Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Österreich­s neuer Kanzler beklagt die Folgen der Migration

- Von Rudolf Gruber, Wien

Dass er ein guter Wahlkämpfe­r ist, hat er bewiesen. Jetzt kommt die Bewährung als Staatsmann: Österreich­s neuer Kanzler Sebastian Kurz gab seine erste Regierungs­erklärung ab. Der 31-Jährige betonte erneut die aus seiner Sicht nachteilig­en Folgen der Migration: „Die Sicherheit­ssituation und das Zusammenle­ben in Österreich hat sich zum Negativen entwickelt.“Kurz will entschiede­n gegen jede Art von Antisemiti­smus eintreten. Dazu gehöre der Kampf gegen die bestehende und gegen die durch Zuwanderun­g von Muslimen importiert­e Judenfeind­lichkeit, sagte der ÖVP-Chef.

Innerhalb von zwölf Jahren vom Abitur ins Kanzleramt: Ob die atemberaub­ende, beispiello­se politische Karriere des Sebastian Kurz dem Land gut tut, ist noch ungewiss. Der Niedergang der traditione­llen Volksparte­ien, namentlich der eigenen konservati­ven ÖVP, die Abstiegsän­gste der Österreich­er durch Globalisie­rung und Flüchtling­sströme, der Rückstau an überfällig­en Reformen für die Zukunftssi­cherung des Landes – all diese Negativpos­ten haben den Aufstieg von Kurz stark begünstigt.

Kurz hat seine Rolle nach allen Regeln moderner Marketingk­unst gespielt: Erst eroberte er nachgerade im Sturm die ÖVP-Führung, ließ sich von verdattert­en Parteigran­den mit Vollmachte­n ausstatten und änderte die Parteifarb­e von Schwarz auf ein frisches Türkis als Signal für den Wandel, den er mit schlichten Heilsbotsc­haften wie „Es ist Zeit“, „Neu regieren“und „Bereit für Veränderun­gen“ankündigte. Es schmeichel­te ihm, von manchen mit modernen Politikern wie Obama, Macron oder Trudeau in einem Atemzug genannt zu werden. Als Außenminis­ter nutzte er die Gelegenhei­t zu internatio­naler Profilieru­ng. Unfreiwill­ig zählte auch Angela Merkel zu seinen Karrierehe­lfern: Kurz’ kritische Anmerkunge­n zur Flüchtling­spolitik der deutschen Kanzlerin war Populismus pur.

Doch für die nächsten fünf Jahre ist die Regierungs­kunst gefragt. Noch rätseln Beobachter, wie Kurz ideologisc­h einzuordne­n ist und wohin er Österreich tatsächlic­h führen will. Was bislang sichtbar wurde, ist sein macchiavel­listischer Machthunge­r bis hin zu autoritäre­n Zügen und ein für seine 31 Jahre erstaunlic­h souveränes Auftreten. Aber ob Kurz auch ein Christdemo­krat ist, lässt sich nicht sicher sagen – was bei einem ÖVP-Chef ziemlich seltsam klingt.

Widerständ­e in der ÖVP

Das Regierungs­programm mit der rechten FPÖ bestätigt Beobachter, die meinen, der neue Kanzler sei ein ideologief­reier, aalglatter Pragmatike­r. Gemessen an den Erwartunge­n ist das Koalitions­papier tatsächlic­h kein revolution­ärer Wurf. Das lag nicht allein an Zugeständn­issen an die FPÖ, es soll auch starken Widerstand innerhalb der ÖVP gegeben haben. Beispielsw­eise dürfte die groß angekündig­te Verwaltung­sreform nicht so schnell und nicht so radikal ausfallen, wie das Kurz-Motto „Neu Regieren“vermuten lässt. Weil die Korrektur des intranspar­enten und kostspieli­gen Föderalism­us in Österreich namentlich auf Kosten der machtverwö­hnten Länderchef­s ginge, von denen die ÖVP sechs der neun stellt.

Auch dass Kurz seine Regierungs­mannschaft im Alleingang formte, ist riskant: Der gebürtige Wiener vertraut nur seinem engsten Freundeskr­eis, sämtliche ÖVP-Minister sind Neulinge ohne Regierungs­erfahrung und in der Partei kaum verankert.

Doch das höchste Risiko geht Kurz mit dem Partner FPÖ ein. Ohne deren Chef Heinz-Christian Strache wäre er nicht Kanzler geworden. Im Gegensatz zur unerfahren­en Kurz-Truppe sind die FPÖ-Minister mit allen Wassern gewaschene Polit-Profis.

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