Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Ohne Papa: Lieber glücklich zu dritt
Alleinerziehend mit Zwillingen – Eine Bad Saulgauerin kämpft jeden Tag
BAD SAULGAU - Damit jeder Zwilling ein eigenes Zimmer haben kann, verzichtet Angelika Hermann (Name von der Redaktion geändert) auf einen eigenen Rückzugsort und schläft auf dem Sofa im Wohnzimmer. Seit fünf Jahren ist die Mutter von zwei Achtjährigen auf sich allein gestellt. Das war eine bewusste Entscheidung: „Ich habe mich von meinem Mann getrennt. Wir hatten uns auseinander gelebt und es war nicht mehr das, was ich unter einer heilen Familie verstehe und was ich meinen Kindern vorleben möchte.“Seither sind die Hermanns zu dritt, die Kinder sehen ihren Papa am Wochenende, das Verhältnis zwischen den Eltern ist gut.
Dennoch: Die Trennung stellte einen emotionalen und vor allem finanziellen Kraftakt dar. „Ich habe mir natürlich erst einmal eine neue Wohnung suchen müssen“, sagt die 43-Jährige, welche die ersten zwei Lebensjahre ihrer Kinder mit diesen daheim verbracht hat. Eine passende Stelle zu finden, stellte sich als noch schwerer heraus. Vorübergehend arbeitete sie in zwei Berufen – als Arzthelferin und als Bäckereifachverkäuferin. Gereicht hatte es zum Leben trotzdem kaum. „Ich musste aufstocken und habe die meisten meiner Versicherungen gekündigt“, berichtet die Mutter. An Altersvorsorge sei nicht zu denken gewesen. Auch ihr Ex-Mann hatte finanzielle Probleme, konnte zeitweise nicht die Alimente für die Kinder bezahlen. „Deshalb musste ich aufs Jugendamt, um Unterhaltsvorschuss zu beantragen.“Von Ämtern hat die Alleinerziehende genug. „Dort musste ich mich immer rechtfertigen“– beispielsweise, als sie in einer kurzen Phase der Arbeitslosigkeit einen Job in einer Bäckerei ablehnt, den sie hätte um 5 Uhr morgens antreten sollen, ohne eine Tagesmutter für die Kinder gefunden zu haben. Ihr letzter Arbeitgeber hatte ihr damals gekündigt – „weil die Zwillinge und ich im ersten Kindergartenjahr viel krank waren“. Wieder stand sie vor dem Nichts. Und trotzdem ging es irgendwie weiter. In ihrem neuen Job fühlt sich die zweifache Mutter heute sehr wohl. Der Vertrag ist allerdings nur befristet. Und so ist die existenzielle Sorge auch weiterhin Alltagsbegleiter.
Die Scham gehört zum Alltag
Angelika Hermann ist froh, dass sie nicht mehr Sozialleistungen beantragen muss und sich und die „Mäuse“, wie sie die Zwillinge nennt, selbst finanzieren kann. Die Kinder weiß sie in der Schule über den Nachmittag gut betreut. Die Scham gehört dennoch manchmal zum Alltag. „Man fühlt sich, als hätte man einen Mangel“, sagt die Bad Saulgauerin. Gemeint ist die Scham, allein zu sein und von Fremden dafür verurteilt zu werden, die Scham, kein Geld zu haben für Schulausflüge, eine neue Waschmaschine oder berechtigte Wünsche der Kinder, die andere Familien sofort erfüllen würden, ohne darüber nachzudenken. Scham, weil die Zwillinge zu laut sind, und sich die Nachbarn beschweren. Dann überkommt sie kurzzeitig auch die Angst, das Jugendamt könnte deswegen auf der Matte stehen und ihr das Wertvollste nehmen. Und dann ist da manchmal das schlechte Gewissen, ihren Kindern nicht immer gerecht werden zu können. Unter der Woche hat Angelika Hermann nicht viel Zeit mit ihrem Sohn und ihrer Tochter. Die beiden werden bis 16 Uhr mit 20 anderen Kindern kostenlos in der Schule betreut – „dass es die Möglichkeit gibt, ist unheimlich toll. Doch die beiden können nicht einfach so mal mit zu Freunden. Sie sagen immer: Wir haben halt nur uns.“Eine Tagesmutter, bei der eine flexiblere und intensivere Betreuung möglich wäre, konnte Hermann bislang nicht finden. Im Landkreis Sigmaringen gibt es diesbezüglich eine große Nachfrage (wir berichteten).
Manchmal springen die Großeltern ein, die aber schon in einem Alter sind, in dem die Alleinerziehende die Rentner nicht überbeanspruchen möchte. „Ich habe wirklich Glück, ich habe ein soziales Netzwerk, Freunde und Familie“, sagt sie immer wieder und erzählt, mit welchen Schicksalsschlägen andere Alleinerziehende zu kämpfen haben. Wie sie ihre Kinder zwischen den Jahren betreut, wenn sie und ihr Ex-Mann arbeiten müssen, weiß sie ein paar Wochen vorher allerdings noch nicht.
Geschenke gibt es trotzdem
Geschenke gibt es an Heiligabend aber auch bei den Hermanns, und wenn es nur etwas Kleines ist. „Wir gehen oft auf Kinderbasare und Flohmärkte“, sagt die 43-Jährige. Noch mache es den Kindern nichts aus, etwas Gebrauchtes zu bekommen. Was Familienausflüge angeht, ist Angelika Hermann findig: „Ich blättere viel in Prospekten und Anzeigenblättern. Wenn ich sehe, dass ein Möbelhaus am Wochenende Kinderschminken und eine Glücksrad-Tombola anbietet, gehe ich mit den Kindern dorthin. Dann sind wir eben drei Stunden im Möbelhaus, Hauptsache, die zwei haben ihren Spaß.“Die wenige gemeinsame Zeit sei das Wichtigste für die kleine Familie. Dankbar ist Hermann auch für kostenlose Vereinsangebote, bei denen die Kinder Sport machen oder ein Instrument spielen können.
Einen Partner sucht sie derzeit nicht, dennoch sehnt sie sich nach Austausch mit Erwachsenen. Deswegen geht Angelika Hermann einmal pro Monat zum „Offenen Treff für Alleinerziehende“, der wechselweise wochenends in Bad Saulgau und in Riedlingen stattfindet (siehe Infobox). Unter den acht Alleinerziehenden sind auch zwei Männer. „Es gibt so viele verschiedene Formen von alleinerziehend“, sagt die Bad Saulgauerin. Manche seien verwitwet, hätten gar keinen sozialen Rückhalt oder seien Opfer von häuslicher Gewalt oder Mobbing. „Wenn ich das so höre, denke ich mir: Bei uns ist alles im Großen und Ganzen gut verlaufen.“
Wer zum monatlichen Treff für
dazustoßen möchte, kann sich bei Tanja BeckHuber unter der Nummer 07371/
90 95 26 melden. Während des Treffs gibt es eine Kinderbetreuung, die unter der Nummer 07371/
90 95 26 angefragt werden muss. Informationen für Alleinerziehende bietet auch der Landkreis Sigmaringen an: