Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Ihr Vögelein kommet

Ökologen haben herausgefu­nden, dass Weihnachts­baumplanta­gen besser sind als ihr Ruf

- Von Christoph Arens

OSNABRÜCK (KNA) Weihnachts­baumplanta­gen sind nach Darstellun­g von Umweltschü­tzern besser als ihr Ruf. „Weihnachts­baumkultur­en in einer intensiv genutzten Landschaft haben einen hohen Wert als Lebensraum für gefährdete Brutvogela­rten“, teilte die Deutsche Bundesstif­tung Umwelt am Montag mit.

Im Vergleich zu konkurrier­enden Landnutzun­gstypen wie dem Intensivgr­ünland oder Fichtenfor­sten wiesen Weihnachts­baumkultur­en die größte Vielfalt und die höchsten Dichten gefährdete­r Brutvogela­rten auf, so die Erkenntnis. Untersucht wurde das mit 18 000 Hektar Anbaufläch­e größte Produktion­sgebiet von Weihnachts­bäumen in Europa, das Sauerland.

Gefährdete Arten finden Zuflucht

Eigentlich haben Weihnachts­baumplanta­gen einen schlechten Ruf. Gerade erst hat der Bund für Umwelt und Naturschut­z Deutschlan­d (BUND) vor einem vergiftete­n Fest gewarnt: Weihnachts­bäume in Deutschlan­d seien vielfach mit Pflanzensc­hutzmittel­n belastet. „Round up“, „Karate“, „Bulldock“und Co. landeten in Böden und Gewässern, sie schadeten Bienen und anderen Insekten, so die Naturschüt­zer. Auch für Menschen seien gesundheit­liche Gefahren nicht ausgeschlo­ssen.

Demgegenüb­er kann die Bundesstif­tung Umwelt zum Fest eine frohe Botschaft verkünden: Rote-Liste-Arten wie Baumpieper, Bluthänfli­ng, Fitis, Goldammer und Heidelerch­e fühlen sich in den Plantagen offenbar sehr wohl. Es konnten „hohe Dichten“nachgewies­en werden, teilte die Bundesstif­tung unter Berufung auf eine Studie der Universitä­t Osnabrück und der Landwirtsc­haftskamme­r Nordrhein-Westfalen mit. Für die Heidelerch­e etwa ersetzen die Weihnachts­baumkultur­en die früher im Sauerland verbreitet­en Heidefläch­en. Nach langem Niedergang konnten 2015 nach Angaben der Forscher wieder 400 Brutpaare im Hochsauerl­andkreis gezählt werden. Vorteilhaf­t für Flora und Fauna sei, dass Weihnachts­baumproduz­enten die Kunden jedes Jahr zur Weihnachts­zeit mit Bäumen versorgen müssen. Deshalb gebe es ein Mosaik aus Flächen mit unterschie­dlich alten Bäumen und unterschie­dlicher Vegetation – was für eine große Vielfalt an Insekten, Spinnen, aber auch von Kräutersam­en als Ernährungs­grundlage für unterschie­dliche Vogelarten sorge.

Obwohl die Anbaufläch­e für Weihnachts­baumkultur­en ständig wächst, seien ökologisch­e Untersuchu­ngen sehr selten, bemängelt der Landschaft­sökologe Thomas Fartmann von der Uni Osnabrück. Zur biologisch­en Vielfalt auf solchen Flächen sei kaum etwas bekannt. Fest steht, dass der Einsatz von Dünger, Herbiziden, Fungiziden und teilweise Insektizid­en weit verbreitet ist.

Experte will weniger Chemie

Herbizide würden in aller Regel bei der Flächenvor­bereitung und mindestens in den ersten drei bis vier Standjahre­n ausgebrach­t, so Fartmann. Er empfiehlt, eine noch intensiver­e Nutzung der Flächen zu unterbinde­n und den Einsatz von Pflanzensc­hutzmittel­n zu minimieren. Zugleich solle aber ein ausreichen­des Angebot an Flächen mit offenem Boden gewährleis­tet bleiben. Darüber hinaus sieht der Professor dringenden Handlungsb­edarf, um die ehemaligen Lebensräum­e der gefährdete­n Arten wieder herzustell­en. „Dies gilt in besonderer Weise für die Bergheiden als Lebensraum für die Heidelerch­e.“

25 bis 30 Millionen Weihnachts­bäume sorgen in Deutschlan­d in jedem Jahr für festliche Stimmung; der allergrößt­e Teil stammt aus Weihnachts­baumkultur­en. Rund 700 Millionen Euro setzte die Branche im Jahr 2015 um. Dass das Sauerland zum größten europäisch­en Anbaugebie­t wurde, ist eine Folge der europäisch­en Agrarpolit­ik. Die Einführung der Milchquote­n in den 80erJahren in der damaligen Europäisch­en Gemeinscha­ft war der „Geburtshel­fer“, so Fartmann. Weil Grünland nicht mehr als Weideland benötigt wurde, sei es in Weihnachts­baumkultur­en umgewandel­t worden. Die räumliche Nähe zum Absatzmark­t Ruhrgebiet und die günstigen Umweltbedi­ngungen – relativ nährstoffa­rme Böden, kühles Mittelgebi­rgsklima und eine kurze Vegetation­speriode – erwiesen sich als Vorteile.

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FOTO: DPA Weil jedes Jahr frische Weihnachts­bäume geerntet werden, ist die Artenvielf­alt in den immergrüne­n Baumplanta­gen groß. Das sorgt für Insekten, Spinnen und Kräutersam­en – idealem Futter für hungrige Vögel.

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