Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Drei Generationen unter einem Dach
Familie Niemczewski lebt bewusst in einem Mehrgenerationenhaus.
STETTEN AM KALTEN MARKT - Der Samstagmorgen ist den Niemczewskis heilig: Der Tag beginnt immer um 9 Uhr mit einem gemeinsamen Frühstück. „Die Frauen gehen davor laufen und holen Brötchen“, sagt Rolf Niemczewski. Er ist der Älteste im Mehrgenerationenhaus in Stetten. Der jüngste Bewohner, Kai, ist gerade mal zwei. Drei Generationen leben hier unter einem Dach: Rolf und Ursula Niemczewski hatten vor acht Jahren die Idee, mit ihrem Sohn Christian (36) ein Haus zu kaufen, in dem auch dessen Familie einmal Platz haben würde. Kurz darauf lernte er auch seine heutige Frau Judith kennen, die beiden haben zwei Kinder, Kai und Kim (vier Jahre), und leben über den Großeltern.
Jede Familie hat ihren eigenen Bereich: Zweimal 120 Quadratmeter Wohnfläche, dazu gibt es einen gemeinsam genutzten Hauswirtschaftsraum, einen Dachboden, einen Keller und einen geteilten Garten. „Wir geben uns Privatsphäre und klopfen, wenn wir uns besuchen wollen“, sagt Ursula Niemczewski. „Wir haben etwa ein Jahr gesucht, bis wir ein passendes Objekt gefunden haben“, berichtet die 56-Jährige. Zuvor wohnte die Familie in Schwenningen. Auf dem Land gebe es natürlich mehr Möglichkeiten als in der Stadt. Die Anforderungen waren groß: „Wir haben mehrere Häuser mit integrierter Einliegerwohnung gesehen, aber die hätten nicht genügend Platz für die Familie meines Sohnes geboten“, sagt Großvater Rolf Niemczewski. Dann stießen sie auf das Gebäude in Stetten, das genügend Raum für beide Parteien bot. Ein gemeinsames Treppenhaus verbindet die Wohnbereiche miteinander. „Wir haben selbst renoviert“, sagt der 66-Jährige. Wichtig war ihnen die Barrierefreiheit – von der Türbreite bis hin zur Dusche im Erdgeschoss ist alles durchdacht. Schließlich ist das Haus darauf ausgelegt, dass die Familie, so lang es geht, dort zusammen wohnt.
„Wir sprechen auch über Pflege“
„Bei uns gibt es keine Tabus. Wir sprechen auch über Themen wie Pflege“, sagt Ursula Niemczewski. Sie bringt in diesem Bereich einiges an Erfahrung mit: Als Regionalleiterin ist sie bei Vinzenz von Paul tätig. In ihren Augen sind die familiäre Pflege und das Projekt Mehrgenerationenhaus auf jeden Fall ein zukunftsträchtiges Modell, das sich gut mit ambulanten Diensten ergänzen lässt. „So ähnlich haben die Leute ja schon vor 100 Jahren gelebt“, stimmt Rolf Niemczewski zu. Es verwundert insofern auch nicht, dass das Haus kein Neubau ist, sondern aus den 50er-Jahren stammt. „So etwas baut man heute kaum mehr“, sagt der Pensionär. „Wir können das Konzept jedem empfehlen, vorausgesetzt, das Verhältnis ist gut.“
Schwiegertochter Judith Niemczewski stammt selbst aus einer Großfamilie: „Ich kenne es nicht anders, als dass die Großeltern im gleichen Haus wie die Enkel leben“, sagt sie. Die Niemczewskis geben sich Freiheiten, aber profitieren auch von der räumlichen Nähe. „Wir machen oft Gesellschaftsspieleabende“, sagt Ursula Niemczewski. „Wenn mein Mann beim Tennis ist, komme ich gern mal runter auf ein Glas Wein“, so Schwiegertochter Judith Niemczewski. Doch es gibt auch Rückzugsphasen und -orte, nicht zuletzt, weil Oma Ursula Niemczewski noch berufstätig ist. „Wenn ich im Büro bin, sage ich auch mal: Ich brauche jetzt kinderfreie Zone.“Die Kleinen würden dies respektieren. „Manchmal sagt Kim auch: ,Rufst du bei uns an, wenn Du fertig bist?’“Auch Urlaube plant die Familie überschneidend.
Keiner bereut den Schritt
Keiner der Familienmitglieder bereut den Schritt, zusammengezogen zu sein. Enkelin Kim findet es „schön“, mit Oma und Opa in einem Haus zu wohnen. Wenn die Kinder mittags aus dem Kindergarten kommen, hat Opa Rolf Niemczewski schon gekocht. „Laut unserer Tochter macht Opa den besten Spinat“, sagt Sohn Christian. „Die Generationen profitieren in vielen Bereichen voneinander“, sagt der 36-Jährige. Er selbst wuchs anders auf, die Eltern wohnten weit von den Großeltern entfernt. „Wir kannten damals in der Region niemanden, es war hart. Wir konnten unseren Sohn nicht einfach so für ein Wochenende bei Oma und Opa lassen“, erinnert sich Rolf Niemczewski, der bei der Bundeswehr gearbeitet hat.
Niedergeschriebene Regeln oder einen Familienrat gibt es im Hause Niemczewski nicht. „Außer: Wir sind immer ehrlich zueinander“, sagt Ursula Niemczewski. Toleranz, beispielsweise bei Erziehungsfragen, schade ebenfalls nicht. Wie in jeder Familie gebe es mal Streit, und manchmal würde man Unstimmigkeiten ob der räumlichen Nähe auch unfreiwillig mitbekommen. Ansonsten überwiegen aber die Vorteile, finden alle: „Wir Jungen machen den Garten, das ist für uns ein Ausgleich und für meine Eltern eine Entlastung“, sagt Christian Niemczewski. Die Großeltern nehmen dafür oft die Kinder ab oder kaufen ein. „Ob ich jetzt ein Brot oder zwei Brote in den Einkaufswagen lege, ist ja egal“, findet Rolf Niemczewski.
Selbst im Büro von Oma und Opa liegt Spielzeug. Dort steht auch ein großes Puppenhaus aus Holz, natürlich spielen die Kinder damit „Mehrgenerationenhaus“. „Es gibt eine Plastik-Oma, einen Plastik-Opa und natürlich auch Kai und Kim – Puppen“, sagt Ursula Niemczewski.