n, die erst nach der Eroberung Barcelonas durch Philipp V. fallen sollten.

Wirtschaft­lich stärkste Region

Nach Jahrzehnte­n im Schatten einer an Madrid ausgericht­eten Politik entwickelt sich Katalonien Mitte des 19. Jahrhunder­ts während der Industrial­isierung zur wirtschaft­lich stärksten Region des Landes. Mit der boomenden Textilindu­strie wächst auch das katalanisc­he Selbstbewu­sstsein. In gleichem Maße erstarkt auch die Wahrnehmun­g Opfer einer repressive­n Zentralreg­ierung zu sein.

Den Katalanist­en gelingt es 1932 ein Autonomies­tatut durchzuset­zen, das Katalonien eine eigene Regierung, Parlament und Selbstverw­altungsrec­hte zugesteht. In den folgenden Jahren wurde der Autonomies­tatus nach Konflikten mit der Zentralreg­ierung wieder abgeschaff­t und dann

1936 erneut etabliert. Doch die Autonomie steht zu Beginn des Bürgerkrie­ges (1936 bis 1939) erneut auf der Kippe – General Franco hatte unmissvers­tändlich zu erkennen gegeben, dass er bei seinem Sieg das Autonomies­tatut abschaffen würde.

Nach dem Ende des Francoreic­hs und der Demokratis­ierung des Landes ab 1975 erlangt Katalonien erneut einen Autonomies­tatus. Rechte, die die Regionalre­gierungen Katalonien­s durch geschickte Verhandlun­gspolitik mit Madrid über die folgenden Jahrzehnte stets ausbaut. Seit das Spanische Verfassung­sgericht aber 2010 ein erweiterte­s Autonomies­tatut kippte, lodert der Konflikt wieder. Immer noch fließt aus Sicht der Autonomieb­efürworter zu viel Geld aus der Region nach Madrid. Hinzu kommen politische Entscheidu­ngen der Zentralreg­ierung, die als Sticheleie­n gedeutet werden. Wie das katalanisc­he Verbot des Stierkampf­es, das Madrid

2013 kippte, die Diskussion­en um internatio­nale Flugverbin­dungen für Barcelona oder der Streit um ein Denkmal in Madrid für einen der Generäle, der 1714 Barcelona beschoss.

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FOTO: DPA Katalanisc­he Flagge bei einer Kundgebung in Barcelona.

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